Frauenanteil im MINT-Bereich : „So niedrige Frauenanteile gibt es nicht einmal in Saudi-Arabien“
Ähnlich wie an der FH Technikum Wien gibt es auch an der TU Wien einzelne Studien mit einem relativ hohen Frauenanteil. Dazu zählen die Studienrichtungen Architektur und Raumplanung oder Umweltingenieurwesen. Doch bei den klassischen MINT-Fächern ist die Lage deutlich ernüchternder: Nur 18 Prozent der Studierenden im Fach Mathematik sind Frauen, in der Physik 16 Prozent und in den Bereichen Elektrotechnik und Maschinenbau sind es lediglich 11 bis 13 Prozent.
Wie erklären Sie sich den niedrigen Frauenanteil in den klassischen MINT-Fächern?
Brigitte Ratzer: Es ist eine kulturelle Frage, weil so niedrige Frauenanteile wie in Österreich Deutschland, der Schweiz und vielleicht in Holland gibt es sonst fast kaum wo auf der Welt – nicht einmal in Saudi-Arabien. Es hat schon etwas mit einer kulturellen Zuschreibung zu tun, die bei uns sehr stark ausgeprägt ist. Aber wenn man sich die einzelnen Fächer anschaut, dann ist mein erster Verdächtiger das Schulsystem. Wie kann es sein, dass wir in den Fächern, wo wir im Vorfeld die HTL haben – wo es schon kaum Frauen gibt –, dann an den Universitäten auch kaum Frauen finden. Da geht an den HTLs eindeutig etwas schief. Und ich sehe auch nicht ein, wieso man an diesen HTLs in der Form so festhält. Und auch in den allgemeinen Schulen ist es so, dass die Lehrkräfte gar nicht wissen, wie man Burschen und Mädchen gleich behandelt – in dem Sinne, dass sich in den naturwissenschaftlichen Fächern alle gleich gut zurechtfinden. Da ist immer noch eine riesige Lücke. Es gibt seit einigen Jahren einen Unterrichtserlass, aber die pädagogischen Hochschulen wissen davon nichts. Insofern wird das den Studenten nicht beigebracht. Solange das nicht klappt, können wir an der TU wenig machen, weil sich relativ wenige Frauen für technische Studien entscheiden.
Woran liegt es, dass Studentinnen an der TU Wien häufig das Studium abbrechen?
Ratzer: Das ist vor allem in den Fächern der Fall, wo wir ohnehin ganz wenige Frauen haben. Da ist es aber eher eine Fluchtbewegung, als etwas anderes. In den anderen Fächern ist das nicht unbedingt so. Und wer wirklich eine viel höhere Abbruchquote hat als der Durchschnitt sind die ausländischen Studierenden. Da kreuzen sich zwei Sachverhalte und da ist das Geschlecht nur eine Komponente. Es geht es ganz oft um Vorbildung, sprachliche Kompetenzen usw.
Ein wichtiger Indikator der Gleichbehandlung ist der Gender-Pay-Gap. Wie äußert sich der bei den Absolventen und Absolventinnen der TU?
Ratzer: Die Idee, dass man sagt: Viele Frauen müssen in die Technik und dann gleicht sich das aus – das ist im Prinzip richtig, weil in diesen Berufsgruppen mehr bezahlt wird. Es wird sich am Ende des Tages aber nicht ausgehen, wenn man nicht gleichzeitig die Löhne in den sogenannten Frauenbranchen massiv heraufsetzt. Denn der Pay-Gap setzt sich zum wesentlichen Teil aus unterschiedlichen Branchenlöhnen zusammen. In der Industrie sieht man, dass Frauen bei den Gehaltsverhandlungen, auch mit einer technischen Ausbildung, deutlich schlechter aussteigen. Dort wo man sich stärker an Kollektivverträge hält, ist das besser.
Was sollte unternommen werden, um die Situation zu verbessern?
Ratzer: Mein erster Wunsch ist: Endlich die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer anzugehen, um im Schulsystem substanziell etwas zu verändern.