Datensouveränität : Gaia-X – die europäische Cloud-Infrastruktur als Emanzipationversuch


Manch einer bezeichnet Gaia-X als die nächste europäische Cloud, die die Privatsphäre ihrer Nutzer und deren Daten respektiert und eine ethische Antwort auf die Cloud-Dienste der Hyperscaler der IT-Giganten AWS, Microsoft, Alibaba und Co. sein soll. Doch anstatt eine weitere Cloud aufzubauen, sieht Gaia-X eine Netzwerkinfrastruktur vor, die mehrere heterogene Cloud-Systeme und alle Arten von Datenökosystemen miteinander verbinden kann, wobei die staatlichen Anforderungen und Gesetze der Europäischen Union eingehalten werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die entstehende Infrastruktur ein vernetztes System ist, das viele Anbieter von Cloud-Diensten und Datenquellen von privaten Unternehmen über die Wissenschaft bis hin zu NGOs miteinander verbindet und gleichzeitig Offenheit, Transparenz und Vertrauen gewährleistet.


Der aktuelle Stand der Dinge: Gaia-X hat ein Imageproblem


Der Plan ist ambitioniert, doch die Umsetzung stockt und das Interesse in der Wirtschaft ist bescheiden. Bevor wir uns mit der Entstehungsgeschichte und dem großen Bild beschäftigen, werfen wir einen Blick auf die aussagekräftigsten Statistiken zum Thema Gaia-X.




GAIA-X (und alle in diesem Zusammenhang gestarteten Projekte) betreten ein Terrain, das europäische Unternehmen schon vor langer Zeit in die Hände US-amerikanischer und chinesischer Konzerne gelegt hatten. Sowohl die Bestrebungen der IT-Anbieter, eine echte Hyperscale-Cloud in Europa zu lancieren, als auch die hochgelobten "Cloud First"-Strategien der Anwender waren ein gefundenes Fressen für Amazon Web Services, Google, Microsoft Azure oder Alibaba.

Das Interesse aus der Wirtschaft ist jedenfalls gering. Das zeigen verschiedene Studien, die sich mit der Frage auseinandersetzen: Kennen die Unternehmen und die Führungskräfte überhaupt das Projekt? Die Antwort ist ernüchternd. Nur sechs Prozent der deutschen Unternehmen wissen von Gaia-X, immerhin 23 Prozent der Führungskräfte haben schon einmal davon gehört.

Bei jenen Unternehmen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, stehen zwei Argumente für die EU-Cloudinfrastruktur ganz klar im Vordergrund: Cybersecurity und Rechtssicherheit beim Datenschutz. Hier bietet das EU-Projekt ein ein konformes Mittel. Als drittwichtigster Faktor wird der souveräner und vertrauensvoller Datenaustausch genannt - vor allem in der Industrie will man seine Daten nicht in eine Cloud hochladen, wo man nicht weiß, wo sie dann landen und wer alles darauf Zugriff hat. Hier verspricht man sich von Gaia-X ein strenges und sicheres Reglement.


Rückblick: Die Digitalstrategie der Europäischen Union


2020 leitete die EU-Kommission mit einer neuen Digitalstrategie einen digitalen Transformationsprozess ein. Im Mittelpunkt steht die Vision der digitalen Unabhängigkeit. Von wem genau man sich unabhängig machen wolle und wie diese Souveränität endgültig aussehen soll, wurde nicht definiert - klar ist aber, dass man im globalen Wettlauf um die technologische Vormacht im digitalen Raum zu den Vorreitern China und USA wieder aufholen und dabei auf eigene Standards setzen möchte.


Die wichtigsten EU-Initiativen im Überblick



Im Nachklang zur Strategie für den digitalen Binnenmarkt 2014 - 2019 hat die Europäische Kommission am 19. Februar 2020 eine Reihe von Dokumenten veröffentlicht, die Europas digitale Zukunft prägen sollen. Im veröffentlichten Papier zur digitalen Strategie wird dargelegt, wie sie Europa in den nächsten fünf Jahren als führend in der digitalen Welt in Bezug auf Daten positionieren will, insbesondere durch Schlüsselziele in Bezug auf digitale Technologien. Zu den veröffentlichten Dokumenten gehören das White Paper über Künstliche Intelligenz (KI), die Europäische Strategie für Daten und die Digitale Strategie.

Künstliche Intelligenz

Die Europäische Kommission hat vorgeschlagen, 15 Mrd. EUR in den Cluster "Digital, Industrie und Raumfahrt" zu investieren, wobei KI eine der Hauptaktivitäten ist. Fast 2,5 Mrd. EUR sollen in den Einsatz von Datenplattformen und KI-Anwendungen investiert werden. Ziel des Programmes ist es, Ressourcen zu mobilisieren, um ein "Ökosystem der Exzellenz" zu erreichen und ein einzigartiges "Ökosystem des Vertrauens" zu schaffen.

Die Europäische Kommission skizziert mehrere Schlüsselanforderungen für risikoreiche KI-Anwendungen, die sich aus folgenden Hauptmerkmalen zusammensetzen: Daten- und Datenspeicherung, bereitzustellende Informationen, Robustheit und Genauigkeit, menschliche Aufsicht sowie spezifische Anforderungen für bestimmte KI-Anwendungen, wie z. B. solche, die für die biometrische Fernidentifizierung verwendet werden.

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White Paper zur KI

Europäische Datenstrategie

Ziel der Strategie ist es, einen echten Binnenmarkt für Daten zu schaffen, in dem personenbezogene und nicht-personenbezogene Daten, einschließlich vertraulicher und sensibler Daten, sicher sind und in dem Unternehmen und der öffentliche Sektor einfachen Zugang zu riesigen Mengen hochwertiger Daten haben, um neue Produkte und Innovationen zu schaffen. Darüber hinaus setzt die EU einen starken Akzent auf die Cybersicherheit, indem sie die Zusammenarbeit durch eine gemeinsame Cybereinheit fördert, die kritische europäische Infrastrukturen schützt und den Binnenmarkt für Cybersicherheit stärkt.

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Die europäische Datenstrategie

Digital Service Act - Regulierung digitaler Dienste

Im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste werden strengere Regeln zur Stärkung der Verpflichtungen von sozialen Medienplattformen zur Bekämpfung von Fake News und anderen schädlichen Inhalten eingeführt. Dazu könnte auch die Überwachung von Algorithmen gehören, um zu verhindern, dass Entscheidungen darüber, wie diese Unternehmen Inhalte moderieren, in "Black Boxes" getroffen werden. Darüber hinaus verspricht das Gesetz über digitale Dienste, Internetunternehmen mehr Verantwortung für die von ihren Nutzern hochgeladenen Inhalte zu übertragen. Das unmittelbare Ziel der Europäischen Kommission ist die Öffnung der digitalen Märkte und der Abbau von Hindernissen für Start-up-Unternehmen, da 90 Prozent der Plattformen in der EU solche Start-up-Unternehmen sind.

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Der Digital Service Act

Gaia-X erklärt: Die Architektur des Cloud-Netzwerkes


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Die Gründungsmitglieder von Gaia-X:

Zu den Gründungsmitgliedern gehören auf der deutschen Seite Beckhoff Automation, BMW, Robert Bosch, DE-CIX, die Deutsche Telekom, German Edge Cloud, PlusServer, SAP und Siemens. Außerdem sind die Fraunhofer-Gesellschaft, die International Data Spaces Association und die europäische Cloudanbietervereinigung Cispe Mitgründer der GAIA-X-Entität.

Auf französischer Seite gehören Amadeus, Atos, Docaposte, EDF, IMT – Institut Mines-Télécom, Orange, Outscale, OVHcloud, Safran und Scaleway (mittlerweile aus dem Konsortium ausgetreten) zu den Gründungsmitgliedern.


* Mittlerweile hat sich die Anzahl der Mitglieder beträchtlich erhöht und es werden ständig weiteree Mitglieder aufgenommen.


Die Kernkomponenten, die das Fundament von Gaia-X bilden, werden als Federation Services bezeichnet. Um sie herum gibt es weitere Begriffe und Technologien, wie die rechtliche Grundlage, die durch das "Policy Rules Document" gestützt wird, und Datenräume, die mit Smart Services verknüpft sind und zusammen ein Daten-Ökosystem bilden. Es wird vom Policy Rules Committee des Gaia-X AISBL erstellt, mit möglicher Mitarbeit und Feedback der Community. Die Federation Services definieren die technischen Anforderungen und Dienste, die für den Betrieb des föderierten Gaia-X-Ökosystems erforderlich sind, und gewährleisten damit die höchstmöglichen Sicherheitsanforderungen und den Schutz der Privatsphäre.


Breites Aufgabenspektrum: Die Kernelemente von Gaia-X


Data Spaces

Ein ebenso wichtiges Kernelement von Gaia-X ist die Art der Datenbeziehung, die es zwischen seinen vertrauenswürdigen Mitgliedern schafft, die sich an die gleichen hohen Standards und Richtlinien halten, wenn es um die Speicherung und den Austausch von Daten geht. Die Daten werden nicht mehr zentral gespeichert, sondern an der Quelle.

Standards

Gaia-X entwickelt eine Architektur von Standards, die bestehende Normen und Verhaltenskodizes beschreibt und anpasst und gleichzeitig die Datennutzungspolitik durchsetzt. Auf der Grundlage dieser Normen verbindet Gaia-X alle Akteure, um die Übertragbarkeit, Interoperabilität und Konnektivität des Datenraum-Ökosystems zu ermöglichen und so eine digitale Wirtschaft im Einklang mit diesen Normen und europäischen Werten und Normen zu fördern.

Sicherheitsfragen

Cloudera-Experte fordert mehr Maßnahmen der EU

Die Umsetzung: Ukrainekrieg bremst Investitionen


Gaia-X Pilotprojekte

EU-weit werden rund 60 Pilotprojekte umgesetzt. Hier sind die interessantesten Projekte:

Marispace-X: Aufbau eines ganzheitlichen digitalen Ökosystems für den Ozean.

MERLOT: fokussiert auf die sichere und verantwortungsvolle Bereitstellung und Nutzung persönlicher Daten im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Bildung. Es soll die individuelle Bildungs- und Kompetenzentwicklung von Lernenden unterstützen und Bildungsgerechtigkeit fördern.

dataLOFT: Ziel des Projektes ist ein „Bürger-zentrierter Gesundheitsdatenraum“, in dem Bürgerinnen und Bürger im Zentrum stehen und von Leistungsempfängern zu Partnern werden.

OPEN GPT-X: Zehn deutsche Organisationen aus Wirtschaft, Wissenschaft und der Medienbranche entwickeln die europäische Antwort auf GPT-3 – einem Textgenerator auf Basis von Künstlicher Intelligenz.


Entscheidend bei der Umsetzung sind die nationalen Gaia-X-Hubs, die die Initiative in den EU-Mitgliedsstaaten vorantreiben und lenken sollen. Ihre Hauptziele sind die Entwicklung von Ökosystemen, die Bündelung nationaler Initiativen und die Bereitstellung einer zentralen Anlaufstelle für interessierte Kreise in ihren jeweiligen Ländern. Alle GAIA-X Hubs stehen in engem Austausch miteinander, um eine internationale Abstimmung ihrer Aktivitäten, die Definition von Anforderungen und die Identifizierung von regulatorischen Hürden zu gewährleisten. Ein zukünftiges Netzwerk von GAIA-X Hubs wird das Wachstum eines dynamischen Ökosystems von unten nach oben unterstützen, von der nationalen zur europäischen Ebene.

Doch auch hier verläuft die Implementierung schleppend, in gerade einmal 14 Staaten wurden erst Hubs eröffnet. In Deutschland wollte man Anfang 2022 aufs Gas drücken und die Initiative mit 16 Leuchtturmprojekten beflügeln. Die Bundesnetzagentur startete einen Förderwettbewerb, der mit 117 Millionen Euro satt dotiert war. Doch Ende März folgte die Ernüchterung: Fünf Projekten wurde die Förderung wieder entzogen, als Grund wird der Ukrainekrieg genannt. Der deutsche Bundeshaushalt hat derzeit andere Prioritäten.

Fraunhofer IAO

Praxiseinstieg in digitale Ökosysteme am Beispiel Gaia-X


Heftige Kritik an Einfluss von Google, Microsoft und Co.


Alle Mitglieder von Gaia-X

Gaia-X

Wie geht es weiter mit Europas Cloudprojekt?

Gaia-X-Hub in Österreich eröffnet, Fokus auf Industrie


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Die Organisation:

Zum Aufbau des österreichischen Gaia-X Hubs wurde ein operatives Management Board mit sechs Experten, die von den beiden Ministerien entsandt wurden, eingerichtet. Zusätzlich wird ein Advisory Board zur breiten Einbindung der österreichischen Daten- und IT-Community und zur strategischen Beratung implementiert.


Mitglieder des Management Boards:

Helmut Leopold (AIT), Georg Hahn (OSSBIG), Tobias Höllwarth (Eurocloud), Christian Tauber (ICT), Roland Sommer (Industrie 4.0), Günther Tschabuschnig (DIO)

Alle Organisationen und Unternehmen, die an und mit Anwendungsfällen arbeiten, Fachwissen und Ressourcen bereitstellen oder daran interessiert sind, ein Stakeholder zu werden und Datenräume zu schaffen, sind willkommen, dem Gaia-X Hub Austria beizutreten. Beteiligen können sich Industrie- und Gewerbebetriebe genauso wie KMU, Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft und der öffentlichen Verwaltung.

FAQs: Die wichtigsten Antworten auf Ihre Fragen

Was ist Gaia-X?

Gaia-X wurde geschaffen, um eine sichere, offene und souveräne Nutzung von Daten zu ermöglichen. Auf diese Weise kann selbstbestimmt entschieden werden, wie und wo Daten innerhalb der Dateninfrastruktur gespeichert, verarbeitet und genutzt werden.

Wie ist Gaia-X organisiert?

Die Organisationsstruktur von Gaia-X besteht aus drei Organen: der Gaia-X Association, den nationalen Gaia-X Hubs und der Gaia-X Community. Innerhalb dieser Gremien gibt es verschiedene Arbeitsgruppen und Ausschüsse. Der Austausch innerhalb der Säulen und mit anderen Akteuren (z.B. EU-Kommission, internationale Initiativen) ist gewährleistet.

Was ist die Rolle der nationalen Gaia-X Hubs?

Die Gaia-X Hubs fungieren als Sprachrohr der Nutzerökosysteme auf nationaler Ebene. Sie entwickeln Ökosysteme, bündeln nationale Initiativen und bieten eine zentrale Anlaufstelle für Interessierte in ihrem jeweiligen Land. Alle Gaia-X Hubs stehen in engem Austausch miteinander, um eine internationale Abstimmung über ihre Aktivitäten zu gewährleisten, Anforderungen zu definieren und regulatorische Hürden zu identifizieren. Das Netzwerk der Gaia-X Hubs wird das Wachstum eines dynamischen Ökosystems von unten nach oben unterstützen, von der nationalen Ebene bis hin zur europäischen und internationalen Ebene. .

Was kann Gaia-X im Vergleich zu Hyperscalern besser?

Gaia-X soll nicht in Konkurrenz zu bestehenden Angeboten von global agierenden Cloudanbietern, sogenannten Hyperscalern, treten. Vielmehr sollen möglichst viele Anbieter ihre Dienste über Gaia-X zur Verfügung stellen können.

Wieso steht Gaia-X in der Kritik?

Im Zentrum der Kritik steht die Tatsache, dass sich unter den Mitgliedern jene Hyperscaler befinden, von denen man sich eigentlich emanzipieren möchte. Außerdem wird die überbordende Bürokratie kritisiert.

Welchen Mehrwert bietet Gaia-X für KMUs?

Gaia-X ermöglicht den Austausch von Daten innerhalb und zwischen Branchen und auch die Verbindung von Daten und Diensten über Anbieter - und Kundengrenzen hinweg. Insbesondere vereinfacht es die Zusammenarbeit zwischen Edge- und Cloud-Instanzen. Gemeinsame Standards helfen dabei, branchenspezifische Datensilos aufzubrechen, die aufgrund fehlender Datenschnittstellen nicht verknüpft und ausgewertet werden können.