Sie bedienen mit Ihrer Plattform Nerve unter anderem den österreichischen Maschinenbau. Dort setzen die Unternehmen verstärkt auf IIoT und Cloud-Dienste. Dennoch wird dem Produktionsstandort Österreich eine gewisse digitale Skepsis nachgesagt. Was sind Ihre Erfahrungen?
Thomas Berndorfer: Der österreichische Maschinenbau hat mittlerweile die Dringlichkeit dieser Entwicklungen erkannt. Meiner Ansicht nach gibt es dafür triftige Gründe. Häufig lernen wir aus der Not am meisten, und bedauerlicherweise mussten viele mittelständische Unternehmen dies auf bittere Weise erfahren, insbesondere durch wiederholte Ransomware-Angriffe. Diese Vorfälle haben bei vielen Firmen tiefgreifende Lehren hinterlassen. Die Sensibilität für die Sicherheit ist mittlerweile definitiv gestiegen. Dennoch gibt es immer noch erhebliche Unterschiede in Bezug auf die Umsetzung von Sicherheitsmaßnahmen. Auf einer Skala von 0 bis 10 gibt es hier praktisch alles.
Branchenvertreter wie der VDMA kritisieren, dass NIS2 besonders den Mittelstand hart trifft und viele Unternehmen die Kosten für die hohen Sicherheitsanforderungen nicht tragen können. Sehen Sie das auch so?
Thomas Berndorfer: Als Mitglied des österreichischen Vorstands des VDMA nehme ich natürlich aktiv an dieser Diskussion teil und verstehe die Bedenken. Wenn Unternehmen nur NIS2 oder den Cyber Resilience Act auf ihrer Agenda hätten, wäre dies durchaus machbar. Allerdings haben sie auch andere Themen wie Transparenz in der Wertschöpfungskette, Lieferkettenmanagement sowie Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekte etc. zu bewältigen. Die Unternehmen sind bereits durch viele Regulierungen stark belastet, und plötzlich kommt diese EU-Richtlinie mit der Fristsetzung: "Übrigens, Sie haben bis Ende des nächsten Jahres Zeit." Dies stellt zweifellos eine zusätzliche Belastung dar. Ein weiteres Problem ist die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal. Solche Sicherheitsfragen erfordern hochspezialisierte Fachleute, die nur begrenzt zur Verfügung stehen. Insofern wäre es wünschenswert, wenn es eine angemessene Umsetzungszeit gäbe. Man kann solche komplexen Angelegenheiten nicht über Nacht regeln. Besonders herausfordernd ist die Tatsache, dass die Geschäftsführung jetzt persönlich haftbar gemacht werden kann. Wenn sie nicht nachweisen können, dass sie angemessene technische und organisatorische Maßnahmen ergriffen haben, die dem aktuellen Stand der Technik entsprechen, stehen sie vor einem Problem. Die Umsetzung in dieser begrenzten Zeit und mit den vorhandenen Ressourcen in der aktuellen wirtschaftlichen Lage ist zweifellos eine erhebliche Herausforderung.
Auf nationaler Ebene muss die Richtlinie bis zum 17. Oktober 2024 umgesetzt werden. Ist es für Unternehmen, die sich noch gar nicht mit dem Thema beschäftigt haben, möglich, bis zu diesem Stichtag fit zu sein?
Thomas Berndorfer: Wenn Unternehmen erst jetzt mit der Umsetzung beginnen, ist es meiner Meinung nach bereits zu spät, da es immer eine Vorlaufzeit von mindestens einem halben Jahr gibt, bis die Maßnahmen getestet und technisch einsatzbereit sind. Viele Unternehmen haben diese Richtlinie nur teilweise auf dem Radar, da sie sich nur auf kritische Infrastrukturen und Unternehmen mit einem gewissen Jahresumsatz oder Mitarbeiteranzahl konzentriert. Der VDMA schätzt, dass in Deutschland etwa 9.000 Unternehmen von dieser Richtlinie betroffen sein werden. Alle, die derzeit nicht betroffen sind, könnten also denken, sie können noch abwarten. Dennoch werden die Sicherheitsanforderungen an alle kontinuierlich erhöht. Bei TTTech Industrial haben wir beschlossen, NIS2 bereits zu erfüllen, bevor es uns direkt betrifft. Dies liegt daran, dass wir Unternehmen beliefern wollen, die diese Anforderungen stellen, oder weil unsere Kunden wiederum Unternehmen beliefern, die noch größere Anforderungen haben. Das bedeutet, dass viele Unternehmen nicht direkt, sondern indirekt betroffen sind. Sie können ihr Produkt oft nicht verkaufen, wenn die Lieferkette dies erfordert. Daher haben wir bereits vor anderthalb Jahren begonnen, uns auf den Weg zu machen, weil wir erkannt haben, dass dies kommt und dass es irgendwann in den Einkaufsbedingungen unserer Kunden eine Anforderung sein wird, die erfüllt werden muss.