Herausforderungen der Kommunikation : Man kann nicht nicht kommunizieren

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Die technologische Entwicklung in der Kommunikationstechnologie wird durch die zunehmende Vernetzung klassischer IT-Strukturen mit der Telekommunikation, insbesondere dem Mobilfunk, und der Entwicklung des Internet of Things beschleunigt. Neue, kostengünstige Hardware-Komponenten und flexible, konfigurierbare Software-Stacks für Kommunikationsprotokolle versprechen einerseits eine anforderungsgerechte Kommunikation mit hohen Bandbreiten und schnellen Reaktionszeiten und andererseits die Vernetzung einer großen Anzahl weit verteilter Komponenten.

Technologischer Umbruch

„Die zurzeit wohl mit Abstand am häufigsten diskutierten Themen in diesem Kontext sind Industrie 4.0 und die damit in Verbindung gebrachten Potenziale, Architekturen, Standards und Technologien“, so Günter Feldmeier vom ZVEI Fachverband Automation. Laut dem ZVEI-Experten befindet sich die gesamte Branche derzeit in einem großen Umbruch. Bei der Modernisierung von Automationskomponenten werde häufig auf bestehende Kommunikationsinfrastruktur zurückgegriffen. Neue Kabel zu ziehen ist aufwendig und fehleranfällig. Ebenso ist ein kompletter Austausch von Feldbus-Komponenten (z. B. vom Wechsel eines klassischen Feldbusses auf eine Ethernet-Architektur) mit erheblichen finanziellen Aufwänden verbunden. All diese Aspekte gelte es bei der Transformation zu berücksichtigen.

Die größten Herausforderungen der industriellen Kommunikation im Überblick

  • 1
    Asset-Sichtbarkeit 82 % der Industrieunternehmen sind nicht in der Lage, alle angeschlossenen Geräte zu identifizieren.

    Die meisten Industrieunternehmen haben Schwierigkeiten, einen Überblick über ihre Ressourcen und Assets zu behalten, was sie daran hindert, eine vollständige Kontrolle über Netzwerk und Infrastruktur, Ausrüstung und Material zu erlangen.

  • 2
    Interoperabilität und Standardisierung Mehr als 50 % aller Industrieunternehmen weisen Schwachstellen in ihren OT-Netzwerken auf.

    Typische OT-Netzwerke umfassen zahlreiche Geräte, Sensoren und Gateways, die mit unterschiedlichen Protokollen kommunizieren und so eine schwer zu wartende Netzwerkarchitektur schaffen.

  • 3
    Elektromagnetische Störungsumgebungen Seit 2014 stellt die EU mit einer Richtlinie grundlegende Anforderungen für die elektromagnetische Verträglichkeit.

    Da die Nutzung des elektromagnetischen Spektrums weiter zunimmt und die elektronischen Geräte immer komplexer werden, wird das Problem der elektromagnetischen Interferenz immer herausfordernder.

  • 4
    Cyber-Bedrohungen Alleine der deutschen Wirtschaft entsteht ein jährlicher Schaden von rund 203 Milliarden Euro durch Cyberattacken.

    Vor der Digitalisierungswelle war die OT noch entkoppelt. Doch je mehr Geräte und Systeme nun im Sinne von Industrie 4.0 miteinander verbunden werden, desto größer wird die Angriffsfläche für Cyberangriffe.

  • 5
    Netzwerkleistung und –verfügbarkeit Die Anzahl von Netzwerkausfällen steigt und verursacht immer höhere finanzielle Verluste.

    Je mehr Geräte miteinander kommunizieren, desto mehr Kapazität benötigt das Netz, und die Schwachstellen im OT-Netz können zu kostspieligen Schäden führen, vor allem durch Ausfallzeiten von OT-Systemen.

  • 6
    Gesundheit und Sicherheit Arbeitsbedingte Erkrankungen und Verletzungen verursachen in der Europäischen Union Kosten in Höhe von 3,3 % des BIP. Das sind 476 Milliarden Euro jedes Jahr.

    Die Herausforderungen im Bereich der Sicherheit werden trotz der sich weiterentwickelnden Technologien in der Industrie 4.0 immer präsent sein. Die menschliche Gesundheit und eine sichere Umgebung werden weiterhin eine Voraussetzung für den Betrieb des Unternehmens sein.

Teillösungen erschweren Kompatibilität

Neue IKT-Entwicklungen sind das Rückgrat von Industrie 4.0. Beispielsweise soll die 5G-Technologie steigende Anforderungen autonomer, intelligenter Systeme erfüllen. Dazu gehören steigende Datenraten in höheren Breitbandmodi, Echtzeitanforderungen von Daten und Produktionssystemen, die in virtuellen Systemen abgebildet werden, oder die Möglichkeit der Interoperabilität von Systemen. Also die Fähigkeit, über das System hinaus mit Dritten zu kooperieren. In diesem Zusammenhang sind Fragen der Datensicherheit noch ungeklärt. Dies erschwert den Betrieb autonomer intelligenter Systeme über Systemgrenzen hinweg.

Diesen Umstand hat man auch bei der Plattform Industrie 4.0 erkannt, die kritisiert: „Festzustellen ist, dass es aktuell viele inkompatible Daten und Teillösungen gibt, die die Anforderungen autonomer, intelligenter Systeme nur teilweise erfüllen. Es fehlt an weiterführenden Ansätzen, wie die speziellen Bedingungen einzelner Systeme vereinheitlicht werden können.“

Flexibilität als oberstes Gebot

Eines scheint sicher: Der Weg führt in die modulare und flexible Produktion. Diese Entwicklung hat sich durch die Lieferkettenkrise des vergangenen Jahres noch deutlich verschärft. Resilienz heißt hier das Zauberwort: Einerseits sollen Material- und Ressourcenverschwendung entlang der Lieferkette minimiert und Produktionsmengen konsolidiert werden, und andererseits soll der Shopfloor schnell an neue Situationen angepasst werden.

Viel verspricht man sich von der 5G-Technologie, die langsam aber sicher ihren Weg in die Produktionshallen findet. Der Anteil am gesamten Kuchen der industriellen Netzwerke befindet sich noch im geringen einstelligen Bereich, doch durch offene Standards wie OPC UA FX, der bald den 5G-Standard enthalten soll, scheint der Weg vorgegeben.

Mit 5G wird sich die Flexibilität in der Produktion und das Spektrum der Anwendungsfälle weiter erhöhen. Insbesondere die im 3GPP Release 15 enthaltenen 5G uRLLC (Ultra Reliable and Low Latency Communications) Funktionen sind für Anwendungen in der Automatisierungstechnik relevant. Damit können zeitkritische Anwendungen realisiert werden, die minimale Latenzzeiten im Bereich von einer Millisekunde oder darunter benötigen und auf eine robuste, ausfallsichere Kommunikation angewiesen sind.

EU standardisiert die Kommunikation

Die industrielle Kommunikation ist längst zum attraktiven Markt für die globalen IT-Platzhirsche geworden, die Network-as-a-Service betreiben und mit Cloud-Diensten um die Gunst der Industrieunternehmen kämpfen. Doch im globalen Wettbewerb stellt sich immer mehr die Frage nach einem sicheren und souveränen Datenökosystem, das den europäischen Werten der Unabhängigkeit und Transparenz entspricht. Mit Gaia-X wird dieses Ziel seit einigen Jahren verfolgt, die Umsetzung ist jedoch schleppend.

Doch gerade die Automobilindustrie entpuppt sich hier als Innovationstreiber. Zehn namhafte deutsche Unternehmen haben Ende Februar ein Konsortium gegründet, mit dem Catena-X, die Initiative für einen sicheren Datenaustausch entlang der gesamten automobilen Wertschöpfungskette, zum Leuchtturmprojekt von Gaia-X werden soll. Die Auswirkungen sind enorm: Mit durchgängig vernetzten Datenketten vom Lieferanten bis zum Hersteller sollen so Materialflüsse effizienter gestaltet und Lieferengpässe frühzeitig erkannt werden. Alleine bei Volkswagen werden damit mehr als 40.000 Lieferanten und Partnerunternehmen mit einem europäischen Kommunikationsstandard vernetzt.

Cybersecurity immer wichtiger

Und dann ist da noch das missliebige Thema Cybersecurity. Der Ukrainekrieg hat verdeutlicht, wie anfällig die Industrie für Cyberangriffe geworden ist. Es ist ein blühendes Geschäft: Im vergangenen Jahr konnten die organisierten Cyberbanden erstmals mehr Geld erwirtschaften als der weltweite Drogenhandel. Die Hacker verschaffen sich Zugriff auf das Firmennetzwerk, verschlüsseln die Daten und fordern astronomische Lösegelder. Auch hier soll nun ein EU-weiter Standard Abhilfe schaffen – die NIS2.

Die Auswirkungen der ganzheitlichen Digitalisierung und Vernetzung der Produktion sind gewaltig. Dementsprechend mahnend fallen auch die Worte der Branchenvertreter der Plattform Industrie 4.0 aus, die zu einem breiten gesellschaftspolitischen Dialog aufrufen: „Zum Beispiel könnte eine Wertorientierung an Nachhaltigkeit – statt bisher nur monetäre Anreize – Hemmungen beim Datenaustausch über Organisationsgrenzen hinweg abbauen helfen.“