Flexibilisierung der Produktion : Modularisierung im Maschinenbau leicht gemacht
Um individualisierte Produkte mit höchster Produktivität, Qualität und Ressourcenschonung zu Konditionen einer industriellen Großserienfertigung herzustellen, müssen Maschinen hochflexibel, intelligent und vernetzt sein. Die Maschine darf dabei nicht unendlich komplex werden. Diesen hohen Anspruch verfolgt Lenze mit seinen Systemlösungen, mit denen die Automatisierungsspezialisten ihre Kunden auf dem Weg zur Smart Factory begleiten. Über die Vorteile der modularen Produktion und die damit verbundenen Herausforderungen haben wir mit den Lenze-Experten Christoph Röbl und Patrick Bruder gesprochen.
Welche Vorteile sehen Sie in der modularen Produktion?
Bruder: Ich kann die Maschine aus Modulen genau auf die jeweiligen Anforderungen zugeschnitten, flexibel zusammensetzen. Dadurch lassen sich einzelne Teile auch modernisieren oder austauschen - wenn es schneller gehen oder eine neue Funktionalität hinzukommen soll. Auch der Betreiber profitiert, denn dank der Standards und offenen Schnittstellen kann er flexibel Maschinen unterschiedlichster Hersteller schnell zu einer Produktionsanlage zusammenstellen. Aber wie alles hat auch dies seine Vor- und Nachteile. Maschinenbauer sehen möglicherweise das Risiko durch die modulare Aufbauweise austauschbar zu werden. Diese Sorge kann ich ihnen allerdings nehmen, denn beide Seiten haben ein Interesse, die Produktion effektiver und effizienter zu gestalten.
Röbl: Ein wesentlicher Vorteil ist hier die Investitionssicherheit. Der Produzent kauft Maschinen, die er lange betreibt, die er aber auch an die sich wandelnden Anforderungen am Markt anpassen kann. Die Maschine, die ich heute kaufe, muss auch noch in drei, fünf oder zehn Jahren allen Standards entsprechen und sich an neue Produkte anpassen können.
Um die Chancen der Modularisierung und Digitalisierung zu nutzen, braucht es jedenfalls das organisatorische Wollen.
Der österreichische Markt ist durch den extrem hohen Anteil an KMUs geprägt. Da geht es ja vor allem um den Kostenfaktor ...
Röbl: Das größte Potential für einen modularen Ansatz bei der Maschinenentwicklung sehen wir gerade bei den KMUs, die Serienmaschinen in kleinen bis mittleren Stückzahlen bauen. Speziell bei jenen, die sich immer wieder aus einer Basis vorgefertigter Module bedienen. Hier ist der Mehrwert am größten.
Bruder: Einerseits muss der Maschinenbauer schauen, ob die Modularisierung ihm einen Vorteil verschafft. Andererseits kommen die Anforderungen von den Maschinenbetreibern. Ihnen geht es um die Modularisierung der Produktion, also um das Zusammenspiel der Maschinenmodule, aus denen sie eine komplette Produktionslinie aufbauen. Der Maschinenbauer sollte in eine modulare Lösung und in Standards investieren. Er erspart sich damit viel Zeit in der individuellen Anpassung an jedem weiteren Auftrag.
Auf der Hannover Messe 2019 haben sie mit ihrem Plug-and-Produce-Konzept für Aufsehen gesorgt. Damals haben Sie noch kritisiert, dass es an offenen Standards fehle. Was hat sich seitdem getan?
Bruder: Es hat sich einiges getan! Wenn man sich ansieht, wie viele Unternehmen sich mittlerweile mit Standards beschäftigen. Es gibt viele Weiterentwicklungen, die durch OPC UA getrieben sind. Heute bietet jeder Hersteller eine OPC UA Schnittstelle an und das wird nun auch in die Feldebene weitergetrieben. Bei Plug-and-Produce ging es darum, Maschinenteile und die komplette Produktionsanlage zu vernetzen. Kommt noch OPC UA TSN (Echtzeitfähigkeit) hinzu, geht es vor allem darum, in einem Maschinenmodul nach unten überall dieselbe Sprache zu sprechen. Da entwickeln sich die Dinge auch in die richtige Richtung, das ist aber noch ein weiterer Schritt.
Wie läuft ein Automatisierungsprojekt bei Ihnen ab? Sie bieten ja eine ganze Palette an Planungstools an.
Röbl: Der EASY System Designer ist unser Einstiegspunkt. Wie der Name schon sagt: Es ist damit sehr einfach, ein Konzept zu entwickeln. Man wählt die passende Hardware und Software für die Automatisierungstechnik, Maschinenvisualisierung und -vernetzung sowie Antriebstechnik. Abhängig von der Modularität hat die entsprechende Wechselwirkung. Denn je mehr Module zu berücksichtigen sind, desto höher werden die Anforderungen an die Hard- und Software. Das ist die Toolseite. Was aber genauso wichtig ist, ist das Thema „Brainware“, nämlich die Menschen bei Lenze. Wir haben Know-how in vielen Branchen und Prozessen, sowie ein eigenes Engineering-Team, das bei Projekten unterstützt.
Bruder: Der EASY System Designer soll den Maschinenbauer bei seinen Ideen unterstützen – er kann die Maschinenmodule anlegen und sich immer mehr in die Details vertiefen. Hinter der Auswahl und Zusammenstellung der Komponenten und Tools steckt eine Intelligenz, die mir Hinweise gibt und Optionen aufzeigt, an die ich vielleicht gar nicht gedacht habe. Aus der ersten Idee wird so ein Grundgerüst für die SPS-Programmierung erstellt. Wir arbeiten mit vorgefertigten Softwaremodulen aus unserem Lenze FAST Applikationsframework mit großer Toolbox, mit denen man Funktionalitäten integrieren kann. Das bietet Vorteile. Ein Beispiel ist die Web-Visualisierung. Für die braucht man keinen Web-Programmierer mehr, da man auch hier mit entsprechenden Tools unterstützt wird und die Visualisierung durch Konfiguration und Drag & Drop erstellt. Weiter geht es mit digitalen Angeboten beispielsweise für Condition Monitoring, OEE und Downtimetracking oder Asset Management. Unsere Tools decken also die komplette Kette vom Engineering über die Inbetriebnahme bis hin zur Produktion ab.
Wie anfällig macht man sich durch die Digitalisierung für Cyberangriffe?
Röbl: Es gelten die üblichen Regeln, wie z.B. die Nutzung von Firewalls und die passende Segmentierung der IT- und OT-Netze. Um die Chancen der Modularisierung und Digitalisierung zu nutzen, braucht es jedenfalls das organisatorische Wollen. Am besten funktioniert es, wenn die Geschäftsführung das Thema vorantreibt und im gesamten Unternehmen den Nutzen und die Mehrwerte darstellt. Ich habe schon Projekte erlebt, bei denen die Digitalisierung an die IT-Abteilung ausgelagert wurde. Somit wurde der Fokus auf die Risikominimierung statt auf die sich bietenden Chancen gerichtet.
Bruder: Es geht um die Risikoabschätzung. Was würde ein Ausfall für mich bedeuten und wieviel Offenheit benötige ich. Es gibt einige Fälle in der Industrie, bei denen ganze Produktionsketten lahmgelegt wurden und das gilt es zu vermeiden. Ein Restrisiko wird es immer geben, jedoch mit dem richtigen Partner und der optimalen Lösung ist man immer einen Schritt weiter, um etwaige Angriffe abzuwehren. Deswegen muss man in der Industrie darauf achten, dass das Maximum an Sicherheit gewährleistet ist, ohne sich modernen Technologien und Trends zu verschließen.