Interview: Karl Sagmeister : „Wir konnten die Abhängigkeit von globalen Lieferketten sukzessive lösen“

Die Auftragslage in der Automatisierungsbranche könnte derzeit nicht besser sein, es gibt aber durch die Lieferkettenkrise Probleme, die Aufträge zu erfüllen. Welche Entwicklung erwarten Sie für die kommenden Jahre?

Karl Sagmeister:
Wir sind in der glücklichen Lage, heute von den Entscheidungen zu profitieren, die in der Vergangenheit getroffen wurden. Und damit meine ich vor allem unsere multilokale Unternehmensstruktur. Über die Jahre ist es uns gelungen, auf der ganzen Welt eigene Entwicklungs-, Produktions- und Vertriebsstandorte aufzubauen, die in ihren jeweiligen Regionen fest verankert und entscheidungsbefugt sind. Dadurch konnten wir unsere Abhängigkeit von globalen Lieferketten sukzessive lösen und müssen jetzt nicht in allen Bereichen nach Alternativen suchen. Klar, auch hier in Österreich können wir nicht alles sofort über die Märkte beschaffen. Und ja, auch wir sind partiell von Lieferkettenproblemen betroffen, aber der seit Jahren gelebte multilokale Ansatz verschafft uns eine gewisse Resilienz. Viele Unternehmen haben gelernt, wie wichtig Agilität ist und was für eine zentrale Rolle Digitalisierung in diesem Kontext einnimmt. Vor allem dann, wenn man auf unvorhergesehene Krisen vorbereitet sein will. Und genau das ist ja auch einer der Gründe, warum wir unser Lösungsportfolio so aufgebaut haben, wie wir es getan haben. Mit unseren digitalen Hard- und Softwarelösungen möchten wir Antworten auf die Pain Points unserer Kunden geben. Gleichzeitig sehen wir die Bedeutung von Partnerschaften und Ecosystemen stark steigen – Zusammenarbeit, die auf Augenhöhe und auf langfristiger gemeinsamer Entwicklung basiert, ist ein zunehmend wichtiger Erfolgsfaktor. Genau das ist unsere Philosophie bei der Bearbeitung des österreichischen Marktes.

Karl Sagmeister
Karl Sagmeister ist seit Ende 2017 Country Manager von Schneider Electric Austria. Er war bereits von 2001 bis 2007 bei Schneider Electric Austria in unterschiedlichen Managementpositionen tätig und kehrte im September 2016 zum Unternehmen zurück. - © Schneider Electric

Die Energieversorgungskrise stellt viele Unternehmen vor große Herausforderungen. Ihr Unternehmen deckte 2021 bereits 80 Prozent des Eigenbedarfs aus erneuerbaren Quellen. Schneider Electric und CEO Jean-Pascal Tricoire, Mitglied der mächtigen European CEO Alliance, fordern verstärkte politische Maßnahmen. Wie kann die Politik den Umstieg fördern ohne den Wirtschaftsstandort und die Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden?

Sagmeister: Ich empfinde die gegenwärtige Energieversorgungskrise nicht nur als Herausforderung, sondern vor allem als große Chance. Viele Entwicklungen, die wir schon vor Jahren hätten anstoßen müssen, erfahren jetzt eine ungeheure Beschleunigung. Der weitere Ausbau erneuerbarer Energiequellen ist sicher ein Teil davon. Schon 2020 haben erneuerbare Energieträger den Stromverbrauch in Österreich zu rund 75 Prozent abgedeckt. Doch je mehr Prozesse Elektrifiziert werden, desto höher ist logischerweise auch der Energiebedarf. Daher müssen wir in unseren Gebäuden und in der Industrie die uns zur Verfügung stehende Energie dringend effizienter nutzen. Dazu lassen sich mit digitalen Mitteln Ineffizienzen und Optimierungspotenziale sichtbar machen. Gerade hat eine Studie des AIT nachgewiesen, dass durch den Einsatz intelligenter Gebäudeautomatisierung das Energieeinsparpotenzial um rund 20 Prozent gehoben werden kann. Wenn wir über politische Maßnahmen sprechen, dann müssen wir zwingend auch über die Förderung von solchen Energieeffizienzmaßnahmen reden. Denn hier hängen die Früchte meist tief. Oft lassen sich schon mit einfachen Mitteln enorme Effizienzgewinne verbuchen. Und die wirken sich dann positiv auf den ökologischen Fußabdruck sowie die Wettbewerbsfähigkeit aus. Mit der kommenden ESG-Berichtspflicht für Unternehmen werden diese Faktoren künftig ja auch auditierbar und Nachhaltigkeit ein wesentliches Kriterium für die Beschaffung von Finanzmitteln.

Nachhaltigkeit wird für Lieferanten damit zu einem Wettbewerbsfaktor. Das hat Auswirkungen auf die gesamte Lieferkette und es entsteht eine enorme Sogwirkung.

Die ESG-Berichtspflicht wird nun auch auf kleine und mittlere Unternehmen ausgeweitet, auch wenn sie bis 2028 von der Anwendung der Richtlinie zunächst ausgenommen werden. Branchenverbände kritisieren den bürokratischen und finanziellen Mehraufwand. Wie stehen Sie zur Richtlinie und wie kann sichergestellt werden, dass sie nicht an der betrieblichen Realität der Unternehmen vorbeischrammt?

Sagmeister: Ziel und Zweck der Richtlinie sind aus meiner Sicht auf jeden Fall zu begrüßen. Nachhaltigkeit und eine an sozialen Standards orientierte Unternehmensführung sind heute essentielle KPIs eines Unternehmens. Und wir brauchen hier auch Transparenz. Gerade wenn man Nachhaltigkeit im Kontext des Ökosystems eines Unternehmens betrachtet. Stichwort Lieferketten: Reduzieren wir als großes Unternehmen den CO2Ausstoß in unserem Scope 3, können sich nur noch Lieferanten bewerben, die sich für diese Kriterien qualifizieren. Nachhaltigkeit wird für Lieferanten damit zu einem Wettbewerbsfaktor. Das hat Auswirkungen auf die gesamte Lieferkette und es entsteht eine enorme Sogwirkung. Die neue Richtlinie verpflichtet dazu, konstant an diesem Thema dran zu bleiben. Aber klar, in Einzelfällen bedeutet die Berichtspflicht für einige Unternehmen sicherlich zunächst eine Mehrbelastung. Ist die Erstellung solcher Berichte unternehmensintern gut organisiert, sollte sich das aber überall mit vertretbarem Aufwand machen lassen. Bei Schneider Electric haben wir damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Seit mehr als einem Jahrzehnt veröffentlichen wir einen detaillierten Nachhaltigkeitsreport, der unser Engagement in Sachen Klimaschutz und sozialer Verantwortung transparent und nachprüfbar dokumentiert.

Sie haben unlängst davon gesprochen, dass der Consumer zum Prosumer werden muss, der aktiv an der Erzeugung und Bereitstellung von Energie teilnimmt. Wie weit sind wir in dieser Hinsicht in Österreich? Welche Schritte werden in der Industrie unternommen, um mehr Autarkie zu erlangen?

Sagmeister: Die Tatsache, dass im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz auch Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften berücksichtigt werden, zeigt, dass die Relevanz dieser Form der Energieerzeugung von politischer Seite erkannt wurde. Die darin genannten Maßnahmen zielen auf private Prosumer ab, doch auch in der Industrie werden große Anstrengungen unternommen. So ist zum Beispiel die Elektrifizierung von Prozessen ein wichtiger Schritt, da elektrische Energie nachhaltig und regional produziert werden kann. Die Autarkie der heimischen Versorgung ist mit der industriellen allerdings nicht gleichzusetzen. Industrielle Prozesse, etwa die Herstellung von grünem Stahl, sind viel zu Energieintensiv, um sie netzunabhängig betreiben zu können. Sicher, Microgrid-Lösungen können Energiekosten senken, doch ein autarker Inselbetrieb sollte eher als Notstromversorgung betrachtet werden. Eine breit angelegte Vernetzung sowie Sektorenkopplung sind für Unternehmen viel wichtiger. Damit wird die Visibilität des Betriebs für den Netzbetreiber erhöht und die Grundlage für einen effizienten Energieeinsatz gelegt. Wie wichtig ein hoher Vernetzungsgrad für die Netzflexibilität ist, zeigt aktuell ein Pilotprojekt, bei dem eine wetterbedingte Überproduktion von Energie flexibel für energieintensive Industrieprozesse eingesetzt wird.

Unsere Ziele sind ambitioniert, doch angesichts der globalen Klimasituation müssen sie das auch sein.

Bei Ihren Automatisierungslösungen setzen Sie auf offene Standards, wie die IEC 61499, bei der es auch um Ressourceneffizienz geht. Welche Erfahrungen haben Sie bisher damit gemacht?

Sagmeister: Bei der Norm IEC 61499 geht es tatsächlich auch um Ressourceneffizienz, vor allem jedoch um Flexibilität und Herstellerunabhängigkeit. Mit dem neuen Ansatz werden Software und Hardware voneinander entkoppelt. Muss bei einer klassische SPS für jede Maschine eine eigene Software geschrieben werden, kann nun eine einmal programmierte Software einfach per Copy & Paste auf jede Ausführung derselben Maschine aufgespielt werden. Mit einem solchen softwarezentrierten Ansatz sind nicht mehr der Hersteller, sondern einzig die Funktionalität oder die Lieferbarkeit für die Auswahl der Hardware entscheidend. Und was gerade in Sachen Investitionssicherheit interessant ist: Die Lebenszyklen von Hardware und Software sind entkoppelt. Fällt beim Anwender also eine Hardwarekomponente aus oder steht die Migration auf eine neue Steuerungsgeneration an, muss ich die Software für meine Anlage nicht neu programmieren. Wir etablieren damit eine Logik in der Automatisierung, die wir aus der IT-Welt längst kennen.

Die Nachhaltigkeitsziele, die sich Schneider Electric gesteckt hat, sind mehr als ambitioniert. Bis 2025 will man die CO2-Emissionen der Top 1000 Lieferanten um 50 Prozent reduzieren. Wie wird diese Strategie konkret in Österreich umgesetzt?

Sagmeister: Unsere Ziele sind ambitioniert, doch angesichts der globalen Klimasituation müssen sie das auch sein. Einsparungen entlang der Lieferkette sind ein wichtiges Ziel unseres Nachhaltigkeitsprogramms. Zudem eins mit großer Zugkraft. Gleichzeitig gehen wir transparent damit um und lassen uns daran auch messen. Die letzten Zahlen zum Schneider Sustainability Impact belegen, dass wir auf einem guten Weg sind. Hierzu trägt auch die erwähnte Umstellung unserer Firmenflotte auf Elektromobilität ihren Teil bei. Inzwischen umfasst diese knapp 50 E-Fahrzeuge, durch die wir im letzten Jahr bereits 38 Tonnen CO2 einsparen konnten – ein Wert, den wir dieses Jahr auf knapp 300 Tonnen steigern wollen.