Fahrerloses Baggern : MicroSys: Modulare autonome Steuereinheit für mobile Arbeitsmaschinen
Beim Thema „autonomes Fahren“ sind meist Personenkraftwagen (PKW) gemeint, seltener Busse oder Lieferwagen, die sich fahrerlos im öffentlichen Straßenraum bewegen. Diese sind jedoch keineswegs die einzige Anwendung für diese komplexen Navigationsverfahren.
Auch selbstfahrende Arbeitsmaschinen wie zum Beispiel landwirtschaftliche Maschinen, Baumaschinen und Flurfördergeräte haben ein erhebliches Automatisierungspotenzial.
Hochautomatisierte Arbeitsmaschinen als Ziel
Die Aufgabenstellung unterscheidet sich erheblich von der an autonome Fahrzeuge des Straßenverkehrs. Landwirtschafts- und Baumaschinen bewegen sich bei ihrer gewöhnlichen Nutzung meist nicht im öffentlichen Straßenraum, sondern in abgegrenzten Baustellenbereichen, in die Unbeteiligte keinen Zugang haben. Dabei kann nicht vom Navigieren auf weitgehend ebenen Flächen ausgegangen werden, sondern von Fahrten im Gelände. Dieses – und damit die Basis für die Überprüfung des Fahrkurses – verändert sich durch den Baufortschritt ständig und muss laufend neu erkannt werden. Zudem sollen sich die autonomen Handlungen nicht auf die Fahrbewegungen beschränken, sondern ebenfalls die Lastaufnahme und -übergabe umfassen.
Bis auf unseren Äckern und Baustellen autonom navigierende und agierende Arbeitsmaschinen Normalität sein werden, sind noch einige grundlegende Voraussetzungen zu schaffen. Das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) unterstützt die Transformation der Branche mit dem Förderprogramm KoPa 35c, welches bis 2024 unter anderem Fahrzeugherstellern und der Zulieferindustrie in Deutschland zugutekommt.
Im Verbundprojekt POV.OS – Professional Vehicle Operating System soll dazu eine innovative Automatisierungsplattform als offene Architektur aus Hardware und Software für den Einsatz und die Funktionalisierung mobiler Arbeitsmaschinen entwickelt werden. Dabei geht es um die Schaffung einer anwendungsübergreifenden Plattform mit modularen Systemkomponenten, die als Grundlage für eine Spezifizierung und Umsetzung anwendungsbezogener Automatisierungs-, Assistenz- und autonomer Fahrfunktionen genutzt werden kann.
Modularität schafft Wirtschaftlichkeit
Mobile Arbeitsmaschinen werden in deutlich geringeren Stückzahlen produziert als gängige Automobile. Eine vollständige Neuentwicklung der zentralen Steuerungselektronik wäre daher für ihre Hersteller wirtschaftlich nur schwer darstellbar. Deshalb bevorzugen diese kommerziell verfügbare COTS-Plattformen (für commercial off-the-shelf). Diese ermöglichen den Entwickelnden, individuelle Lösungen zu schaffen, ohne sich bei der Geräteentwicklung mit den einzelnen Komponenten auseinandersetzen zu müssen.
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Als probates Mittel dazu entwickelt die MicroSys Electronics GmbH (MicroSys) als Gold Partner des Prozessorherstellers NXP System-on-Module (SoM). Diese in kleinen Formfaktoren hergestellten Baugruppen enthalten neben dem Mikroprozessor und dem Speicher sowie zahlreichen Kommunikationsschnittstellen alle Komponenten, die für die Applikationsentwicklung und Zertifizierung benötigt wird. So ermöglichen SoMs als zentrale Recheneinheiten mit standardisierten Schnittstellen Herstellern professioneller Arbeitsmaschinen die rasche Entwicklung ihrer Produkte. Die anwendungsspezifische Spezialisierung erhalten SoMs hardwareseitig durch zielgerichtete Trägerplatinen, sogenannte Carrierboards. Diese dienen unter anderem der Stromversorgung der Module und der Übersetzung der Ein- und Ausgangssignale in branchenspezifische Formate.
Nicht nur für mobile Arbeitsmaschinen, sondern für ein breites Spektrum an Anwendungen mit ähnlichen Performance- und Sicherheitsansprüchen entwickelte MicroSys das SoM "miriac MPX-LX2160A". Basierend auf dem LX2160A als derzeit schnellstem Embedded Multi-Core-Prozessor aus dem Hause NXP mit 16 "Arm Cortex-A72" Prozessorkernen, bietet das Modul im Standard 32 GB aufgelötetes DDR4 RAM, das auf bis zu 128 GB erweiterbar ist. Die prozessorintegrierten Ethernet-Controller ermöglichen eine höchst performante High-End Kommunikation mit bis zu 100 Gbit/s Ethernet und integriertem 122-Gbit/s Layer 2 Ethernet Switching. Damit lassen sich alle Vernetzungsaufgaben im Fahrzeug integrieren, bis hin zu GigEVision Kamerasystemen.
Vier PCIe 3.0 Schnittstellen ermöglichen die Ausstattung des SoM mit dem dafür erforderlichen, großen SSD-Massenspeicher. Die integrierte Security Engine des NXP-Prozessors LX2160A ermöglicht bis zu der maximalen Übertragungsbandbreite eine lückenlose Daten-Verschlüsselung. Sie stellt mittels Secure Boot sicher, dass – etwa bei Software-Updates – nur Software aus zertifizierter Quelle geladen wird. Mit mindestens 15 Jahren Verfügbarkeit bietet das für einen Temperaturbereich von mindestens -40° C bis +85° C spezifizierte "miriac MPX-LX2160A" Herstellern mobiler Arbeitsmaschinen eine hohe Versorgungssicherheit der Kernkomponente.
Aufgabenoptimiertes Carrierboard
Das zentrale Prozessormodul allein ist nicht alles. Viele Hersteller mobiler Arbeitsmaschinen verfügen nicht über die erforderlichen Kompetenzen oder Kapazitäten zum Aufbau eines von diesem angetriebenen Gesamtsystems. Für die Entwicklung einer aufgaben-, aber nicht kundenspezifischen Steuerungsplattform für mobile Arbeitsmaschinen nutzte MicroSys einerseits Erkenntnisse, die das Unternehmen in POV.OS (Professional Operating Vehicles Operating System POVOS) gewinnt. Ebenso lässt der bayerische Hersteller seine jahrelange Branchenerfahrung und weitere Kundenanforderungen, beispielsweise aus dem Baumaschinen-Segment, mit einfließen.
Das im POV.OS Kontext angedachte COTS-Carrierboard von MicroSys bietet 3 M.2 Slots und kann mit folgenden Modulen bestückt werden:
- ein "miriac MPX-LX2160A"
- ein FPGA-Beschleunigermodul
- bis zu drei SSD-Speichermodule
- ein bis zwei "Hailo-8" KI-Prozessormodule
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Für den Fall, dass im Projektkontext eine separate Safety Insel benötigt wird, bietet MicroSys basierend auf dem "miriac MPX-S32G274A" oder "miriac MPX-S32G399A" eine Lösung zur Erweiterung an. Das schafft zusätzliche Rechenleistung für komplexe Aufgaben und eine unabhängige Kontrollinstanz.
Einbaufertiges Gesamtsystem
Zu einem einbaufertigen ruggedized Gesamtsystem wird die Elektronik durch das völlig neu entwickelte Gehäuse. Staub- und wasserfest nach Schutzart IP 68, führt es in der Basisversion zehn GB Ethernet-Schnittstellen über M12-Stecker sowie serielle Datenbusse über einen robusten Fischer-Steckverbinder aus. Über einen betriebsbewährten Deutsch-Steckverbinder erfolgt die Stromversorgung und die Ausführung von drei CANbus-Strängen. Eine wesentliche Aufgabe des Gehäuses ist neben dem Schutz der verbauten Elektronik die Wärmeableitung. Die dabei entstehende Abwärme wird in erster Linie über die Grundplatte an das Fahrzeugchassis abgegeben, an die das Gerät geschraubt ist. Ein kleinerer Teil der Abwärme gelangt über Kühlrippen an der Gehäuseoberseite direkt in die Umgebungsluft.
MicroSys ist es gelungen, die Leistungsaufnahme der voll bestückten Einheit trotz der extrem hohen Verarbeitungsleistung und der Vielfalt an Schnittstellen auf 60 W zu begrenzen. So kommt die Einheit nicht nur ohne bewegliche Teile, sondern auch ohne aktive Kühlung aus. „Die bisherigen Tests bestätigen die hinreichende Kühlwirkung bis zu einer Umgebungstemperatur von mindestens 55°C“, bestätigt Jörg Stollfuß, Applikationsingenieur bei der MicroSys Electronics GmbH. „Mit der neuen Autonomous Control Unit auf Basis des SoM-Moduls 'miriac MPX-LX2160A' können wir Herstellern mobiler Arbeitsmaschinen ein einbaufertiges Gesamtsystem für die Automatisierung ihrer Produkte anbieten.“
Zum Autor
Ing. Peter Kemptner ist unabhängiger Marketing-Dienstleister und Fachredakteur in Salzburg.