Interview: Christoph Ryll : Wieso die Marketingversprechen der Cobothersteller mit Vorsicht zu genießen sind
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Christoph Ryll ist ein Robotikenthusiast der ersten Stunde. Er hat Robotik in Wien studiert und seine ersten Sicherheitskonzepte für kollaborierende Robotik auf der Automatica 2008 dem Fachpublikum präsentiert. Er ist Gründer und Geschäftsführer der Robotics Consulting in Fürstenfeldbruck. Außerdem ist er Gründungs- und Vorstandsmitglied im Deutschen Robotik Verband sowie Mitglied der Plattform Maschinensicherheit der AUVA. Mit dem Buchautor haben wir über die größten Herausforderungen bei der Implementierung von Cobots in der Industrie gesprochen.
In Ihrem Buch zeichnen Sie die Entwicklung der kollaborativen Robotik der vergangenen zwei Jahrzehnte nach. Der überwiegende Teil des Buches ist aber den verschiedenen Sicherheitsrichtlinien gewidmet. Für welche Zielgruppe ist dieses Buch gedacht?
Christoph Ryll: Das Zielpunkt ist der Endanwender. Gerade in Zeiten der Do-it-yourself-Robotik soll es ja laut den Marketingversprechen der Hersteller so sein, dass man den Cobot bestellt, auspackt und sofort einsetzen kann. Aber es gibt da viele normative Aspekte, die wir mit diesem Buch aufzeigen wollen. Insbesondere betrifft das die KMUs, denn die heutige Robotik kann man tatsächlich eigenständig implementieren. Dazu braucht man aber einen Fahrplan.
Im Buch werden insgesamt elf Richtlinien besprochen, die in der kollaborativen Robotik von Relevanz sind. Welche Richtlinien sind dabei die wichtigsten aus der Sicht des Anwenders?
Ryll: Die wichtigste Norm in der Robotik ist die ISO 10218-2, das ist eine harmonisierte Norm und berechtigt zur Konformitätsvermutung, wenn man diese komplett einhält. Alle anderen Normen, die angeführt sind, sind natürlich auch wichtig. Aber sie sind in irgendeiner Form in der harmonisierten Norm inkludiert.
Ich stelle fest, dass etablierte Unternehmen die Cobots eher mit klassischen Industrierobotern gleichsetzen und dadurch dieselben Anforderungen stellen.
In ihrem Buch beschreiben sie sogar die Schmerzschwellen bei der Mensch-Maschine-Kollaboration, die bei der Risikobeurteilung eine wichtige Rolle spielen. Wie häufig sind eigentlich Unfälle in der MRK?
Ryll: Ich muss bei dieser Frage etwas schmunzeln, weil ich mich mit dieser Frage schon seit Jahren beschäftige. Es gibt zu Unfällen mit Robotern sehr wenige Daten und somit auch Unfälle. Und bei den Cobots ist das noch expliziter: Ich finde da einfach keine Fälle. Ich frage bei der AUVA alle zwei Jahre nach, ob es Meldungen gibt, aber es gibt einfach keine. Es kann daran liegen, dass die Unfälle erst ab einem gewissen Verletzungsgrad gemeldet werden. Aber das sind dann keine schwerwiegenden Verletzungen. Die Robotik ist also sehr sicher.
Die Programmierung ist ein entscheidender Faktor in der MRK – die ist ja oft teurer als der Roboter selbst. Welche Möglichkeiten sehen sie da vor allem für KMUs, die die IT-Expertise vielleicht nicht im Haus haben?
Ryll: In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass die neuen Spieler am Markt diesen Umstand erkannt haben. Als ich in Wien Robotik studiert habe, da habe ich noch gelernt, wie man die Roboter von KUKA und ABB von Hand programmiert – das hat ewig lange gedauert. Heutzutage ist das aus wirtschaftlicher Sicht gar nicht mehr möglich – kein Unternehmen kann es sich mehr leisten, seine Mitarbeiter auf Schulungen zu schicken. Deswegen setzt sich hier das Prinzip des Anlernens durch. Den Cobots wird einfach vorgezeigt, wie sie die Schritte auszuführen haben. Und ein anderer Weg, der auch immer beliebter wird, sind simple Baukästen, mit denen man die Cobots mit Funktionsblöcken programmieren kann. Man muss dafür also nicht mehr studiert haben, man muss nur verstanden haben, wie der Fluss der Programmierung auszusehen hat.
Als Berater haben Sie Einblick in die Implementierung der Cobots. Welche Herausforderungen beobachten Sie in den Unternehmen?
Ryll: Ich stelle fest, dass etablierte Unternehmen die Cobots eher mit klassischen Industrierobotern gleichsetzen und dadurch dieselben Anforderungen stellen. Hier muss aber verstanden werden, dass Cobots für vergleichsweise einfache Aufgaben gedacht sind. Und deswegen übertreibt man es da manchmal. Bei den KMUs sehe ich hingegen, dass sie oft vom Marketing der Hersteller getrieben sind und viel zu hohe Erwartungen hegen. Ich kann mich noch an eine Robotikkonferenz erinnern, wo es eine Präsentation eines namhaften deutschen Herstellers gab. Da hieß es: In fünf Minuten ausgepackt, nach zwanzig Minuten installiert und in zwei Stunden betriebsbereit. Das steckt in manchen Köpfen noch immer drinnen. Die Realität ist aber, dass man um gewisse Sachen wie die Risikobewertung, Betriebsanleitung oder Konformitätsprüfung nicht herumkommt.
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Die Normen, die Sie kennen sollten
Insgesamt elf Normen befassen sich mit der Mensch-Roboter-Kollaboration. Hier sind alle Normen im Überblick.
Norm | Bezeichnung |
---|---|
EN ISO 10218-1 | Industrieroboter - Sicherheitsanforderungen Teil 1: Roboter 2011 |
EN ISO 10218-2 | Industrieroboter - Sicherheitsanforderungen Teil 2: Robotersysteme und Integration 2011 |
EN ISO 12100 | Sicherheit von Maschinen - Allgemeine Gestaltungsleitsätze Risikobeurteilung und Risikominderung Deutsche Fassung EN ISO 12100:2010 |
EN ISO 13849-1 | Sicherheit von Maschinen - Sicherheitsbezogene Teile von Steuerungen - Teil 1 Allgemeine Gestaltungsleitsätze ISO 13849-1:2015 |
EN ISO 13850 | Sicherheit von Maschinen - NotHalt Funktion - Gestaltungsleitsätze - Deutsche Fassung EN ISO 13850:2015 |
EN ISO 13854 | Sicherheit von Maschinen - Mindestabstände zur Vermeidung des Quetschens von Körperteilen Deutsche Fassung EN ISO 13854:2019 |
EN ISO 13855 | Sicherheit von Maschinen - Anordnung von Schutzeinrichtungen im Hinblick auf Annäherungsgeschwindigkeiten von Körperteilen - Deutsche Fassung EN ISO 13855:2010 |
EN ISO 13857 | Sicherheit von Maschinen - Sicherheitsabstände gegen das Erreichen von Gefährdungsbereichen mit den oberen und unteren Gliedmaßen - Deutsche Fassung EN ISO 13857:2019 |
DIN 33402-2 | Ergonomie - Körperwerte des Menschen Teil 2 Werte - DIN 33402-2:2020-12 |
EN 60204-1 | Sicherheit von Maschinen - Elektrische Ausrüstung von Maschinen - Teil 1: Allgemeine Anforderungen (IEC 60204-1:2016, modifiziert) - Deutsche Fassung EN 60204-1:2018 |
ISO TS 15066 | Roboter und Robotikgeräte - Kollaborierende Roboter (ISO TS 15066:2016) |