Revolution oder Sackgasse? : Humanoide Roboter: Fraunhofer IPA erforscht Einsatz in der Industrie

Eine neue Studie des Fraunhofer IPA beschäftigte sich mit den Fragen, welchen Mehrwert Humanoide Roboter für Unternehmen haben und welche Voraussetzungen für ihren sinnvollen Einsatz in der Praxis notwendig sind.

Eine neue Studie des Fraunhofer IPA beschäftigte sich mit den Fragen, welchen Mehrwert Humanoide Roboter für Unternehmen haben und welche Voraussetzungen für ihren sinnvollen Einsatz in der Praxis notwendig sind.

- © Adi - stock.adobe.com (KI generiert)

Aktuell gibt es zahlreiche Entwicklungen im Bereich humanoider Roboter – für gewöhnlich mit zwei Armen und auf Wunsch zwei Beinen oder einer mobilen Plattform. Neue Modelle, erweiterte Funktionen und erhebliche Investitionen sorgen regelmäßig für Schlagzeilen. Dennoch sind praktische Pilotprojekte mit humanoiden Robotern bislang selten. 

Ein Forscherteam des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA stellte sich daher die Fragen, welchen konkreten Mehrwert diese Technologie für Unternehmen bieten kann und welche Voraussetzungen für ihren erfolgreichen Einsatz in der Praxis notwendig sind.

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Für welche Aufgaben sollten Humanoide eingesetzt werden?

Basierend auf über 100 Rückmeldungen von Fachleuten aus der Industrie gibt eine neue Studie des Fraunhofer IPA Antworten. So wurden als mögliche und sinnvolle Einsatzszenarien von Humanoiden am häufigsten der Materialtransport, das Maschinenbeladen und das Greifen komplexer Gegenstände genannt. 

Gegenüber bisherigen Lösungen sollten Humanoide insbesondere durch ihre Flexibilität bei der Ausführung verschiedener Aufgaben hervorstechen. Werner Kraus, Leiter des Forschungsbereichs Automatisierung und Robotik und Mitherausgeber der Studie, erklärt: "Genau die Kombination aus möglichen Ortswechseln und flexibler Greiftechnik ist in meinen Augen 'gamechanging'. Denn hiermit können auch Aufgaben in bestehenden Anlagen, dem Brownfield, mit geringem Integrationsaufwand automatisiert werden."

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Die Befragten der Studie sehen die technischen Möglichkeiten von Humanoiden aktuell jedoch noch zurückhaltend. Technologisch gesehen werden Humanoide laut den Umfrageergebnissen vermutlich erst einmal Aufgaben ausführen, bei denen Genauigkeit, Systemstabilität oder Prozessgeschwindigkeit als Roboterfähigkeiten weniger relevant sind. So wurde häufig der Transport von Kisten als mögliche Aufgabe gesehen. 

Ob Humanoide für die gewünschten Aufgaben zwei Beine haben müssen, bezweifeln allerdings 60 Prozent der Befragten. Sie finden eine radgetriebene Plattform oder gar eine stationäre Anwendung mit einem Zweiarmroboter zweckmäßiger.

Wie sicher und wirtschaftlich sind Humanoide Roboter?

Die größte Herausforderung beim Praxiseinsatz ist die funktionale Sicherheit, die aktuell noch weitgehend ungeklärt ist und aufgrund des Roboteraufbaus besondere Anforderungen stellt, beispielsweise hinsichtlich ihrer Stabilität. "Deshalb sehe ich als wahrscheinliche Szenarien für erste Einsätze vorerst keinen Mischbetrieb mit dem Menschen", so Kraus.

Eine zu große Erwartungshaltung und Unklarheit über die Wirtschaftlichkeit sind weitere Hürden, die Unternehmen aktuell sehen. Etwa die Hälfte aller Befragten wäre bereit, für einen Humanoiden bis zu 100.000 Euro zu zahlen. Simon Schmidt, Geschäftsbereichsleiter am Fraunhofer IPA und Mitautor der Studie, stellt resümierend klar: "Meiner Ansicht nach wird es für einen erfolgreichen Einsatz von Humanoiden nicht nur Use Cases brauchen, die technisch möglich sind, sondern insbesondere auch Business Cases, die betriebswirtschaftlich interessant sind."

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Wann könnten Humanoide Roboter zum Einsatz kommen?

Eine große Tendenz zeichnet sich bezüglich der Zeitschiene ab, wann Humanoide schätzungsweise in den Praxiseinsatz kommen könnten. Lediglich 6 Prozent der Befragten sehen sie bereits in den nächsten zwei Jahren in industriellen Anwendungen. Mit 74 Prozent sieht eine große Mehrheit einen möglichen Einsatz in 3 bis 10 Jahren als realistisch an.

Aufbau und Ablauf der Studie

Das Autorenteam um Simon Schmidt, Joshua Beck, Lasse Höltge, Alexandra Huber und Ramez Awad erarbeitete die Studie in vier Etappen. Zunächst verschaffte sich das Team durch Recherchen einen wissenschaftlichen und technischen Überblick über Humanoide. Es folgten Experteninterviews mit Systemintegratoren und potenziellen Endanwendern zum Stand der Technik, Einsatzmöglichkeiten und künftigen Herausforderungen. 

Aufbauend auf diesen qualitativen Daten wurden mithilfe einer Umfrage quantitative Daten gesammelt. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) unterstützte hier, um möglichst viele Rückmeldungen zu erhalten. Im letzten Schritt wertete das Team die Daten aus und leitete Handlungsempfehlungen ab.

Fazit: 7 Handlungsempfehlungen für den industriellen Einsatz

Diese sieben Handlungsempfehlungen leitet das Autorenteam aus seinen Untersuchungen ab:

  1. Entwicklung softwareseitiger Sicherheitsfunktionen und -features
     
  2. Entwicklung und Optimierung genauer Handhabung und Feinfühligkeit von Endeffektoren
     
  3. Einfaches Programmieren und Optimieren Humanoider Roboter für deren Einsatz
     
  4. Technologien zur Wahrnehmung der Umgebung und entsprechender Reaktion
     
  5. Erstellen einer Norm/Technischen Spezifikation vergleichbar mit der für die Mensch-Roboter-Kollaboration (ISO TS 15066)
     
  6. Rechtliche Evaluierungsmöglichkeiten für Unternehmen schaffen
     
  7. Förderung kritischer und differenzierender Technologien, insbesondere die Wachstumsfinanzierung von Start-ups

KI-Fortschrittszentrum fördert KI und Kognitive Robotik

Die Studie ist aus Fördermitteln des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg entstanden und ein Ergebnis aus dem KI-Fortschrittszentrum "Lernende Systeme und Kognitive Robotik"

Das KI-Fortschrittszentrum wird gemeinsam vom Fraunhofer IPA und dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO betrieben und hat das Ziel, Anwendungen rund um die Künstliche Intelligenz und Robotik in die unternehmerische Praxis zu bringen. Ein Arbeitsschwerpunkt ist die Studienreihe "Lernende Systeme", zu der auch die Studie über Humanoide zählt und die aktuell um weitere Veröffentlichungen zur KI und kognitiven Robotik erweitert wird.