Gleichstrom : Wie Fraunhofer die Energieversorgung von Anlagen auf Gleichstrom umstellen will
Seit Ende des 19. Jahrhunderts dominiert Wechselstrom die elektrische Energieübertragung und -verteilung, er kommt auch in Deutschland aus der Steckdose. Fraunhofer-Forscher wollen dies für die industrielle Produktion ändern: "Die Gründe, in der Industrie von Wechsel- auf Gleichstrom umzustellen, sind vielfältig", sagt Timm Kuhlmann, Wissenschaftler am Fraunhofer IPA in Stuttgart. Dem Forscher und seinen Projektpartnern ist es ein Anliegen, einen Paradigmenwechsel in der industriellen Stromversorgung herbeizuführen und langfristig komplette Fabrikhallen von Wechselstrom auf Gleichstrom umzurüsten. "Im Alltag sind wir häufig mit Gleichstrom (auch DC, kurz für Direct Current, genannt) konfrontiert: Computer und Smartphones, aber auch LEDs arbeiten mit Gleichstrom und benötigen ein Netzteil, um diesen zur Verfügung zu stellen", erläutert der Ingenieur. Auch bei der Stromerzeugung hat sich die Situation geändert: Während beispielsweise Kohle- und Kernkraftwerke Wechselstrom (AC, kurz für Alternating Current) erzeugen, stellen insbesondere lokal verfügbare erneuerbare Energieressourcen, wie Photovoltaikanlagen, prinzipbedingt Gleichstrom zur Verfügung. Letzteres gilt auch für elektrochemische Energiespeichersysteme.
Energiesparende Alternative für Antriebe in der Produktion
Im Projekt DC-INDUSTRIE 2 haben es sich die Forscher des Fraunhofer IPA und des Fraunhofer IISB in Kooperation mit mehr als 30 Partnern zur Aufgabe gemacht, ein Konzept für ein intelligentes DC-Versorgungssystem zu entwickeln und zu erproben, das eine Produktionshalle günstig mit Gleichstrom versorgen kann. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie BMWi fördert das Vorhaben, das bis Ende 2022 läuft.
Die Ergebnisse des Vorgängerprojekts DC-INDUSTRIE stimmen zuversichtlich: Die Machbarkeit einer dezentralen Energieflussregelung eines DC-Versorgungsnetzes in der Fabrik konnte nachgewiesen werden. Auch wurden durch den Übergang von Wechsel- auf Gleichspannung Effizienzsteigerungen im Bereich zwischen fünf und zehn Prozent erzielt, was sich insbesondere darauf zurückführen lässt, dass die Nutzung von überschüssiger Bremsenergie drehzahlgeregelter Antriebe über ein Gleichspannungsnetz einfach möglich ist. Vier Testanlagen wurden mit DC-Komponenten unterschiedlicher Hersteller ausgerüstet und in Betrieb genommen. Nun gilt es, das erprobte Konzept für einen Maschinenverbund auf eine Produktionshalle zu übertragen. "In dem Folgeprojekt DC-INDUSTRIE 2 wollen wir zum einen eine noch höhere Energieeffizienz erreichen, CO2-Emissionen reduzieren und zum anderen flexibel auf die Einführung klimaneutraler Technologien reagieren können. Mit einem lokalen Gleichstromnetz in der Fabrik kann man Energieschwankungen leichter ausgleichen, die beispielsweise wetterbedingt regenerative Energien oder zunehmende Schwankungen des öffentlichen Versorgungsnetzes mit sich bringen", so Kuhlmann.
Hinzu kommt, dass in der Produktion ein Großteil der eingesetzten Antriebe über Frequenzumrichter drehzahlgeregelt wird. Diese Umrichter sind ebenfalls Gleichstromverbraucher. Um also für einen Elektromotor eine variable Spannung und Frequenz zur Verfügung zu stellen, muss zunächst die Netzwechselspannung gleichgerichtet werden. Mit dem Wegfall dieser Wandlungsstufe durch die direkte Versorgung des Frequenz-umrichters mit Gleichspannung lassen sich daher Energiewandlungsverluste einsparen und die Rückspeisung von Bremsenergie wird einfach möglich. Ein weiterer Vorteil ergibt sich dadurch, dass gerade die Gleichrichterstufen zu einer starken Oberschwingungsbelastung des AC-Netzes führen, was aufwendige und kostenintensive Filtermaßnahmen notwendig macht, um die normativ geforderte Spannungsqualität sicherzustellen. Auf diesen Aufwand kann man bei einem DC-Netz verzichten.
DC-Smart-Grid sichert Energieversorgung effizient
Ein weiterer Vorteil: Die Lastflussaufteilung zwischen Speichersystemen, der Netzeinspeisung und erneuerbaren Energiequellen ist dezentral organisiert und basiert auf der Netzspannung als Indikator. "Das große Potenzial der Gleichstromversorgung in der Produktion liegt in der Kopplung aller elektrischen Anlagen der Fabrik zu einem intelligenten DC-Netz. Dieses ermöglicht es, die Verfügbarkeit und Qualität der elektrischen Versorgung vor Ort zu verbessern und so die Zuverlässigkeit der Produktion zu steigern", sagt der Forscher vom Fraunhofer IPA, der im Projekt gemeinsam mit seinem Team für die Anforderungsanalyse der Unternehmen, den Transformationsprozess und das Netzmanagement verantwortlich ist. Die Kollegen am Fraunhofer IISB kümmern sich indessen um die gerätetechnische Umsetzung, z.B. die Implementierung von Gleichstromwandlern und Schutzelementen, die Untersuchung des Netzes hinsichtlich seiner Groß- und Kleinsignalstabilität sowie die dezentrale Regelung von vielen zusammengeschalteten Wandlersystemen. "Konkret etablieren wir Mikronetz-Topologien, sprich Regelungscluster, die es uns erlauben, Energiespeicherung, -erzeugung und -verbrauch vor Ort untereinander auszugleichen und zu koordinieren. Sie lassen sich autark betreiben", so Kuhlmann.
Die neue Netzstruktur basiert auf einer oder mehreren Schnittstellen zum AC-Verteilnetz, die über aktive oder passive Gleichrichter die Gleichspannungsversorgung für die Produktionsanlagen bereitstellt. Alle installierten Verbraucher wie frequenzgeregelte Elektromotoren, die Beleuchtung und Prozesstechnologien werden direkt mit Gleichstrom versorgt und sind über ein gemeinsames Gleichspannungsnetz verbunden, das in einem Spannungsband von ±zehn Prozent um einen Nennwert von 650 Volt arbeitet. Dies erlaubt den direkten Energieaustausch zwischen allen Antrieben, die beispielsweise in Robotern oder Werkzeugspindeln regelmäßig beschleunigen und bremsen. Komponenten, die normalerweise überflüssige Energie verheizen, wie etwa Bremswiderstände, entfallen. Möglich werden solche neuen technologischen Infrastrukturen erst durch die Weiterentwicklung von Leistungshalbleitern: Die hohen Kosten für Komponenten, zum Schalten von Gleichströmen, sind durch moderne leistungselektronische Bauelemente wesentlich gesunken. "Wir können zwischen fünf bis zehn Prozent Energie einsparen, indem wir einfach Gleichstrom verwenden", so der Ingenieur.
Weitere Tests in Versuchshallen sowie in der Factory 56 in Stuttgart/Sindelfingen wurden bereits gestartet. In der Fertigungsstätte des Projektpartners Daimler befinden sich aktive, bidirektionale Gleichrichter, sogenannte Active Infeed Converter, die direkt am Netzanschluss angeschlossen sind und erste Anlagen mit DC-Strom versorgen. »Bidirektional bedeutet, dass man dem externen Wechselstromnetz Energie als Dienstleistung anbieten kann, wenn man große Erzeugungskapazitäten vorrätig hat. Es handelt sich also nicht um eine Einbahnstraße. Der Verbraucher profitiert vielmehr von der Energiewende in der Industrie 4.0", so Kuhlmann.