Interview : Über das Potenzial gedruckter grüner Elektronik

Im Rahmen des LOPEC Kongresses geben Sie einen Short Course zum Thema Kreislaufwirtschaft. Wie gut lässt sich gedruckte Elektronik recyceln oder wiederverwenden?

Chloé Bois: Da gibt es sehr viele unterschiedliche Ansätze. Gedruckte Elektronik scheint erstmal eine gute Option zu sein, doch wir sollten stets eine Lebenszyklusanalyse durchführen. Auch wenn dieses Tool seine Schwächen hat, kann es bei der Entscheidungsfindung unterstützen und Greenwashing verringern. Stellen Sie sich einen Karton mit einem intelligenten Etikett vor, das die Temperatur misst. Sollte dieses Etikett eher aus Papier oder aus Kunststoff bestehen? In einem Projekt mit einem Spezialisten für die Rückgewinnung von Zellulosefasern konnten wir zeigen, dass bei einem Etikett aus Kunststoff die wiedergewonnenen Fasern hochwertiger sind. Zudem wird beim Recycling des Kunststoffetiketts das Abwasser weniger belastet. Doch jeder Anwendungsfall ist anders und muss daher individuell analysiert werden. Man sollte sich auf Überraschungen gefasst machen!

Welche Entwicklung bei grüner Elektronik hat Sie in den letzten Jahren am stärksten beeindruckt?

Bois: Da gibt es kein konkretes Ergebnis, es ist eher der hohe Grad an Interdisziplinarität und Austausch. Die Menschen haben verstanden, dass wir alle an einem Tisch sitzen müssen, um die Herausforderungen zu bewältigen. Wir haben viele einzigartige Projekte und auch die Studierenden lernen, dass sie das große Ganze sehen müssen. Sonst betreiben wir zwar großartige Wissenschaft, finden aber nicht die großartigen Lösungen, die wir als Gesellschaft gerade jetzt benötigen.

i-ci
Dr. Chloé Bois ist Geschäftsführerin des ICI - Printability and Graphic Communications Institute - © i-ci
Wir sollten uns mit den Dingen befassen, die bereits intensiv in der Lieferkette genutzt werden.

Wenn Sie unterschiedliche Branchen betrachten, wo sehen Sie das größte Potenzial für gedruckte grüne Elektronik?

Bois: Meiner Ansicht nach sollten wir unser Augenmerk auf Produkte mit sehr kurzer Lebensdauer richten. Jeden Tag erzeugen wir alle bereits Unmengen an Elektronikabfällen. Stellen Sie sich nur vor, was passieren wird, wenn das Internet der Dinge so allgegenwärtig ist, wie wir dies anstreben. Ich nutze seit mehreren Jahren nur ein einziges Smartphone und fahre mein Auto seit einem Jahrzehnt, doch jeden Tag verbrauche ich zahlreiche Verpackungen, einige davon, ohne mir dessen bewusst zu sein, da es sich um Tertiärverpackungen aus der Lieferkette handelt. Selbst wenn wir nur ein paar davon mit Elektronik versehen, erzeugt jeder täglich eine Menge Elektroschrott. Darüber hinaus sollten wir uns mit den Dingen befassen, die bereits intensiv in der Lieferkette genutzt werden und mit allem, was mit der Sicherheit und Rückverfolgbarkeit von Produkten wie Lebensmittel oder Medikamenten zu tun hat.

Branchen wie Automotive oder die Unterhaltungselektronik nutzen bereits gedruckte Elektronik mit langer Lebensdauer. Worauf sollten sie sich konzentrieren?

Bois: Diese Branchen können mit gedruckter Elektronik ebenfalls direkt einen enormen ökologischen Nutzen erzielen, indem sie zum Beispiel aufgrund des geringen Gewichts gedruckter Elektronik den Energieverbrauch ihrer Produkte reduzieren. Sie sollten die Ansätze der Kreislaufwirtschaft nutzen, um das Sortieren von Komponenten und Werkstoffen zu optimieren und um Urban Mining zu fördern.

Wir brauchen einen offenen Dialog mit den wichtigsten Interessengruppen, den Märkten, den Regulierungsbehörden und der Gesellschaft.

Was ist Ihre Strategie, um andere von den Vorteilen gedruckter Elektronik zu überzeugen?

Bois: Gedruckte Elektronik ist eine sogenannte Deep-Tech-Technologie mit einem sehr langen Vertriebszyklus. Deshalb nehme ich mir sehr viel Zeit, ja sogar Jahre, um bei meinen Kunden das Bewusstsein für das Potenzial gedruckter Elektronik zu schärfen. Ich zeige ihnen Demonstrationsprojekte und empfehle ihnen, mit einem kleinen Projekt zu beginnen, das schnell große Wirkung zeigt und nicht nur für ihre Kunden, sondern auch für deren Kunden und für die Endverbraucher von Nutzen ist. Man sollte sehr kleine Lösungen ausprobieren, um herauszufinden, ob der Markt dafür bereit ist, ob Kunden das Produkt nutzen wollen und ob man es auch wirklich produzieren kann. Das sind für mich die leicht erreichbaren Ziele. Ein weiterer wichtiger Faktor ist Kommunikation. Wir brauchen einen offenen Dialog mit den wichtigsten Interessengruppen, den Märkten, den Regulierungsbehörden und der Gesellschaft. Die OE-A Working Group Sustainability hat sich zum Ziel gesetzt, die Vorteile von flexibler und gedruckter Elektronik zu identifizieren und deren Leistungen für eine nachhaltige Zukunft zu kommunizieren. Der Arbeitskreis stellt Informationen zusammen und arbeitet an Richtlinien und Methoden, die die Nachhaltigkeit von PE-Produkten und -Prozessen verständlich und zugänglich machen.

Können Sie uns ein Beispiel geben?

Bois: Natürlich: In einem unserer größten Projekte arbeiten wir mit einem Kartonagenhersteller an intelligenten Etiketten. Sein wichtigster Kunde ist ein Lebensmittelhersteller, der seine Produkte an einen großen Einzelhändler in Asien verkauft. Neben den technischen Errungenschaften hat das Projekt die Beziehung zwischen dem Lieferanten und seinem Kunden gestärkt. Dadurch hat sich der Zeitaufwand bereits ausgezahlt, bevor das Produkt überhaupt verfügbar war. Genau dies bietet die LOPEC: Stakeholder entlang der gesamten Wertschöpfungskette von gedruckter Elektronik treffen sich und diskutieren gemeinsam Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft.