Automatisierung optimieren : Roboter und Menschen kann man nicht teilen
Der Einsatz von Robotern gilt als einfachster Einstieg in die Automatisierung. Der Roboter, egal ob ein kollaborativer oder industrieller, übernimmt schlicht eine Tätigkeit, die bisher von Hand durchgeführt werden musste. Doch an einem typischen Shopfloor gibt es nicht einen Roboter und einen Mitarbeiter, die stets an ein und demselben Produkt arbeiten: Hier müssen mehrere Mitarbeiter mit unterschiedlichen individuellen Stärken mit verschiedenen, für unterschiedliche Tätigkeiten eingesetzen Robotern an einer Mehrzahl an Produktvarianten arbeiten. Dieses komplexe Gefüge so zusammenzustellen, dass der effizienteste Prozess mit dem höchsten möglichen Output entsteh, ist eine Herausforderung.
MILP als Startvorteil im Standortwettbewerb
Die Lösung dieser Herausforderung kann überlebenswichtig für produzierende Betriebe im internationalen Wettbewerb sein. Viola Gallina beschäftigt sich seit 15 Jahren mit der Thematik und hat bei Fraunhofer Austria gemeinsam mit Titanilla Komenda ein Modell dazu veröffentlicht, das eine Lösungsmodell dafür anbietet. Die Basis dafür stammt aus der angewandten Mathematik und heißt „Mixed Integer Linear Programming“, auf deutsch „ganzzahlige lineare Optimierung“. Doch was ist das?
Ganzzahlige Lösungen gefragt
Gallina greift beim Erklären zu einem Beispiel aus dem Alltag, das jeder aus seinen Urlaubsreisevorbereitungen kennt: „In einem Rucksack steht nur begrenzter Volumen zur Verfügung. Daneben habe ich 10 unterschiedliche Gegenstände, die nicht alle in ihm Platz haben. Also suche ich die Packvariante, bei der das verfügbare Volumen optimal ausgefüllt ist.“ Erschwerend dabei ist, dass die Gegenstände nicht teilbar sind und also eine ganzzahlige Lösung gefunden werden muss. Bei der Automatisierung am Shopfloor einer diskreten Fertigung ist es ebenso: Mitarbeiter, Roboter und Produkte können nicht geteilt werden.
Individuelle Fähigkeiten bewerten
Das erste Mal kam Gallina mit dieser Methode noch als Studentin des Wirtschaftsingenieurwesens in Berührung. Doch die Dissertantin erarbeitet das Modell nicht nur theoretisch, sondern wendete MILP (so die Kurzfassung von Mixed Integer Linear Programming) auch in der Praxis an. Der Fahrradhersteller Gepida produziert eine Vielzahl an unterschiedlichen Fahrradmodellen. Dabei werden die Mitarbeiter entsprechend ihren Fähigkeiten eingesetzt, weil jeder einzelne unterschiedliche Talente aufweist – der eine ist schneller, der andere genauer, der dritte wiederum kräftiger. „Das Unternehmen hat nach einer Möglichkeit gesucht, die einzelnen Produktionsschritte so aufeinander abzustimmen, dass das optimale Ergebnis herauskommt“. Dabei entwickelte Gallina, und das ist die Neuheit an dem Ansatz, eine Möglicheit, die Soft Skills der Mitarbeiter abzubilden und in die Gesamtrechnung einzubeziehen.
Effizienteste Ergänzung gesucht
Diesen Ansatz griff die Forscherin bei Fraunhofer Austria bei der Arbeit an Optimierungslösungen für die Mensch-Roboter-Kollaboration wieder auf. Gemeinsam mit Titanilla Komenda, der Fraunhofer-Spezialistin für MRK, erweiterte sie das Modell auf den Robotereinsatz. „Wir haben die Methode in einen neuen Kontext gestellt“, so Gallina. Wie soll eine Linie aussehen, in der nicht nur Menschen gemäß Ihren individuellen Fertigkeiten optimal eingesetzt werden, sondern auch die Roboter die effizienteste Ergänzung darstellen? Das Ergebnis wurde in der Modellierungssprache AIMMS (Advanced Interactive Multidimensional Modeling System) abgebildet, ist jedoch nicht auf diese Softwaremethode beschränkt: Das Modell dahinter lässt sich in jeder anderen Sprache ebenfalls nachbilden.
Reduktion des Aufwands
In einer industriellen Produktion geht es um die Reduktion des Aufwands. Das Modell bietet dazu drei Möglichkeiten: Je nachdem ob die Anzahl der Mitarbeiter, die Anzahl der Roboter und die Taktzeiten minimiert werden sollen, kann das Ergebnis danach optimiert werden. Derzeit ist, so Gallina, in der Regel die Reduktion des Personalaufwands in der Produktion das erste Ziel: „Die Betriebe brauchen die Mitarbeiter woanders, etwa im Refurbishment, im Remanufacturing – also in Bereichen, die noch nicht so automatisiert sind.“
Entscheidungshilfe: Ja oder nein?
Ziel ist es, so Gallina, den Entscheidungsprozess in den Unternehmen mit Hilfe mathematischer Methodik zu verkürzen: Zahlt sich ein Automatisierungsschritt aus, oder eben nicht? Noch konkreter anhand des errechneten Beispiels: „Kaufen wir einen Roboter, ja oder nein – und wenn ja, für welche Aufgaben setze ich ihn in welchem Prozessschritt am besten ein!“
Hier finden Sie einen Fachartikel von Viola Gallina zur Funktionsweise von MILP und zur beschriebenen Methode: Die Optimierung von Montagelinien durch Mensch-Roboter-Kollaboration