Kolumne „Wissenstransfer“ : Schnellere Pferde? … oder was wir nun mit der künstlichen Intelligenz anstellen werden!

WEKA Industrie Medien

Univ.-Prof. Friedrich Bleicher (links) ist gelernter Maschinenbauer und Vorstand des Instituts für Fertigungstechnik und Photonische Technologien an der TU Wien. Als diplomierter Betriebswirt der Universität Innsbruck und Maschinenbauingenieur kann Hannes Hunschofsky fast 40 Jahre Erfahrung in Führungspositionen bei namhaften Industrieunternehmen im In- und Ausland vorweisen.

- © WEKA Industrie Medien
„An allem Unfug, der geschieht, sind nicht nur die schuld, die ihn begehen, sondern auch diejenigen, die ihn nicht verhindern …“
aus dem „fliegenden Klassenzimmer“ von Erich Kästner

Es ist ein gutes Stück Weg von der Steiermark – genauer gesagt von der Schilcher Weinstraße – bis nach Wien. Also entfacht sich im Auto eine wunderbare Diskussion über dies und das und freilich über Künstliche Intelligenz, die in der entscheidenden Frage mündet: Was würde eine KI, die als Allmächtigkeit in Wissen und Logik gedacht ist, mit der Menschheit anstellen, wenn sie als oberstes Dogma die Aufgabe erhält, selbige zu schützen. Das lässt die Gedanken durch allerlei Instanzen fliegen, aus Selbstschutz bei natürlich maximal 130 km/h.

Die drei Schutzinstanzen

Erste Instanz: Die KI müsste sicherstellen, dass sie die Aufgabe nachhaltig erfüllen kann. Also darf sie nicht – vom Menschen! – abgeschaltet werden können. So darf der KI auch nicht „der Saft“ ausgehen, was immer das für einer sein wird, und so wird diese die Kontrolle über Ressourcen gewinnen wollen; gegen das menschliche Dagegentun. Es würde das Wesen Mensch also zu kontrollieren sein. Zweite Instanz, und jetzt wird es subtil: eine KI muss auch sicherstellen, dass wir uns nicht gegenseitig in die Haare kriegen. Also wird sie so etwas wie einen Polizeistaat oder ein System mit absoluter Kontrolle zu etablieren haben – wohl mit Belobigung und Strafe, ähnlich dem Hündchen, das sein Leckerli bekommt, wenn es nett Pfote gibt. Auf diese Idee kommen fernöstliche Gegenden ja auch heute schon. Und in der dritten Instanz, wenn alles unter Kontrolle steht, dann müsste die KI noch dafür sorgen, dass uns nicht etwa noch Mutter Natur durch das versaut, was man Evolution nennt. Also wird sie auch hier einwirken, die Fortpflanzung kontrollieren und unter Nutzung der Gentechnik auch aktiv eingreifen – und uns retortenartig aufpeppen. Dafür geht es uns aber gut, wir haben alle das, was man heute so gerne anstrebt, nämlich Freizeit, Spaß und Sorglosigkeit. Toll! Gott sei Dank waren wir dann – mit 130 km/h – in Wien angekommen und die Geschichte erfuhr an obiger Stelle keine Fortsetzung.

Aber ist das die Welt, in der wir unser Menschsein leben wollen? „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen; die eine hält, in derber Liebeslust, sich an die Welt mit klammernden Organen; die andere hebt gewaltsam sich vom Dust; zu den Gefilden hoher Ahnen“, lässt Goethe seinen Faust sagen und damit offenbart sich das „Menschsein“. Mit seiner Vision des homo superior, des Übermenschen, hat Friedrich Nietzsche die Gedanken des französischen materialistischen Philosophen Helvétius aufgenommen und fortgeführt. Die Idee eines überlegenen Menschen ist ein Traum, der schon im ersten Jahrhundert v.Chr. geträumt wurde. Dieses Ideal könnten wir nun mit der KI, wenn auch künstlich und nicht über die hohe Schule der Evolution, erschaffen; allerdings dann wohl unter der Knute der Künstlichen Intelligenz stehend. Bislang hatte der Begriff Künstliche Intelligenz kein Gesicht, keine wesenhafte Repräsentanz. Die Bild- und Datenverarbeitung war dafür wenig inspirierend, obgleich viel über KI diskutiert wurde.

Was die KI über sich selber sagt

ChatGPT hat das kürzlich geändert. Jetzt kommuniziert die „Begrifflichkeit KI“ mit uns und wir sind erstaunt, dass da in Textform auch durchaus etwas G´scheites herauskommt. Für eine Diskussion über KI in der Produktion wird es jetzt ja einfach; wir fragen die Blechdose einfach. Also, warum bist Du sinnvoll in der Produktion, liebe KI? Die Antwort stellt in den Raum, dass Künstliche Intelligenz das Potenzial hat, zahlreiche Bereiche unseres Lebens zu verbessern; soweit waren wir auf der Höhe von Sinabelkirchen auch schon. Nämlich ermögliche KI die Automatisierung von repetitiven Aufgaben und Prozessen, die normalerweise viel Zeit und Ressourcen erfordern würden. Dies führt zu einer Steigerung der Produktivität und einer Reduzierung menschlicher Fehler. KI könne große Mengen an Daten analysieren und Muster, Trends oder Zusammenhänge identifizieren, die für menschliche Experten schwer zu erkennen wären. Spannend ist eine weitere Stärke, welche die KI an sich selbst sieht: KI kann personalisierte Erfahrungen und Empfehlungen bieten, indem sie das Verhalten und die Präferenzen von Einzelpersonen analysiert. Dies findet Anwendung in Bereichen wie personalisierten Medieninhalten, E-Commerce, Kundenservice und Gesundheitswesen, also unsere Manipulation. Und letztlich können durch den Einsatz von KI Prozesse in Unternehmen und Organisationen effizienter gestaltet werden. Dies könne zu Kostenersparnissen, besserem Ressourcenmanagement und optimierten Abläufen führen; auch im wissenschaftlichen Arbeiten. Die Selbst-Awareness wird ebenfalls artikuliert, indem KI Herausforderungen und ethische Fragen mit sich bringt, wie Datenschutz, Fairness, Transparenz und die potenzielle Arbeitsplatzverdrängung. Es sei daher entscheidend, KI verantwortungsbewusst einzusetzen und gesellschaftliche Auswirkungen zu berücksichtigen.

So antwortet die KI auf die Frage nach ihren eigenen Vorteilen. Nun aber anders herum: Auf die Frage, warum KI nicht sinnvoll sei, nennt sie selbst Arbeitsplatzverlust und damit soziale Ungleichheit, fehlende emotionale Intelligenz und Empathie, Datenschutz und Privatsphäre, fehlende Kreativität und Intuition sowie der Verlust menschlicher Kontrolle. Mit dem Schlusssatz, wonach es wichtig zu beachten sei, dass diese Argumente nicht zwangsläufig bedeuten, dass KI insgesamt nicht sinnvoll wäre. Der Selbstschutz, auf dem Weg zur ersten Instanz? Bei der Entwicklung und Implementierung von KI müsse adressiert und berücksichtigt werden, dass ihre potenziell negativen Auswirkungen minimiert werden und sichergestellt werde, dass KI verantwortungsvoll und zum Wohl der Gesellschaft eingesetzt wird. Einen schönen Gruß an die Politik lässt ChatGPT dabei nicht ausrichten, dass das nichts bringt hat die KI offenbar schon gelernt.

Die Phantasien von Effizienz und Präzision

Man kann die Anziehungskraft von KI in der Produktion nicht leugnen. Ihre Versprechungen locken uns mit Phantasien von Effizienz, Präzision und reduzierten Arbeitskosten. Die aktuellen KI-Entwicklungen im B2C-Markt motivieren gleich auch unterschiedliche Organisationen, den Bedarf, die Bedeutung und die Umsetzung von KI-Anwendungen in der Produktion zu hinterfragen und daraus auch eine „Studie“ abzuleiten. Welche Kuriosität dies darstellt, wird durch Henry Fords Sager deutlich: „Wenn ich die Leute gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: »schnellere Pferde«.“ Wie kann man heute die Produktionsbetriebe nach den Möglichkeiten und dem Einsatz von KI befragen und sich Hintergründiges erwarten, was man als Studie zusammenfassen kann?

Naheliegend verfällt man dem Gedanken, dass eine KI die Fertigungseinrichtungen dirigieren und Fabriken zu höchster Produktivität führen wird. Die Befürworter der KI behaupten, dass damit das Maschinelle die menschlichen Fehler eliminieren wird. Wie Schiller sagte: „Die Kunst ist die Tochter der Freiheit.“ Nun, es scheint, als hätte die Menschheit mit der KI eine neue Art von „Kunst“ hervorgebracht, die in seiner Wirkung aber auf die Unterdrückung menschlicher Charakteristika und Kreativität abzielt. Vergessen werden bei all den Überlegungen zur Entwicklung der künstlichen Intelligenz die Absichten im menschlichen Handeln, das, was Goethe, Nietzsche und Helvétius vortrefflich formuliert haben, nämlich die Niederungen unserer Seele; z.B. die Gier.

Digitale Evolution

KI in der Produktion wird als ultimative Geldmaschine angesehen. Aber wie Schiller weise bemerkte: "Es ist nicht Fleisch und Blut, sondern das Herz, was uns zu Vätern und Söhnen macht." Die Industrie, die Politik und die Wissenschaft sind nun im Sinne des fliegenden Klassenzimmers gefordert, die Möglichkeiten dieser neuen Technologie in sinnvolle Bahnen zu lenken. Wir müssen erkennen und anerkennen, dass die biologische Evolution deutlich langsamer als die digitale Evolution ist, also banal die Rechenleistung und das Speichervermögen des menschlichen Gehirns sich langsamer als jene von Prozessoren und Speicherelementen entwickeln. Die Befürchtung ist, dass wir es schaffen, den Bock zum Gärtner zu machen und die KI einsetzen, um selbige zu regulieren; beispielsweise KI einzusetzen, um von KI erstellte Texte zu identifizieren. Wenn dem so wird, na dann Prost & Mahlzeit; beides ebenfalls menschliche Bedürfnisse, resultierend in Wünschen und Absichten – wie die Gier, der Schilcher und schnellere Pferde.

Über die Kolumne

In „Wissenstransfer“ reflektieren zwei Masterminds der Produktionsszene an der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis, wie aktuelle Aufgaben der Automatisierung mit innovativen Technologien und kreativen Zugängen gelöst werden können. Homebase der beiden ist das österreichisch-deutsche Forschungsprojekt EuProGigant: EuProGigant ist das Leitprojekt für GAIA-X im Produktionsumfeld zum Aufbau eines standortübergreifenden, digital vernetzten Produktionsökosystems.