Blog : Schach und Matt

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Das Duell, das im Herbst 2018 für Aufsehen sorgte, lautete Alpha Zero gegen Stockfish: Künstliche Intelligenz gegen Computerprogramm. Ein Duell auf höchstem Niveau: Stockfish ist der Klassenprimus unter den verfügbaren Schachprogrammen. Es ist eine Open Source Software, die unter General Public Licence steht und seit zehn Jahren von einer Vielzahl an Entwicklern ständig verbessert wird. Stockfish ist dermaßen stark, dass Ex-Schachweltmeister ViswanathanAnand sich längst nicht mehr als ernsthaften Gegner sieht: Er sei froh, wenn er von hundert Partien gegen Stockfish zwei unentschieden halten könne und nur 98 verlieren würde. Stockfish nutzt, genau wie vergleichbare Programme namens Houdini oder Komodo, Eröffnungs- und Endspieldatenbanken und kennt damit so circa jede ernsthafte Schachpartie, die je gespielt wurde. In Stockfish steckt damit das gesamte Wissen, das der Mensch jemals über dieses jahrhundertealte Spiel gesammelt hat, nur ohne die menschlichen Unzulänglichkeiten wie begrenzte Aufmerksamkeitsspanne, Gedächtnislücken oder Denkfehler, befeuert durch immense Rechenleistung im Hintergrund. Das galt als das höchste der Möglichkeiten – bis sich Ende 2017 eine künstliche Intelligenz ans Schachbrett setzte.

28 zu Null

Alpha Zero wird von einem KI-Start up namens Deep Mind entwickelt und von Google vor drei Jahren um kolportierte 500 Mio. Dollar gekauft. Das Projekt soll die Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz in Form von „Deep Learning“ ausloten. Es ist als neuronales Netz konzipiert, imitiert in seiner Informationsverarbeitung und in seiner Lernkurve also das menschliche Gehirn. An einem Morgen im Herbst des Vorjahres wurde Alpha Zero mit dem Schachspiel bekannt gemacht. Die einzigen Informationen, mit denen die Algorithmen gefüttert wurden, waren die Ausgangsstellung, die Regeln nach denen die Figuren bewegt werden dürfen, sowie das Ziel der Unternehmung: Den gegnerischen König Matt zu setzen. Auf dieser Grundlage brachte sich Alpha Zero Schach selbst bei, indem es unzählige Partien gegen sich selbst spielte – ganze vier Stunden lang. Dann, quasi nach dem Mittagessen dieses ersten Schachtags von Alpha Zero, kam es zu einem Match gegen Stockfish. Das Ergebnis: Von den 25 Partien, in denen die Künstliche Intelligenz die weißen Steine führte, gewann sie alle 25. Und von den Partien mit den schwarzen Steinen verlor Alpha Zero keine, konnte aber drei gewinnen. Die Schachwelt war fassungslos. Die haushohe Überlegenheit von Künstlicher Intelligenz gegenüber allem, was der Mensch mit seinen Fähigkeiten programmieren kann, war mit einem Schlag offensichtlich geworden. Das eigentliche Match, das die Digitialisierung in den kommenden Jahren prägen wird, lautet nicht mehr Mensch oder Computer – es lautet: KI gegen IT.

Wunsch und Wirklichkeit: Fehlende KI-Strategie bremst

Die Erwartungen der Industrie an Künstliche Intelligenz sind dementsprechend hoch. Das zeigt eine Studie der Boston Consulting Group (BCG), die Anfang 2018 über 1.000 Unternehmen in zwölf Ländern befragte. 9 von 10 Führungskräften planen demnach, in den nächsten drei Jahren Künstliche Intelligenz in der Produktion einzusetzen. Alleine in Österreich, so die Berechnungen der BCG, könnte durch KI zusätzliche Wertschöpfung von fünf Milliarden Euro entstehen. Doch die Sachte hat freilich einen Haken: „Einen konkreten strategischen Plan zur Umsetzung von KI hat nur jedes fünfte Unternehmen“, erklärt Dr. Hannes Pichler, BCG-Partner in Österreich. International sei das schon ganz anders: „Führungskräfte in China oder Indien beschäftigen sich nicht mehr mit der Einführung von KI, sondern bereits mit der Optimierung ihrer smarten Fabriken“, so Pichler.

Wenn Selbsterkenntnis allerdings der erste Schritt zur Besserung ist, sind heimische Unternehmen auf dem richtigen Weg: Fast 70 Prozent der über 100 befragten österreichischen Führungskräfte gaben an, dass ihre Unternehmen über zu wenig Kompetenzen im Bereich KI verfüge. Das bremst die Einführung neuer Technologien auf allen Ebenen: Es fehlt vor allem an Wissen über Datenmanagement, Analytics und Programmierung. Doch mit dem Ingenieurwissen alleine wäre es nicht getan, sagt Pichler: „Die Mitarbeiter müssen auch wissen, wie sie KI anwenden können. Denn eine erfolgreiche Integration von KI kann nur gelingen, wenn lernende Systeme und menschliche Erfahrungen ineinander greifen.“

Parameter sauber definieren

Wie gut dieses Ineinandergreifen funktionieren kann, zeigt sich seit Anfang April an einem weiteren Beispiel aus dem Schachspiel. Leela Zero heißt die Schach-KI, die wie Stockfish als Open Source Software konzipiert ist. Sie lernt nicht durch Spiele gegen sich selbst, sondern indem sie Schachspieler aus aller Welt zum Spielen und Lernen einlädt und so die freiwilligen menschlichen Ressourcen zum Weiterentwicklen nutzt. Drei Wochen nach Eröffnung des Projekts schlug Leela erstmals einen menschlichen Großmeister. Andrew Tang musste mit 4 zu 40 die Waffen strecken, genoss die erteilte Lehrstunde aber sichtlich. Im Sommer soll Leela bei den Computerschachweltmeisterschaften antreten: Die Frage ist bloß, ob sie dann schon stärker sein wird als Stockfish und Konsorten, oder noch ein paar Monate zum Üben braucht.

Alpha Zero selbst ist seit Dezember untergetaucht. Woran die Verantwortlichen bei Deep Mind seither arbeiten, darüber rätselt die Fachwelt. Lernt Alpha Zero bis unendlich zählen, und das gleich zweimal? Entwickelt die Künstliche Intelligenz die Formel für den Weltfrieden? Oder beschäftigt es sich inzwischen mit einer leichteren Übung: Der Konzeption einer Smart Factory, zum Beispiel? Der verfügbare Algorithmus braucht in Wahrheit nur drei Informationen: Die Ausgangssituation, die Regeln und das gewünschte Ziel. Es wird Zeit, diese Parameter sauber zu definieren – und zwar rasch.