Fraunhofer Austria : Die Optimierung von Montagelinien durch Mensch-Roboter-Kollaboration

Die Vorteile von Optimierungsrechnungen in rein von Menschen betriebene Montagelinien sind wohlbekannt. Die beste Leistung bringt aber oft eine Kombination aus Mensch und Roboter. Wie genau diese im konkreten Fall gestaltet sein sollte um optimale Ergebnisse zu liefern, lässt sich mit mathematischen Modellen errechnen. Dabei gibt es mehrere Möglichkeiten – exakte Methoden, die in langer Rechenzeit die absolut optimale Lösung finden, oder aber auch solche, die durch Heuristiken oder Metaheuristiken in kürzerer Rechenzeit eine Lösung finden, die dem Optimum schon sehr nahekommen. Hier sei ein Überblick über die jeweilige Vorgehensweise, Möglichkeiten, Use Cases, sowie Vor- und Nachteile der mathematischen Optimierungen gegeben.

Wozu Vorrangparagraphen nötig sind

„Aller Anfang ist schwer“, heißt es oft, und so ist auch bei der mathematischen Modellierung der erste Schritt der aufwändigste, und er wird oft unterschätzt: es geht um die Erstellung des sogenannten Vorranggraphen. Dieser ist eine graphische Darstellung der Logik, die einer Produktion zugrunde liegt. Er beantwortet Fragen wie „Kann ich Aufgabe C beginnen, bevor Aufgaben A und B abgeschlossen sind oder muss C auf A und B warten?“. Auch in gut funktionierenden Betrieben ist dies oft überraschend schwierig zu ermitteln. Lang eingewöhnte Routinen haben die Mitarbeitenden oft vergessen lassen, warum die gewohnte Abfolge gewählt wurde, und welche Gewohnheiten sich aus einer Notwendigkeit heraus ergeben haben und welche dagegen zufällig gewählt worden waren.

30 bis 50 Tätigkeiten ermitteln

Für die Erstellung des Vorranggraphen ermitteln wir die einzelnen Tätigkeiten, aus denen sich die Montage zusammensetzt. Diese dürfen weder zu detailliert gewählt werden – dann wäre das Modell komplexer als nötig – noch zu grob – dann hätte man zu wenig Spielraum in der Optimierung. Typisch sind Werte von etwa 30 Tätigkeiten, im Extremfall bei komplexen Produkten waren wir auch schon mit 50 konfrontiert. Ist der Vorranggraph erstellt und damit ein Großteil des Modellaufbaus geschafft, können Tätigkeiten den vorhandenen Stationen zugewiesen werden. Das MILP-Modell, es steht für mixed-integer linear programming, hat dabei besondere Eigenschaften. „LP“ steht dabei für „lineare Programmierung. Im Modell sind also nur lineare Funktionen vorhanden, und keine Exponentialfunktionen oder andere nichtlineare Zusammenhänge. Das „I“ für „Integer“ bedeutet, es arbeitet in der Zuordnung der Stationen mit ganzen Zahlen. Das „M“ für „Mixed“ bedeutet, es akzeptiert auch rationale Zahlen als Eingabe, zum Beispiel für die Zeit.

In einer Matrix werden die Tätigkeiten dann mit binären Zahlenwerten den Stationen zugeordnet. „1“ bedeutet dabei, dass eine Aufgabe an einer bestimmten Station durchgeführt werden kann, bei „0“ ist dies nicht der Fall. Das Mixed Modell akzeptiert als Eingabe aber auch Taktzeiten wie zum Beispiel 40 Minuten, und es lässt sich auch die Anzahl der Roboter, Stationen oder Mitarbeiter spezifizieren.

Mensch oder Roboter?

Darstellen lassen sich dabei auch noch weitere Dimensionen: soll ein Roboter die Aufgabe erledigen oder ein Mensch? Dürfen Roboter und Mensch an derselben Station arbeiten oder handelt es sich um einen Industrieroboter, der durch einen Zaun getrennt sein muss? In der nächsten Komplexitätsstufe wird zudem berücksichtigt, dass Mensch nicht gleich Mensch ist. Verschiedene Kompetenzen lassen sich in die Berechnung mit einbeziehen. Auch die Verfügbarkeit von Werkzeug wird an dieser Stelle berücksichtigt, beispielsweise wenn es bestimmte Werkzeuge nicht an allen Stationen gibt, oder wenn – wie im Fall unseres Projekts bei der Firma Engel – schwere Spritzgussmaschinen von einem Platz zum anderen bewegt werden müssen und die nötigen Kräne dafür zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung stehen müssen.

Optimiert werden kann dabei vieles: Es kann die Zeit bei vorgegebener Anzahl der Stationen optimiert werden oder die Anzahl der Mitarbeiter oder Stationen bei vorgegebener Durchlaufzeit. Es kann entschieden werden, ob es sich lohnt, einen Roboter zu kaufen und wenn ja, wo dieser stehen muss. An vielen Stellschrauben kann gedreht werden. Was eine gute Lösung ausmacht, wird im Einzelfall individuell definiert.

Bei einer Produktivitätsanalyse, wie ich sie auch in meiner Dissertation durchgeführt habe, kann man berechnen, wie die Anzahl der Stationen mit der Anzahl der fertiggestellten Produkte in Zusammenhang steht. Diese zwei Methoden kann man beliebig kombinieren, denn es sind die Grundmodelle mit denen man das gewünschte Modell aufbaut.

PlanGenetic berücksichtigt Zielfunktionen rascher

Mit zunehmender Komplexität dauern die Berechnungen mit dem MILP Modell und anderen diskreten Algorithmen allerdings immer länger. Zwar finden diese die perfekte mathematische Lösung, sofern man ihnen die Zeit gibt. Gerade im industriellen Umfeld ist die Zeit dafür aber nicht immer vorhanden. Eine Alternative können dann die Modelle sein, die auf Metaheuristik basieren. Zwar ist ihre Lösung möglicherweise nicht die absolut beste, sie kommt dieser aber nahe – und das in einer Zeit, die um ein Vielfaches kürzer sein kann. Statt den Computer mehrere Tage lang auf Houchtouren laufen zu lassen, ist das Ergebnis in wenigen Minuten errechnet. Der genetische Algorithmus ist hier die beliebteste Methode. Zwar braucht er einen ähnlichen Input, das bedeutet, die aufwändige Erstellung des Vorranggraphen bleibt auch hier nicht erspart, danach nähert er sich der besten Lösung aber binnen Minuten an. PlanGenetic, bei Fraunhofer Austria entwickelt, ist ein Beispiel für ein Tool, das genau dies tut und dabei auch gleich unterschiedliche Zielfunktionen wie zum Beispiel Durchlaufzeit, Termintreue und Auslastung gleichzeitig berücksichtigen kann. Es lassen sich als beispielsweise sowohl Taktzeit als auch Anzahl Stationen gleichzeitig und in wechselseitiger Berücksichtigung minimieren – eine multikriterielle Optimierung. Natürlich wäre dies auch mit den exakten Methoden machbar, aber eben etwas aufwändiger.

Flexible Anpassung

Beide Modell-Arten lassen sich flexibel an neue Bedingungen anpassen, sobald die Datenstruktur vorbereitet ist. Das MILP Modell, das wir für den Fahrradhersteller Gepida entwickelt haben, war ursprünglich nur für einen Produkttyp gedacht, wurde dann aber auch für alle weiteren Fahrradmodelle angepasst und zur Berechnung eingesetzt.

Der Ansatz lohnt sich überall dort, wo es eine Fertigungslinie gibt. Sobald mehrere Mitarbeiter zusammenarbeiten, ist die Optimierung sinnvoll und man findet sie heute auch bereits quer durch alle Branchen.

Viola Gallina
Viola Gallina, Fraunhofer Austria - © Fraunhofer / Interfoto