Coronavirus : Coronavirus und seine seltsamen Folgen: „Gestiegene Nachfrage nach Wärmebildkameras“

“Jetzt vorsorgen statt banges Warten” – das war der Aufruf, mit dem Christian Reinwald schon Ende Februar an die Öffentlichkeit getreten ist. Der Head of Product Management und Marketing bei Reichelt Electronic beschäftigte sich schon frühzeitig mit den Auswirkungen von COVID-19 auf die Lieferketten und die Lieferfähigkeit für elektronische Komponenten. Vier Wochen später spitzt sich die Situation in Europa noch dramatischer zu, als es da noch anzunehmen gewesen war. Im Interview spricht Reinwald über die Herausforderungen auf der Beschaffungsseite, die mögliche Verlagerung von stationärem Handel in Richtung Online-Bestellung sowie das Rätsel um die Nachfrage nach Wärmebildkameras.

Herr Reinwald, Sie waren vor einem Monat der Erste, der vor den Corona-Auswirkungen auf die Lieferketten gewarnt hat. Wie stellt sich die Situation jetzt vier Wochen später dar?

Christian Reinwald: Auf der Beschaffungsseite haben wir in der Sortimentsbreite noch keine Schwierigkeiten. Nur vereinzelt gibt es Probleme. Bei den Lieferanten aus Fernost und insbesondere aus China ist der aktuelle Status gemischt. Manche haben bereits wieder zu produzieren begonnen, andere warten noch auf die Rückkehr ihrer Arbeitskräfte oder auf Rohmaterial-Lieferungen. Bei europäischen Elektronik-Komponentenherstellern beginnt es erst. Wir haben von einem Lieferanten aus Italien und von zweien aus Großbritannien diese Woche gehört, dass sie die Produktion stilllegen. Ob dem auch andere folgen werden, das weiß ich jetzt natürlich noch nicht. Wir merken jedenfalls, dass es bei einzelnen Bauteilen erhöhte Lieferzeiten gibt und die Preise anziehen. Bei einigen Widerstandswerten beispielsweise, die ja fast ausschließlich aus China kommen.

Bei welchen Produkten gibt es sonst noch Engpässe?

Reinwald: Generell ist die Nachfrage nach IT-Produkten deutlich erhöht, weshalb auch die Preise bei unseren Lieferanten angezogen haben. Durch die Verlagerung in die Home Offices und den Run auf die dafür benötigten Produkte für PCs und Laptops sind in diesem Segment die Warenbestände bei den Distributoren schon knapp geworden: Insbesondere bei Headsets ist es knapp. Aber auch Videokonferenzsysteme, alles rund um Netzwerktechnik, Router und VPN, da sind die Bestände zwar noch vorhanden, es gibt aber längere Lieferzeiten und gestiegene Preise. Eine extrem gestiegene Nachfrage konnten wir in den letzten Wochen bei Wärmebildkameras verzeichnen, aber da habe ich ehrlich gesagt keine eindeutige Erklärung dafür.

Wie haben Sie selbst sich auf die Situation vorbereitet?

Reinwald: Wir haben unsere Bestände ab Februar erhöht, nicht ein bisschen, sondern so richtig: Wir haben 15 - 25 Prozent mehr Waren eingelagert. Daher ist unsere Verfügbarkeit, bis auf die beschriebenen Einzelfälle, sehr hoch. Wir verkaufen übrigens auch Arbeitsschutz, das ist kein Kerngeschäft von uns, aber da ist die Nachfrage für Schutzmasken und Desinfektionsmittel natürlich ganz extrem gestiegen. Bei der Kundenbetreuung haben wir uns ebenfalls vorbereitet. Ein großer Teil unserer Kundenbetreuung arbeitet vom Home Office aus. Unsere Logistik hat jetzt richtig viel zu tun, da haben wir ebenfalls entsprechenden Schutzmaßnahmen eingeführt.

Liefern Sie auch in Quarantäne-Gebiete, wie etwa Tirol?

Reinwald: Unsere Lieferpartner sagen uns, dass sie diese Regionen weiterhin anfahren, wenn es um Pakete geht. Ich höre, dass eine erhöhte Retourenquote möglich ist, kann das aber noch nicht in Zahlen ausdrücken.

Sie haben vor einem Monat die Unternehmen dazu aufgerufen, insbesondere für die Produktion kritische Komponenten einzulagern. Haben Ihre Kunden darauf reagiert, ist das passiert?

Reinwald: Die Unternehmen haben das definitiv gemacht. Die Anzahl und der Wert der Positionen pro Bestellung ist gestiegen, zum Beispiel auch im Bereich aktive und passive Bauteile oder eMech – und die waren in 2019 nicht wirklich ein Schnelldreher. Uns hat auch überrascht, wie schnell bei den Firmen-Kunden die Umstellung aufs Home Office funktioniert hat, wir haben da keinen Einbruch gespürt, im Gegenteil: Die Leute bestellen jetzt von zu Hause aus weiter, übrigens durchaus auch für den privaten Bedarf. Wir verzeichnen auch gestiegene Nachfrage bei Prosumer-Produkten – offenbar haben die Menschen, die jetzt daheim im Home Office sind, auch Zeit sich mit ihren Hobbys intensiver zu beschäftigen. Ob es auf der Seite der Firmenkunden einfach vorgezogene Bestellungen sind oder ob es sich um eine Verlagerung der Beschaffung vom stationären Handel zu Online-Shops handelt, ist noch schwer abzuschätzen.

Von Seiten der Industrie hört man, dass ein besonderer Engpass bei Chips befürchtet wird, weil die in Ländern wie Malaysia zwischenverarbeitet werden, wo ein drohender Lockdown erst bevorsteht. Können Sie das bestätigen?

Reinwald: Wir bekommen zunehmend Angebotsanfragen über große Mengen an Chips. Die Nachfrage steigt da auf der Kundenseite stark. Derzeit sehe ich da noch kein aktutes Problem, aber natürlich haben wir diese Frage ebenfalls auf dem Schirm und beobachten die Situation.

Wie ist ihr Ausblick in die mittelfristige Zukunft?

Reinwald: Wenn die Nachfrage so bleibt wie derzeit und die Warenzuflüsse weiterlaufen, sehe ich kein Problem. Wenn aber beispielsweise ein großer Logistikpartner ausfällt, wenn wir bei einzelnen Produkten neue Beschaffungsquellen suchen müssen und dann auf Schiffslieferungen aus Fernost angewiesen sind, die Monate unterwegs sind, sieht es anders aus. Da sind einfach zu viele Variablen im Spiel, die wir jetzt noch nicht kennen.

Wie stellt sich für Sie der österreichische Markt dar? Haben Sie hierzulande Besonderheiten beobachtet?

Reinwald: Uns ist aufgefallen, dass die Nachfrage hinter der Schweiz zurückgefallen ist. Diese beiden Länder sind von Größe und Struktur her sehr vergleichbar und auch unsere wichtigsten Märkte außerhalb Deutschlands. In den letzten Jahren war das immer ein Kopf-an-Kopf-Rennen, doch seit etwa drei bis vier Wochen ist da eine deutliche Schere aufgegangen. Ob das mit den in Österreich deutlich restriktiveren Corona-Maßnahmen zu tun hat, können wir freilich nur vermuten.