Software statt Hardware : Das Ende der SPS wie wir sie kennen
Selmo Technology macht Maschinen „digitalfit“, so das Versprechen des jungen Unternehmens. AUTlook hat Firmengründer Markus Gruber gefragt, wie er das lösen will. Die Antwort ist überraschend einfach: Indem der gewünschte Maschinenzustand ganz genau definiert und digital abgebildet wird. Das hat gravierende Folgen für unser bisheriges Verständnis von Automatisierung, für das protektionistische Geschäftsmodell klassischer Steuerungshersteller und nicht zuletzt für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz.
Der Automatisierer ist immer der letzte, der an die Maschine kommt, und der erste, der bei Problemen gerufen wird: Erleben Sie das auch so?
Markus Gruber: Genau so ist es. Wenn etwas vergessen wurde oder der Prozess nicht stabil ist, müssen die Automatisierer versuchen, die Probleme programmiertechnisch zu lösen. Unser Ansatz ist genau umgekehrt: Bevor irgendetwas konstruiert wird, muss zuerst der Prozess beschrieben werden. Je mehr Zeit man sich fürs Beschreiben nimmt, desto weniger Zeit benötigt man dann zum Konstruieren und zum Programmieren. Wir beschreiben den vollwertigen Prozess für alle Mächte die nachher wirken. Der Programmierer kümmert sich um die Logik und die „Treiber“, die er dafür benötigt, und entscheidet erst dann, welche SPS er haben möchte.
Der Weg zur Mehr-Lieferantenstrategie bei den Steuerungen
Funktioniert Ihr Prozess mit jeder Steuerung am Markt?
Gruber: Das funktioniert mit jeder SPS, die PLCOpen XML importieren kann. Wir sind auch sehr fokussiert auf Codesys, weil hier die Orientierung an den herstellerunabhängigen IEC-Standards für die Applikationsentwicklung im Mittelpunkt steht. Das garantiert, dass die Programmierung selbst nicht mehr von der verfügbaren Hardware abhängt.
Damit schließen Sie aber auch einige große Hersteller am Markt aus.
Gruber: Diese Hersteller, die nicht-genormte Steuerungen am Markt haben, schließen sich in ihrem Protektionismus selbst aus. Wir bauen derzeit auch viele Siemens-Steuerungen aus, weil die SPS nicht mehr im Zentrum der Automation steht. Immer mehr Kunden sind daran interessiert, ihre Maschinen Hardware-unabhängig bauen zu können. So wird eine Mehr-Lieferantenstrategie in der Steuerung möglich.
Nachdem Sie konkret Siemens ansprechen: Dieser Hersteller engagiert sich in der OPC-Foundation sehr stark für offene Standards. Ist das ein Zeichen für eine Abkehr vom propriäteren Denken?
Gruber: Wir müssen aufpassen, dass OPC UA nicht nur als eine große Show endet. Die Strukturen aus der Maschine entstehen trotzdem immer noch in der SPS Programmierung. Wenn die Strukturen aus dem Prozess direkt in ein Programm übersetzt werden kann, dann ist eine prüfbare Basis geschaffen. Mit CodeSys kann ich Prozess ohne Zeitverzögerung oder Umprogrammierung importieren, was im TIA nur über ein Übersetzungstool „Openness“ möglich ist. Ich bin überzeugt, dass sich auch Siemens öffnen wird, aber natürlich nicht freiwillig sondern auf Druck des Marktes. Es kommt eine neue Generation von Programmieren, die mit der „Download-Gesellschaft“ und mit Apps aufgewachsen sind – die wollen sich nicht mehr in einem geschlossenen Universum fangen lassen.
Raus aus den Abhängigkeiten
Wie ist die Resonanz der Steuerungshersteller?
Gruber: Wir arbeiten eng mit Beckhoff oder crtlX von Bosch Rexroth zusammen, sprechen mit Wago, Pilz, Lenze, Sigmatek, aber auch mit Siemens oder B&R, die interessiert an der Umstellung auf offene Standards sind. Diese Hersteller sehen, dass viele OEMs mittlerweile Hardware-unabhängige Maschinen bauen wollen und eine 2-Lieferanten-Strategie bei den Steuerungen aufbauen, um aus den Abhängigkeiten rauszukommen.
Haben Sie auch eine Lösung für den Altbestand an Maschinen, oder lässt sich Ihr Ansatz nur für Neukonstruktionen anwenden?
Gruber: Unser Standard erleichtert sogar den Retrofit von Maschinen! Wir bilden den mechanischen Prozess der bestehenden Maschine ab, schmeißen die alte Software weg und implementieren die neue. Erst letzte Woche haben wir auf diesem Weg eine Altanlage in nur fünf Tagen komplett neu digitalisiert.
Abbilden, was der Prozess erreichen soll
Wie funktioniert das?
Gruber: Indem wir abbilden, was der Prozess erreichen soll. Dafür machen wir einen Reengineering der Maschine. Das geht auch bei Bestandsmaschinen. Wir haben dabei nur fünf Regeln einzuhalten: Für die Automatisierung müssen wir den Anfangszustand kennen, den Zustandsablauf definieren, einen verbotenen Zustand verhindern, verbotene Zustandsübergänge verhindern und den Endzustand erreichen. Die Maschine muss so funktionieren wie ich es definiert habe, das ist die klare Zielvorgabe. Dafür muss ich die Varianz aus dem Prozess rausbringen statt sie reinzubringen.
In den industriellen Prozessen von morgen ist aber mehr Varianz als bisher gefragt, Stichwort Losgröße 1. Dabei wird auf Künstliche Intelligenz gesetzt, um dem Herr zu werden: Gehen Sie in die genau entgegengesetzte Richtung, oder täuscht das?
Gruber: Was passiert denn derzeit bei Künstlicher Intelligenz? Ich nehme einen Prozess den ich nicht verstehe, packe ihn in ein mathematisches Modell das ich nicht verstehe und hoffe dass irgendwie das gewünschte Ergebnis herauskommt … die Probleme in bestehenden Prozessen rühren daher, dass der Mensch unnötige Varianz in einen logischen Ablauf reingebracht hat. Wir bei Selmo führen das wieder zurück. Es wäre ein großer Irrtum, über KI noch mehr Varianz in den logischen ‚Ablauf reinzubringen, die ich ja nicht haben will, und sich noch dazu einer Black Box auszuliefern, deren Entscheidung für Menschen nicht nachvollziehbar sind. KI erfordert am Ende wieder eine Entscheidung zwischen 0 und 1.
Losgröße 1 muss die Mechanik leisten können
Aber wie löst man das Losgröße-1-Problem mit Ihrem Ansatz?
Gruber: Indem wir es einfach und standardisiert halten. Sie können sich das wie digitalisierte Lochkarten vorstellen: Wir können so auch 300 verschiedene Produkte auf einer Maschine fahren, wenn diese es mechanisch schafft, und den Wechsel von einem Produkt zum anderen in Echtzeit verändern, indem der Bearbeiter einfach das richtige Produkt aussucht. Losgröße 1 lässt sich nicht nur mit Software oder KI lösen, die Mechanik muss es leisten können. Der Prozess muss aber für jedes Produkt klar definiert sein, da scheitern viele Lösungen schon.
Gibt es Einsatzbereiche, in denen Künstliche Intelligenz Sinn macht?
Gruber: Natürlich. Überall dort wo Daten in großer Menge da sind, ich einen komplexen Prozess abbilden und durch deep learning besser machen kann. Wie ein virtueller Sensor oder in der präventiven Instandhaltung, als mathematisches Modell zum Vergleich mit dem realen System. Aber alles braucht den logischen Prozess.
Was ist der erste Zielmarkt für Selmo?
Gruber: Prinzipiell lässt sich unser Modell überall nutzen, aber der erste Ansatz ist das, was ich „Maschinenbau für Klickklack“ nenne: Einfache Maschinen für Handling und Robotik. Von dort aus hanteln wir uns mit den OEMs in Richtung komplexerer Maschinen und Anlagen. Wir bringen im kommenden Jahr einige neue Systeme auf den Markt. Wir sehen, dass offene Steuerungen zunehmend attraktiv sind, und arbeiten da eng mit Partner zusammen. Der Programmierer der Zukunft will Prozesse beschreiben und unabhängig von der Hardware bleiben.