Energie für das eisige Ende der Welt : Bachmann-SHM liefert Beitrag zur Energiewende in der Antarktis
Der Kontinent Antarktika, also die Landfläche der Antarktis, ist mit fast 13,2 Millionen km² etwa 37-mal größer als Deutschland – eine weiße Unendlichkeit. Ein Blick aus dem Fenster offenbart die Unwirtlichkeit dieses Ortes: Überall draußen liegt Schnee und Eis. Der bisherige Kälterekord an dem diesem Punkt der Erde beträgt minus 50,2 Grad Celsius, der Wind pfeift mit bis zu 150 Kilometern in der Stunde. Doch in der Neumayer-Station III ist es warm. Die Forschungsstation wird vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, (AWI) betrieben und ist die Basis für die deutsche Antarktisforschung. Die Innentemperatur wird auf 20°C gehalten, um den bis zu 60 Menschen einen komfortablen Arbeits- und Lebensraum zu bieten – eine zuverlässige Energieversorgung sichert ihr Überleben.
Man könnte meinen, dass erneuerbare Energien in der Eiswüste keinen Platz haben. Jedoch zeigt die Antarktisforschung, dass selbst unter den unwirtlichsten Umständen umweltfreundlich Energie gewonnen werden kann. Bachmann trägt seit kurzem einen kleinen, aber wichtigen Teil dazu bei, dass die Forschenden ihre Energie sicher nachhaltig erzeugen können.
Die Neumayer-Station III wächst in die Höhe
Das Eis knirscht unter den Schuhen, als Peter Köhler die riesigen Hydraulikstempel unter der Station inspiziert. Der Diplom-Ingenieur ist der technische Koordinator der Neumayer-Station III. In dieser Forschungssaison hat er als Expeditionsleiter für etwa drei Monate sein Büro im idyllischen Bremerhavener Hafenviertel gegen die Arbeit in einer der unwirtlichsten Regionen der Welt eingetauscht.
Die Neumayer-Station III ist ein Gebäude auf einer Plattform oberhalb der Schneeoberfläche. Die Forschungseinrichtung wird von 16 Stelzen getragen. Regelmäßig heben Techniker die Station mit einer hydraulischen Hebevorrichtung an, um den jährliche Schneezutrag von etwa einem Meter auszugleichen. So wächst die Anlage mit der Schneedecke mit und die Plattform liegt immer etwa sechs Meter über dem Eis.
Innerhalb einer Schutzhülle stehen auf der Plattform mehr als 100 Container mit unterschiedlichen Funktionen in zwei Ebenen übereinander: Wohn- und Schlafräume, Hospital, Küche, Messe, Funkraum und Sanitärräume. Die Energiezentrale ist in eigenen Containern über zwei Stockwerke hinweg untergebracht.
Die Flure versprühen einen eher rauen funktionellen Charme, der ein wenig an die Atmosphäre in einem Krankenhaus erinnert. Doch die Forschenden und das Personal richten sich durchaus so gemütlich ein, wie es die Möglichkeiten erlauben. Unterhalb der Station befindet sich eine Tiefgarage im Eis. Hier parken Fahrzeuge zum Einsatz in Polargebieten – unter anderem Pistenbullys und Motorschlitten.
Station gründet auf schwimmendem Eis
Genau genommen schwimmt die ganze Station: Sie befindet sich auf Schelfeis, eine Art von Meereis, das auf dem Ozean schwimmt und mit einem Gletscher oder einer Eiskappe an Land verbunden ist. Die Gletscherzunge ist beruhigende 250 Meter dick, darunter befinden sich allerdings 300 Meter Wasser. Für die Wissenschaft ist gerade diese unbeständige Umgebung von großem Interesse, denn Schelfeis spielt eine bedeutende Rolle im Klimasystem, weil es den Fluss von Gletschereis ins Meer verlangsamen kann.
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Während die Hydraulikstempel die Neumayer-Station III unter den wachsamen Augen von Peter Köhler langsam auf ihre neue Höhe anheben schnurrt ein Diesel-Motor im Generator-Raum der Station: Die Energieversorgung der ganzjährig besetzten Forschungseinrichtung basierte bislang nämlich hauptsächlich auf Dieselgeneratoren. Deren hohe Zuverlässigkeit ist jedoch mit Schadstoffemissionen bei der Verbrennung fossiler Kraftstoffe verbunden. Zwischen 350 und 500 Tonnen Diesel verbrauchten die drei eingesetzten Dieselgeneratoren mit einer Leistung von je 160 kW bislang jährlich. Etwa eine Million Tonnen Kohlendioxid gelangten so im Dienste der Forschung in die Luft. Doch das ändert sich nun.
Vor dem Hintergrund des Antarktisvertrags zum Schutz der Umwelt soll der Anteil regenerativer Energie an der Energiebilanz der Station zukünftig deutlich erhöht werden – durch die verstärkte Nutzung von Wind- und Sonnenenergie. Dass die erzeugte Energie so weit wie möglich in einem geschlossenen System bleibt und somit optimal genutzt wird, soll zudem für die Nachhaltigkeit der Energieversorgung sorgen. Energieeinsparungen sind die dritte Säule zu einer nachhaltigeren Energieversorgung der Forschenden. Knapp die Hälfte des Diesels lässt sich durch ein solch ausgeklügeltes Energiekonzept einsparen, erläutert Peter Köhler gegenüber Bachmann.
Eine logistische Herausforderung
Bislang sicherten drei dieselbetriebene BHWK, ein Not-BHKW und eine Horizontalachs-Windkraftanlage mit 30 kW Leistung die Energieversorgung von Neumayer III. Der weitere Umbau ist auf fünf Jahre geplant – allein schon wegen der logistischen Herausforderungen:
Der Eisbrecher Polarstern legt jedes Jahr im Spätsommer in Bremerhaven zu einer Antarktis-Expedition ab, fährt um die halbe Welt und transportiert während einer mehrmonatigen Forschungsreise auch sämtliche Ausrüstung auf die andere Seite des Erdballs. Die Zeit zum Ausführen der Arbeiten in der Antarktis ist dabei denkbar knapp: Alle Arbeiten müssen in der sogenannten Sommersaison ausgeführt werden, das ist zwischen November und Februar. Im polaren Winter wird es leerer und dunkel: Zwischen Mai und September sind nur noch ein Kochprofi, drei Ingenieure, ein Arzt und vier Wissenschaftler vor Ort. Sie bilden das Überwinterungsteam. Dann herrscht eine eisige Polarnacht.
Viele der Maßnahmen beim Umbau der Forschungsstation tragen Pilotcharakter. So auch eine erste Vertikalachs-Windkraftanlage. Sie unterstützt das Blockheizkraftwerk der Station mit einer regenerativen Leistung von bis zu 50 Kilowatt und ergänzt die alte Horizontal-Anlage, die bei den extremen Wetterbedingungen mit vielen technischen Problemen zu kämpfen hatte.
Wesentliche Schwerpunkte des modernisierten Energiekonzepts sind neben der Deckung des Energiebedarfs aus regenerativen Quellen zukünftig auch in der Reduzierung des Energiebedarfs der Station festgelegt.Peter Köhler, technischer Koordinator der Neumayer-Station III
Vertikal statt horizontal
Die neue Windkraftanlage ist ein sogenannter H-Windgenerator mit vertikal stehender Rotationsachse. Ihr besonderer Vorteil: Als H-Windgenerator kann die Anlage den Wind aus allen Richtungen effektiv nutzen, ohne dass das Rotorblatt verstellt oder die Gondel nachgeführt werden muss. Der Rotordurchmesser beträgt 10 m. Strom wird bei schwachem Windlagen von 2 m/s bis zu stürmischen Windgeschwindigkeiten von 25 m/s erzeugt. Schon diese erste Anlage spart nach Berechnungen das Alfred-Wegener-Instituts bereits 11.300 l Diesel pro Jahr ein.
Wie bei der Forschungsstation ist der jährliche Schneezutrag auch bei der Windenergie ist eine enorme Herausforderung. Die Krankapazitäten sind begrenzt und die Klimabedingungen sind rau. Daher musste die Windkraftanlage ein geringes Gewicht und gleichzeitig einen robusten Aufbau besitzen sowie obendrein verstellbar sein.
Gelöst wurde die Herausforderung des Schneezutrags durch ein sternförmiges Fundament, das im Schnee gegründet ist. Die Anlage wiegt mit einem Gesamtgewicht von rund 8 t so wenig, dass sie von einem Raupendrehkran jährlich um den Schneezutrag angehoben werden kann. Das Fundament versinkt dabei mit jeder Erhöhung tiefer im Firnschnee. Um das auszugleichen, werden standardisierte Erhöhungselemente zwischen dem konisch zulaufenden Turmelement und dem Fundamentstern eingesetzt.
Zwei weitere Windanlagen gleicher Bauart sind bereits fest eingeplant. Zusätzlich könnten später dann optional noch einmal zwei Anlagen errichtet werden, so dass fünf Windkraftanlagen eine Leistung von jeweils 50 kW bereitstellen würden.
Messdaten dienen Folgeanlagen
Grundlage für die Konstruktion der noch folgenden Anlagen sind die gesammelten Daten eines von Bachmann entwickelten, hergestellten und gelieferten Strukturüberwachungssystems (SHM; Structural Health Monitoring).
Dieses sammelt am Turm der neuen Windkraftanlage der Neumayer-Station III systematisch Messdaten zu Eigenfrequenz, Neigung und Beschleunigungs-Effektivwerten. „Wir werten das als ersten Erfolg“, sagt Peter Köhler über die bisherigen Erfahrungen, die allen Beteiligten laufend neue Erkenntnisse bringen.
Die rauen Umgebungsbedingungen und extremen Temperaturanforderungen verlangen besonderes robuste Hardware und Sensorik. 2D MEMS-Beschleunigungssensoren von Bachmann sammeln unter den schroffen Bedingungen der Antarktis die Messdaten für die Überwachung der Windanlage. Die im Außenbereich installierte Bachmann-Messtechnik ist für einen dauerhaften Betrieb bei Temperaturen von -30° bis +60°C ausgelegt und erträgt Temperaturspitzen von -40° bis +70°C.
Speziell für die Kälte entwickelt
Die Messdaten werden durch ein Universal-Ein-/Ausgangsmodul GIO212 CC mit zwölf Kanälen erfasst. Im Schaltschrank am Turm der Windanlage kommt zudem ein Prozessor vom Typ MC212 CC zum Einsatz, „CC“ steht dabei für „Cold Climate“, zu Deutsch „kaltes Klima“. Der Industrie-PCs besitzt einen Dual Core-Prozessor mit 1,3 GHz Rechenleistung sowie 2 GB DDR4 Hauptspeicher, was es ihm ermöglicht, die gesammelten Messdaten schnell und sicher zu verarbeiten. Für die Stromversorgung dient ein NT255-Netzteilmodul.
Alle Module wurden einem 100-Prozent-Test im Betrieb unterzogen, bevor sie die Produktionsstätten verlassen haben. Ein Standard-Verfahren bei Bachmann, bei dem die Hardware extreme Temperaturwechselphasen in Klimakammern über sich ergehen lassen muss, so dass sie auch für einen Einsatz in der Antarktis gut gerüstet ist.
Die Sensor-Daten des SHM-Systems in der Antarktis werden zunächst per Ethernet-Link in das Intranet der Polarstation übertragen und gehen dann später per Satellit nach Europa, wo sie vom Bachmann-Partner P.E. Concepts systematisch ausgewertet werden. Die im ersten Betriebsjahr aufgezeichneten Daten befinden sich momentan in der Auswertung. „Wir erwarten uns davon eine Aussage zum gewählten Mast-Design und dazu, ob unsere Ausgangsprognosen zutreffend sind“, erklärt AWI-Ingenieur Köhler. Mit diesen Erkenntnissen wird die Konstruktion der nachfolgenden Windanlagen falls nötig optimiert. Köhler zeigt sich aber zuversichtlich, dass keine größeren Änderungen notwendig sind: „Wir gehen von der Bestätigung des sicheren Betriebs der Turbine auf dem neu entwickelten Mast aus.“
Zur Datenauswertung und für die Reporte dient die Software „WebLog Expert“. Das ist ein browserbasiertes Softwaretool von Bachmann mit dem mittels eines handelsüblichen Webbrowsers eine detaillierte Analyse der Schwingungsdaten und der Zugriff auf die Konfiguration der Systemparameter für die Bachmann-Hardware möglich ist.
Für die Überwachung von Turm- und Gründungsstrukturen wurde WebLog Expert eigens um neue Funktionalitäten zur Strukturüberwachung erweitert. So bietet die Software nun eine einheitliche Plattform für die ganzheitliche Anlagenüberwachung. Sowohl Triebstrang als auch die Struktur lassen sich betrachten.
Fassade wird mit Solarelementen verkleidet
Die Erkenntnisse aus den Messdaten fließen derzeit in die Konstruktion der zweiten Windturbine von Neumayer III, die in der Sommersaison 2024/2025 errichtet werden soll. Geplant sind die Arbeiten zwischen November 2024 und Februar 2025.
Doch das komplexe energetische Konzept der Neumayer-Station III reicht noch sehr viel weiter als nur bis zu den Windkraftanlagen: „Wesentliche Schwerpunkte des modernisierten Energiekonzepts sind neben der Deckung des Energiebedarfs aus regenerativen Quellen zukünftig auch in der Reduzierung des Energiebedarfs der Station festgelegt,“ erläutert Peter Köhler.
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Für die Gewinnung regenerativer Energie spielt künftig auch die Fassade der Station eine wichtige Rolle. Sie wird mit Photovoltaik-Elementen ausgestattet. 53 kWp sollen die Module liefern. Bei den Windverhältnissen vor Ort ist das ebenfalls eine knifflige Aufgabe. Um die Energie zwischenzuspeichern wird außerdem ein Batteriespeicher mit einer Leistung von 500 kW/h installiert. Hinzu kommt ein Thermospeicher: ein Wasserspeicher mit 10 m3 Fassungsvermögen. Last but not least werden die bisherigen BHKW durch zwei große und zwei kleinere neue Blockheizkraftwerke ersetzt. All das sorgt künftig für nachhaltige Energie.
Ein letzter Blick aus dem Fenster: Draußen pfeift der Wind, Schneeböen stoben auf. Drinnen ist es angenehm warm. Moderne und zuverlässige Technik sorgt dafür, dass das so bleibt und die Forschenden ihre Arbeit verrichten können.
Wie empfindlich das Schelfeis der Antarktis auf den Klimawandel reagiert, ist ein Schlüsselelement der Forschung, das dazu beitragen wird, besser vorherzusagen, wann und wie stark die polaren Eisschilde schmelzen könnten. Mit diesem Wissen kann die gesamte Menschheit sich besser gegen das wappnen, was auf sie zukommen wird. Die Daten der Windturbine der Neumayer-Station III leisten ihren kleinen Teil in diesem großen Schicksalsspiel des Lebens.
Über den Autor
Frank Fladerer ist Journalist mit Erfahrung bei Tageszeitungen und technischen Fachmagazinen. Bei der Bachmann Electronic GmbH ist er in der Unternehmenskommunikation tätig.