Bürklin Elektronik : Mikroelektronik: Die Aufstockung der Produktion in Europa ist eine wichtige Strategie

Jürgen Lampert Bürklin

Jürgen Lampert, CEO Bürklin Elektronik

- © Bürklin

Neue Zeiten in dem Unternehmen, das 1954 von Hans Bürklin in Oberhaching bei München gegründet wurde. Heuer gaben die Enkel des Firmengründers die operative Leitung ab und holten mit Jürgen Lampert einen erfahrenen Distributions-Insider an die Spitze. Im Interview spricht der gebürtige Österreicher über die Strategien, mit denen er Bürklin Elektronik für die Herausforderungen der Zukunft fit machen möchte.

Bürklin hat ereignisreiche Jahre hinter sich, nicht nur wegen Corona. Mit Februar hat erstmals ein CEO das operative Geschäft übernommen, der nicht der Familie angehört. Was bedeutet diese Entscheidung für Strategie und Ausrichtung des Unternehmens?

Jürgen Lampert:
Ich habe am 1. Februar die Geschäftsführung bei Bürklin Elektronik übernommen, das ich seit den Anfängen meiner Karriere in der Distributionsbranche kenne. Übrigens: Bürklin Elektronik hat zusammen mit Spörle die Katalogdistribution in Deutschland 1954 erfunden. Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung bei RS Components, meinem Branchenverständnis und nicht zuletzt meiner Mentalität passe ich sehr gut zu diesem traditionsreichen und erfolgreichen Unternehmen. Auch sehe ich sehr große Potentiale in verschiedensten Bereichen, beispielsweise den sehr hohen Bekanntheitsgrad von Bürklin Elektronik oder auch das Thema Nachhaltigkeit – wir versenden direkt ab Lager München und nutzen eine große Photovoltaikanlage auf unserem Firmengebäude, um nur zwei Beispiele zu nennen. Gemeinsam mit unseren Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter: innen werden wir die erfolgreiche Geschichte von Bürklin Elektronik weiterschreiben und die strategisch richtigen Weichen für künftiges Wachstum stellen. So stellen wir den Kunden in den Mittelpunkt aller unserer Aktivitäten. Eine hohe Kundenbindung und Kundenzufriedenheit sind der Schlüssel zum Erfolg.

Das Ziel: 80 Prozent Online-Quote

Konkreter gefragt: Der stärkere Fokus auf das digitale Geschäft, der kommuniziert wurde, woran wird man das in einer Branche merken, in der Online-Shops ohnehin schon der Standard sind? Wo ist hier noch Luft nach oben?

Lampert:
Im September sind wir mit unserem komplett neuen Onlineshop live gegangen – ein weiterer wichtiger Meilenstein bei unserer Transformation vom ersten und führenden Katalogdistributor in Deutschland zu einem europäischen/internationalen digitalen Distributor mit Sitz in München. Neben einem modernen, bedienerfreundlichen, plattformübergreifenden Design haben wir viele komplett neue und weiterentwickelte Funktionen eingeführt. So lag der Fokus auf den verbesserten Such- und Filterfunktionen sowie erweiterten Customer Self-Service-Funktionen. Das digitale Kundenkonto stellt alle wichtigen Informationen an einem zentralen Ort zur Verfügung und bietet umfassende Funktionalitäten, sodass die Kunden stets flexibel und unabhängig sind. So können sie zusätzlich zu ihrer Bestellhistorie zukünftig auf den aktuellen Auftragsstatus mit Sendungsverfolgung zugreifen, ihre Stammdaten selbst pflegen und ihre Merklisten und Bestellvorlagen verwalten. Darüber hinaus haben wir das Thema eProcurement stark ausgebaut und auch unsere internen Prozesse sinnvoll digitalisiert. Natürlich ist mit dem Go-Live die Arbeit an unserem Onlineshop nicht beendet. Wir werden, basierend auf den Anforderungen und Bedürfnissen unserer Kunden, unseren Onlineshop permanent optimieren und weiterentwickeln.

Welche Online-Quote bei den Bestellungen haben Sie derzeit, und was ist Ihr Ziel, dass Sie durch den Fokus auf Digitalisierungsschritte wie den neuen Shop erreichen wollen?


Lampert:
Wir streben mittelfristig eine Quote von über 80 Prozent an.

Eine weitere Nachfrage zu dem von Ihnen angesprochenen Nachhaltigkeitsaspekt, bei dem Sie betonen dass Sie aus dem Münchner Zentrallager liefern. Wo ist der ökologische Unterschied beispielsweise zu regionalen Lägern oder zu anderen Logistiklösungen der Branche?


Lampert:
Mit dem Warenversand direkt ab München stellen wir sicher, dass wir schnell und umweltverträglich nach Österreich liefern können. Wir betrachten hier nicht den Unterschied zu anderen Lösungen, sondern den Vorteil für unsere Kunden.

Unser neuer Online-Shop ist ein wichtiger Meilenstein in der Transformation vom deutschen Katalogdistributor zum digitalen, internationalen Distributor.

Neuer CPO, neue CMO

Ein zweiter kommunizierter Schwerpunkt ist der Ausbau der Kunden- und Lieferantenbeziehung. Was kann man sich darunter vorstellen?

Lampert:
Wie bereits erwähnt, stellen wir den Kunden in den Mittelpunkt aller unserer Aktivitäten und entwickeln das Kunden- und Lieferantenerlebnis kontinuierlich weiter. Durch Kundenbefragungen, der Einführung des NPS und diverser Customer Life Cycle Maßnahmen sind wir ganz nah am Kunden und wissen, was er von uns erwartet. So haben wir bei der Entwicklung des neuen Onlineshops schon frühzeitig unsere Kunden mit in den Prozess eingebunden. Des Weiteren haben wir einen CPO (Chief Product Officer) rekrutiert. Herr Müller kommt aus der Distribution und wird uns intensiv dabei unterstützen, unsere Beziehungen zu unseren strategischen Lieferanten weiterzuentwickeln. Außerdem arbeiten wir stark an unserem Sortiment von namhaften und innovativen Herstellern, dass wir im Rahmen unseres Lieferversprechens am selben Tag von unserem Lager in München an unsere Kunden in Deutschland, Europa und weltweit verfügbar machen.

Neben Ihnen als neuem CEO und dem neuen CPO gibt es eine weitere spannende Personalie bei Bürklin: Mit Pirjo Niemi als Chief Marketing Officer haben Sie jemanden an Bord geholt, die zuletzt bei einem Mitbewerber für den Aufbau der B2B-Schiene mitverantwortlich war. Wo soll sie den Schwerpunkt bei Bürklin legen?


Lampert:
Wir freuen uns sehr, dass wir Frau Niemi für Bürklin Elektronik gewinnen konnten. Sie kommt von Conrad Electronic und bringt sehr viel Know-how und Erfahrung in der Distribution mit an Bord. Ihr Motto „Der Kunde ist König“ passt hervorragend zu unserer Strategie, eine hohe Kundenbindung und Kundenzufriedenheit im Rahmen der Customer Journey zu gewährleisten. Sie wird unsere Digitalisierung weiter pushen, am Ausbau unserer Lieferantenbeziehungen mitarbeiten und sicherstellen, dass wir unsere Kunden mit der richtigen Botschaft zum richtigen Zeitpunkt im richtigen Kanal kontaktieren. Des Weiteren ist Frau Niemi ein Teamplayer und versteht das „Team“ als Summe seiner Mitglieder.

Halbleiter: Warum sich der Markt nicht rasch entspannen wird

Das bestimmende Thema der Branche ist derzeit die Halbleiter-Krise. Wie stellt sich die Situation derzeit für Sie dar? Ist schon eine Entspannung in Sicht?

Lampert:
Anhaltende Engpässe und Lieferschwierigkeiten bei Rohstoffen wie etwa Kupfer, Zink, Aluminium, Silizium, Substrate und Wafern, der Krieg in der Ukraine und auch geopolitische Herausforderungen wie zwischen China und den USA aufgrund der Importzölle führen zu steigenden Preisen und destabilisieren den Markt. So befürchtet Volkswagens Chip-Einkaufschef Engpässe noch auf Jahre. Zwar verbessere sich die Grundversorgung mit Halbleitern, doch die andauernde Knappheit werde die Autoindustrie noch länger beschäftigen, prognostizierte etwa Skoda-Vorstand Karsten Schnake noch Ende Juli im Handelsblatt. Und nicht zu vergessen: Covid trägt auch heute noch erheblich dazu bei, dass die Lage am Markt sich nicht auf kurze Sicht entspannen wird.

In welchen Bereichen ist die Liefersituation besonders kritisch?


Lampert:
Da Halbleiter praktisch überall verwendet werden, betrifft die Knappheit eigentlich die gesamte Wirtschaft. Besonders leiden Zulieferer im Bereich Industrie und Automotive. Viele Hersteller von Halbleitern haben ihre Produktion auf andere Bereiche und Abnehmer ausgerichtet sowie Ihre Ressourcen und Prioritäten in der Halbleiterproduktion auf diverse Segmente aufgeteilt. Das führt wiederum bei einem wachsenden Markt in diesen Bereichen zu starken Engpässen.

Wie reagieren Sie als Distributor darauf: Einkaufen was am Markt ist und die Läger prophylaktisch füllen, oder weitere Diversifizierung der Lieferantenstruktur?


Lampert:
Eigene Verfügbarkeiten wirken sich sehr positiv auf unsere Geschäftsentwicklung aus. So praktizieren wir Bevorratung und Einkaufsaktivitäten auf Basis von Jahresmengen. Eine zentrale Rolle spielt hier unser gutes Lieferantennetzwerk. Wir schließen frühzeitig Abrufaufträge in vielen Produktbereichen ab und minimieren so Produktionsausfälle.

Eigene Verfügbarkeiten bei Halbleitern wirken sich sehr positiv auf unsere Geschäftsentwicklung aus.

Reshoring und langfristige Planung: Zwei Antwort auf die Halbleiterkrise

Auf der politischen Ebene sind die europäischen Bemühungen um ein „Reshoring“ von Schlüsselindustrien in aller Munde, etwa durch die Industriestrategie der EU und insbesondere die beiden IPCEIs für Mikroelektronik. Ist das eine sinnvolle Strategie? Und ist sie aus Ihrer Sicht erfolgsversprechend?

Lampert:
Eine wichtige Strategie für die Zukunft ist aus unserer Sicht die Aufstockung der Produktion in Europa. Nur so ist langfristig die Abhängigkeit von asiatischen Produktionen reduzierbar. Bisher wird in Europa bis dato weniger als 10 Prozent des weltweiten Verbrauchs produziert. Zum Thema Reshoring gibt es bereits aktuelle Schritte: So baut Intel in Magdeburg für 17 Milliarden Euro zwei Chipfabriken und Infineon eröffnete bereits 2021 eine neue High-Tech-Chipfabrik im österreichischen Villach für 1,6 Milliarden Euro.

Angesichts der multiplen Krisen, die es derzeit gibt: Wie ist Ihr Ausblick auf das kommende Jahr 2023? Was raten Sie Ihren Kunden, auf welche Szenarien sollten sie sich vorbereiten?


Lampert:
Am besten fahren Kunden mit langfristig vertraglichen Zusagen, reibungslosem Logistiksystem und sauberen Forecasts. Da ein Lageraufbau derzeit kaum möglich ist, bitten wir unsere Kunden um eine enge Zusammenarbeit sowie eine langfristige Planung ihrer Bedarfe. So können wir bereits frühzeitig aktiv werden und Liefersicherheit für Bedarfe, die beispielsweise in Rahmenverträgen festgehalten sind, gewährleisten.

Wir halten ständig 70.000+ Artikel zum sofortigen Versand in unserem Lager vor.

Österreich, die D-A-CH Region und das Jahr des Tigers

Eine Frage zum österreichischen Markt: Welche Bedeutung hat die Alpenrepublik für Sie?

Lampert:
Österreich hat eine sehr große Bedeutung für uns: Österreich ist nach Deutschland unser zweitwichtigster Markt. Ich glaube, dass die Euphorie überall auf der Welt Bauteile einzukaufen angesichts der aktuellen Lage abgenommen hat. Unser Standort und Lager im Landkreis München, im Herzen der Elektronik-Industrie von Deutschland, ist nur einen „Steinwurf“ von Österreich entfernt, sodass wir unser Lieferversprechen für Deutschland „Heute bestellt, morgen geliefert“ auch in Österreich einhalten können. Dafür halten wir ständig 70.000+ Artikel zum sofortigen Versand in unserem Lager vor. Auch der ökologische Aspekt ist uns hier sehr wichtig: Wir versenden aus unserem Lager bei München direkt und nicht aus einem Logistikzentrum aus Übersee oder Osteuropa. Und als Österreicher liegt mir die alte Heimat sowieso sehr am Herzen.

Dass Sie gebürtiger Österreicher sind wusste ich vor dem Interview gar nicht, aber Linkedin sagt Sie sind in Feldkirch zur Schule und dann über die Grenze nach St. Gallen für die nächsten Ausbildungsschritte gegangen. Sie kennen also alle drei D-A-CH Länder aus eigener Erfahrung: Wodurch unterscheiden diese sich voneinander?


Lampert:
Aus der Nähe betrachtet erscheint die Unterschiedlichkeit oft größer als aus der Distanz. Ich hatte das Privileg in meiner beruflichen Karriere mit Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenzuarbeiten, habe in England, in der Schweiz, in Deutschland und auch in Honkong gelebt. Privat bin ich durch meine Ehe mit einer Britin multi-kulturell unterwegs – unsere Kinder sind in Deutschland geboren. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Gemeinsamkeiten der Österreicher, Schweizer und Deutschen gegenüber den Unterschieden ganz klar überwiegen.

Herr Lampert, was sind Ihre persönlichen Ziele bei Bürklin?


Lampert:
Ich habe 5 Jahre in Hong Kong gelebt. Hier startete am 1. Februar 2022 offiziell das Jahr des Tigers. Laut dem chinesischen Horoskop steht die Raubkatze für Mut, Abenteuer, Optimismus, Durchsetzungskraft und Risikobereitschaft. Alles Eigenschaften, die ich mitbringe, um Bürklin Elektronik weiter vorzubringen. Ich übernehme ein kerngesundes, erfolgreiches Unternehmen und bin davon überzeugt, dass noch sehr viel Potential in Bürklin Elektronik steckt.

Danke für das Gespräch!