Die ESG-Berichtspflicht wird nun auch auf kleine und mittlere Unternehmen ausgeweitet, auch wenn sie bis 2028 von der Anwendung der Richtlinie zunächst ausgenommen werden. Branchenverbände kritisieren den bürokratischen und finanziellen Mehraufwand. Wie stehen Sie zur Richtlinie und wie kann sichergestellt werden, dass sie nicht an der betrieblichen Realität der Unternehmen vorbeischrammt?
Sagmeister: Ziel und Zweck der Richtlinie sind aus meiner Sicht auf jeden Fall zu begrüßen. Nachhaltigkeit und eine an sozialen Standards orientierte Unternehmensführung sind heute essentielle KPIs eines Unternehmens. Und wir brauchen hier auch Transparenz. Gerade wenn man Nachhaltigkeit im Kontext des Ökosystems eines Unternehmens betrachtet. Stichwort Lieferketten: Reduzieren wir als großes Unternehmen den CO2Ausstoß in unserem Scope 3, können sich nur noch Lieferanten bewerben, die sich für diese Kriterien qualifizieren. Nachhaltigkeit wird für Lieferanten damit zu einem Wettbewerbsfaktor. Das hat Auswirkungen auf die gesamte Lieferkette und es entsteht eine enorme Sogwirkung. Die neue Richtlinie verpflichtet dazu, konstant an diesem Thema dran zu bleiben. Aber klar, in Einzelfällen bedeutet die Berichtspflicht für einige Unternehmen sicherlich zunächst eine Mehrbelastung. Ist die Erstellung solcher Berichte unternehmensintern gut organisiert, sollte sich das aber überall mit vertretbarem Aufwand machen lassen. Bei Schneider Electric haben wir damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Seit mehr als einem Jahrzehnt veröffentlichen wir einen detaillierten Nachhaltigkeitsreport, der unser Engagement in Sachen Klimaschutz und sozialer Verantwortung transparent und nachprüfbar dokumentiert.
Sie haben unlängst davon gesprochen, dass der Consumer zum Prosumer werden muss, der aktiv an der Erzeugung und Bereitstellung von Energie teilnimmt. Wie weit sind wir in dieser Hinsicht in Österreich? Welche Schritte werden in der Industrie unternommen, um mehr Autarkie zu erlangen?
Sagmeister: Die Tatsache, dass im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz auch Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften berücksichtigt werden, zeigt, dass die Relevanz dieser Form der Energieerzeugung von politischer Seite erkannt wurde. Die darin genannten Maßnahmen zielen auf private Prosumer ab, doch auch in der Industrie werden große Anstrengungen unternommen. So ist zum Beispiel die Elektrifizierung von Prozessen ein wichtiger Schritt, da elektrische Energie nachhaltig und regional produziert werden kann. Die Autarkie der heimischen Versorgung ist mit der industriellen allerdings nicht gleichzusetzen. Industrielle Prozesse, etwa die Herstellung von grünem Stahl, sind viel zu Energieintensiv, um sie netzunabhängig betreiben zu können. Sicher, Microgrid-Lösungen können Energiekosten senken, doch ein autarker Inselbetrieb sollte eher als Notstromversorgung betrachtet werden. Eine breit angelegte Vernetzung sowie Sektorenkopplung sind für Unternehmen viel wichtiger. Damit wird die Visibilität des Betriebs für den Netzbetreiber erhöht und die Grundlage für einen effizienten Energieeinsatz gelegt. Wie wichtig ein hoher Vernetzungsgrad für die Netzflexibilität ist, zeigt aktuell ein Pilotprojekt, bei dem eine wetterbedingte Überproduktion von Energie flexibel für energieintensive Industrieprozesse eingesetzt wird.