Rutronik System Solutions : In vier Stufen vom Großhändler zum Dienstleister

RDK2

Das Basic-Board RDK2 von Rutronik: Sofort mit dem Entwickeln loslegen statt neue Aufbauten zusammen zu löten.

- © Rutronik

Seit fast 50 Jahren ist Rutronik als Distributor für elektronische Bauelemente bekannt. Seit dem Vorjahr geht das Unternehmen neue Wege: Mit dem neuen Bereich „System Solutions“ trägt Rutronik dem Trend „Weg vom Produkt, hin zur Lösung“ Rechnung. Für Rutronik System Solutions verantwortlich ist seit Mai 2021 Stephan Menze. Nach seinem Studium in den Bereichen Wirtschaftsingenieurwesen und Elektrotechnik begann er seine berufliche Laufbahn 2015 bei Rutronik und baut nun, nach einem zweijährigen Abstecher in die Industrie, den Bereich auf.

Start auf Stufe 1: Basic Level

„Wir wollen neue Wege gehen“, so beschreibt Menze seine Aufgabe. Freilich baut er auf existierenden Strukturen auf, denn schon bisher war eine Art „basic support“ für die Kunden über dem reinen Distributionsgeschäft hinaus auch bei Rutronik üblich. Das beinhaltet Beratung bei der Auswahl von Produkten und Systemen. Nun werden Supports auf drei höheren Levels angeboten. „Ziel ist es, auf Basis neuer Technologien hochinnovative, teils patentierte Lösungen für komplexe Herausforderungen zu entwickeln, die auf die Kunden- und Verbraucherbedürfnisse individuell zugeschnitten sind. Dazu zählt die Kombination von elektronischen Bauelementen anhand ihrer Stärken in Bezug auf die jeweilige Anwendung“, so Menze.

Stephan Menze Rutronik
Stephan Menze, Rutronik System Solutions, zeigt neue Wege für die Elektronik-Distribution auf. - © Rutronik

Stufe 2: Design Level – Zeit für den Kunden sparen

Menze fasst die Grundidee so zusammen: „Wir verknüpfen die Hardware unserer Hersteller mit eigens entwickelter Software, um diese besser in Szene setzen zu können.“ Dabei geht es nicht um die Entwicklung von Endprodukten, sondern darum, den Kunden zu zeigen was mit der Hardware alles möglich ist. Die eigens entwickelte Firmware soll den Kunden in die Lage versetzen, mit den Tests sofort loszulegen. „Wir nehmen Zeit vom Entwicklungsprozess des Kunden zu uns“, sagt Menze.

Ein Beispiel dafür ist der Battery Management Chip von Infineon. Dieser hat so viele Features, dass der Kunde großes Know-how benötigt, um sie alle auch anwenden zu können. „Der Kunde will aber nicht dieses Know-how aufbauen, sondern eine Applikation betreiben“, meint Menze. Deshalb entwickelt Rutronik gemeinsam mit einer Universität eine entsprechende Software, die dem Kunden die einfache Nutzung aller Features für seine industriellen Lösungen ermöglicht. Auch Hardware-Spezialist Infineon, der selbst dieses Praxis-Know-how für die Nutzung aller seiner Chips nicht für das komplette Produktportfolio aufbauen kann, ist dankbar über diese Unterstützung. Denn das Feedback von Rutronik fließt an ihn zurück und in die Entwicklung der nächsten Chip-Generation ein.

Stufe 3: Advanced Design Level – eigene Rutronik-Boards

Während der Level 2 auf bestehender Hardware der Hersteller aufbaut, geht Rutronik auf der nächsten Stufe einen großen Schritt weiter. Aus den Bausteinen der Lieferanten baut der Distributor eigene Boards mit eigener, maßgeschneiderter Software auf und stellt ganze Entwickler-Kits zur Verfügung. Diese beantworten besonders gefragte Anwendungen, schließen Lücken im bestehenden Angebot und ermöglichen neue Geschäftsmodelle. „Hier spielen sich derzeit unsere meisten Aktivitäten ab“, betont Menze.

Derzeit gibt es drei Basic-Boards sowie mehrere Adapter-Boards im Programm, wobei noch nicht alle vollständig lieferbar sind. Das bereits lieferbare RDK2 und die beiden neuen, bald auf den Markt kommenden Boards RDK3 und RDK4 bieten Potenzial für die Mikrokontroller-Entwicklung, für Wireless-Anwendungen sowie für Automotive mit seinen speziellen Qualifizierungs-Anforderungen. Wichtig sind dabei jeweils viele standardisierte Schnittstellen, sagt Menze: „Unsere Kunden wollen bestimmte, für ihre Branchen relevante Schnittstellen vorfinden, um sofort loslegen zu können.“ Rutronik liefert einen Beispielaufbau, der es überflüssig macht neue Aufbauten zusammenzulöten.

Einziger Wermutstropfen: Auch an „System Solutions“ gehen die Probleme der Bauteilverfügbarkeit nicht vorbei. Während RDK2 bereits produziert und ausgeliefert wurde, werden die fertig entwickelten und getesteten RDK3 und RDK4 voraussichtlich Ende 2022 respektive Anfang 2023 lieferbar sein. Von RDK2 wurden 200 Stück produziert, wobei es in Zeiten wie diesen auch eine Herausforderung war, überhaupt 200 Mikrocontroller zu bekommen, erinnert sich Menze: „Doch jeder Hersteller ist bestrebt, mit uns diese Boards der Zukunft zu entwickeln. Wir setzen auf die Chips, die in Zukunft in Serie kommen werden – das macht es nicht einfacher, aber das Ergebnis umso spannender!“

Die vier Adapter-Boards tragen sprechende Namen wie CO2, Text-to-Speech, Sensorfusion oder HMS Anybus – und helfen dabei, ganz konkret definierte Prozesse auf Basis vielfältiger Hardware in die digitale Realität umzusetzen.

Stufe 4: Research Level – patentierte Algorithmen

Dieser Level geht nochmal über die bestehende Hardware und die dazu passende Software hinaus. Hier setzt Rutronik darauf, nicht nur eigene Hardware, sondern auch dazu passende Algorithmen zu entwickeln und patentieren zu lassen. „Zwei Patente sind schon durch“, sagt Menze, und nennt als ein Beispiel das HESS Hybrid Energy Storage System. Diese patentierte Bausteinkombination in Verbindung mit dem Algorithmus kombiniert die Vorteile von Li-Ion Batterien und Supercaps. HESS ermöglicht es, bei erhöhtem Leistungsbedarf in Mikrosekunden zwischen herkömmlichen Lithium-Ionen-Batterien und Supercaps hin und her zu schalten, und schützt die Batterien vor Lastspitzen die sie eigentlich nicht vertragen. Das erhöht die Lebensdauer der Batterien deutlich.

Der größte Unterschied zu den anderen Levels ist, dass hier einzigartige Hard- und Softwaregesamtlösungen entwickelt werden. Diese machen es für den Kunden unumgänglich, die Bauteile zum Betrieb seiner Applikation zumindest über einen gewissen Zeitraum bei Rutronik zu beziehen. Bei den anderen ist das nicht so – und macht System Solutions auch vom Geschäftsmodell her zu einer Herausforderung für den Distributor.

Operativer Ansatz: Die beste Lösung für die Anwendung finden

„Selbst wenn ein Kunde eins unserer Entwicklerboards von Level 3 nutzt, ist er nicht verpflichtet, die Hardwarebausteine für die damit entwickelte Applikation bei uns zu beziehen“, benennt Stephan Menze das Problem. Doch das ist nicht neu für einen Distributor, der seine Kunden bei der Entwicklung von Proof of Concepts unterstützt. Bevor Menze mit dem Aufbau von System Solutions startete, war er bei Rutronik im Bereich Sensorik tätig: „Schon da war es mir ein Anliegen, unser Überblickswissen zu bündeln und lösungsorientiert an den Kunden weiterzugeben.“ Denn der Kunde will die optimale Lösung, die ihm ein Distributor mit dem breiten Wissen über die verfügbaren Produkte am besten bieten kann. Schon damals galt: „Wir als Distributor gewinnen in dem harten Geschäft an Vertrauen, wenn wir dem Kunden die technisch beste Lösung für seine Applikation anbieten“, sagt Menze. Dieses Vertrauen macht sich bezahlt.

Die Strategie: System Solutions als Türöffner

Das Thema System Solutions wird bei Rutronik strategisch gesehen, sagt Menze. Freilich gäbe es interne Kennzahlen, die eine Erhöhung der Bauteile pro Applikation und pro Projekt durch die neuen Lösungsangebote anpeilen. Eine noch bessere Kennzahl sei die Zahl der neuen Projekte, die sich dadurch bei einem Kunden eröffnen. „Mit Rutronik System Solutions sind wir früher in der Projektentwicklung drinnen und führen Gespräche in Projektphasen, bei denen wir früher nicht dabei waren“, sagt der Bereichsleiter. Deshalb habe der Bereich auch die volle Rückendeckung des Eigentümers und des Managements. Denn hier ensteht ein Türöffner für neue Geschäftsfelder.

Das schlägt sich auch im Personalaufbau nieder. Derzeit besteht Rutronik System Solutions aus einem jungen Team von fünf Mitarbeitern, inklusiver zweier Board-Entwickler. Das Team wird sich naturgemäß vergrößern, das ist eine Folge des Erfolgs der Abteilung. Der Schlüssel zum Gelingen sei aber, so Menze, die Kommunikation mit den Fachabteilungen. „Wir bieten allen unsere Unterstützung an und platzieren so viele Bauteile aus allen Bereichen wie möglich“, sagt Menze. Wenn nun der Vertrieb ein Board beim Kunden präsentiert, sind Sensorik, Peripherie, Power Management und alle anderen gemeinsam vertreten. Deshalb sei es auch intern für die Abteilungen zunehmend interessant, hier vertreten zu sein. Stephan Menze beschreibt die Strategie so: „Unsere Boards machen es dem Kunden einfacher, seine Applikationen zu entwickeln – und unserem Vertrieb machen sie es einfacher, weil er das Board einfach nur nehmen und die Lösung präsentieren muss.“