Interview: Martin Grabler : Stecksysteme sind neu zu qualifizieren

Die Vermutung, dass die Digitalisierung der Produktion hauptsächlich durch drahtlose Kommunikation ermöglicht würde und kabelgebundene Verbindungstechnik dadurch zurückgedrängt wird, hat sich mittlerweile als nicht richtig herausgestellt. Wie oft sind Sie damit konfrontiert worden, dass man in Zukunft eh keine Kabel mehr brauchen würde? Passiert Ihnen das heute auch noch?

Martin Grabler:
Mit Fragen zu dieser Thematik wurden wir vor einigen Jahren tatsächlich regelmäßig konfrontiert. In Detailgesprächen hat sich sehr rasch herausgestellt, dass eine kabelgebundene Datenübertragung, vor allem in Bezug auf Reichweite und Zuverlässigkeit der Verbindung, unverändert das Maß aller Dinge ist.

Es gibt den Trend zu modularer, nicht mehr hierarchisch organisierter Produktion und zur Einbindung von IIoT-Funktionalitäten: Wie weit ist da die Entwicklung in der Industrie, speziell in Österreich? Wer hat die Nase vorne, wo ist noch das größte Potenzial?


Grabler:
Auf den letzten namhaften Messen wurden bereits modulare Anlagen präsentiert, die Prozess-Schritte in der Herstellung sinnvoll in eigenständigen Modulen realisieren. Auch große Softwarehersteller haben sich dem Thema gewidmet und entwickeln Umgebungen, die es ermöglichen, online getätigte Bestellungen direkt weiter zu verarbeiten und die produzierten Produkte in kürzester Zeit dem Bedarfsträger zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet, dass solche Module nicht nur aus der Hardware bestehen, sondern auch mit ihrer eigenen Recheneinheit ausgerüstet sind. Diese kann wiederrum selbstständig Informationen mit angekoppelten Modulen austauschen. Branchen, die ihren Kunden hochindividualisierte Produkte zur Verfügung stellen, werden aus heutiger Sicht sicherlich den größten Nutzen daraus ziehen und Antreiber sein.

Binder
„Durch modulare Änderungen bei der Zusammensetzung einer Maschine bekommen die Steckzyklen zukünftig eine wichtigere Bedeutung.“ - © Binder

Viele Entwicklungen entstehen in den F&E-Abteilungen oder sogar Start-ups und Spin-offs. Gehen Sie selbst aktiv auf diesen Sektor zu, oder kommen diese von selber zu Ihnen?

Grabler: Einer unserer Stärken ist es, bereits im Entwicklungsprozess eingebunden zu sein. Neben unserem Kerngeschäft der industriellen Rundsteckverbinder bieten wir im Bereich der Kundenspezifischen Lösungen tiefes Fachwissen bis zur fertigen Baugruppen an. Gerade Start-Ups kommen zu diesem Zeitpunkt bereits proaktiv auf uns zu. Durch unsere eigene Wertschöpfungskette in der mechanischen Fertigung, über Galvanik bis hin zur gedruckten Elektronik, sind wir der ideale Sparringpartner für unsere Interessenten und Kunden.

Welche speziellen, veränderten Anforderungen stellt diese neue Herangehensweise an die Verbindungstechnik?

Grabler: Für unsere Produkte, speziell im standardisierten Bereich, sind bereits Kennwerte definiert. Als einfaches Beispiel dienen Steckzyklen. Im klassischen Automatisierungsbereich der Bauform M12 ist die Zahl 100 etabliert; In der Realität wird diese Anzahl sehr selten erreicht. In der Regel werden die zuverlässigen Verbindungsstellen sehr viel seltener gesteckt und getrennt. Durch modulare Änderungen bei der Zusammensetzung einer Maschine bekommen die Steckzyklen zukünftig jedoch eine wichtigere Bedeutung. Es ist davon auszugehen, dass sich dies erhöhen wird und damit auch etablierte Steckverbindungen neu zu qualifizieren sind. Dies kann auch Auswirkungen auf die Geometrie der Stecksysteme haben.

Wie stellt sich Binder in Österreich die Zukunft von „Plug and Produce“ auf?

Grabler: Die Kommunikation mit unseren Kunden ist für uns der wesentlichste Indikator. Dadurch können wir zukünftige Trends und Bedarfe ableiten und entsprechende Maßnahmen setzen. Unsere breite Fertigungstiefe erlaubt es als flexibles Familienunternehmen, sehr rasch und individuell auf unterschiedlichste Wünsche der Märkte zu reagieren.