Blog : 12 Thesen für die Zukunft

© Wolfram Scheible

Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen – Niels Bohr wird diese Aussage zugeschrieben, wahlweise aber auch Karl Valentin, Mark Twain, Winston Churchill – die Liste ließe sich fortsetzen. Wer auch immer es gesagt hat, er hat Recht. Trotzdem ist genau das eine der grundlegenden Aufgaben des Innovationsmanagements: mögliche, und vor allem wahrscheinliche Entwicklungen vorherzusehen und davon Leitlinien abzuleiten und Handlungsfelder zu definieren.

Dass Vorhersagen so schwer zu treffen sind, liegt an einer Vielzahl von Gründen. Einerseits müssen Annahmen getroffen werden, wie sich heutige Trends oder Pfade höchstwahrscheinlich linear weiterentwickeln werden. Andererseits gibt es zu den meisten Trends auch einen Gegentrend, welcher diesen bremst oder umkehrt. Beispielsweise gibt es zum Trend der Mobilität, bei dem wir uns immer häufiger zwischen Orten weltweit bewegen den Gegentrend der Heimat, bei dem wir uns immer mehr danach sehnen, Heimat und Geborgenheit zu empfinden. Oder zum Trend Digitalisierung, bei dem unser Leben immer mehr im Internet stattfindet den Gegentrend Achtsamkeit, der uns anhält, uns gegen die zunehmende Technologisierung zu wehren, und die Natur in den Vordergrund zu rücken.

Bei Lapp haben wir uns mit der Zukunft auseinander gesetzt, indem wir die Methodik der Retropolation genutzt haben. Dabei wird ein Zeitsprung in das Jahr 2050 gemacht und von dort aus auf die nahe Zukunft 2030 zurück geschaut. Dies ermöglicht einen Perspektivenwechsel, der nicht einfach die Vergangenheit in die Zukunft fortschreibt (Extrapolation), sondern sich freier und radikaler mit der Zukunft auseinanderzusetzen. Beginn der Methodik war es in rund 12 Zukunftsstudien zu analysieren, wie das Jahr 2050 sich wohl gestalten würde. Dabei haben wir die unterliegenden Megatrends herausgefiltert und aggregiert. Je Trend haben wir verschiedene Szenarien aufgezeigt und das für Lapp relevanteste Szenario gewählt. Die Summe war eine Sammlung relevanter Szenarien im Jahr 2050. Es geht also nicht darum, die Zukunft exakt vorherzusagen, sondern Orientierungspunkte zu definieren, die es ermöglichen, Innovationstätigkeit zu planen und zu fokussieren.

Auf dieser Basis hat der Vorstand geprüft, welche Implikationen dies für 2030 für Lapp bedeutet. Hierbei fand die eigentliche Retropolation statt, also ausgehend von Szenarien in 2050 wurde zurück geschaut und abgeleitet was dies für 2030 bedeuten würden. Dabei hat der Vorstand 12 Thesen definiert und versucht, diese so präzise wie möglich für Lapp zu formulieren. Die vollständigen Thesen sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sie werden aber im Folgenden kurz umrissen.

1) Vertrieb findet zunehmend online statt

Schon seit einigen Jahren machen digitale Vertriebskanäle einen wesentlichen Anteil des Umsatzes für LAPP aus, und dieser Anteil wird weiter stark zunehmen – über eigene Plattformen wie Web-Shop und EDI, und in Zukunft vermutlich auch über offene Plattformen. Hier gilt es, die richtige Balance zu finden.

2) Kundenbedarfe werden digital ermittelt und übermittelt

Neue digitale Technologien ermöglichen es, den Bedarf für den Kunden digital zu erkennen und in eine Bestellung umzuwandeln. Menschlicher Input ist immer seltener nötig. Intelligente Systeme wie das LAPP e-Kanban oder die Smart Cable Drum können völlig selbständig Bestellungen auslösen – das ermöglicht es Einkäufern und Vertriebsmitarbeitern, sich verstärkt mit anderen, wertschöpfenden Themen zu befassen.

3) Kein Kabel ohne Daten

Jede Maschine und jede aktive Komponente wird in Zukunft eine eigene IP-Adresse haben. Das heißt, jede Komponente ist vernetzt, erreichbar und steuerbar. Daraus folgern wir, dass es keine reinen Stromkabel mehr geben wird, jedes Kabel wird auch Daten übertragen.

4) Drahtlostechnologien sind selbstverständlicher Bestandteil unserer Verbindungslösungen

Drahtlos-Technologien eröffnen zahlreiche neue Möglichkeiten – zum Beispiel im Bereich der mobilen Maschinen. LAPP als Anbieter von Verbindungslösungen muss das auch anbieten können.

5) Miniaturisierung macht kompaktere, leichtere Verbindungslösungen notwendig

Die Miniaturisierung von Rechenleistung ist unaufhaltbar: Chips, Sensoren und Maschinen werden immer kleiner und immer leistungsfähiger. Das alles braucht auch kleinere Kabel, Steckverbinder und andere Verbindungskomponenten.

6) Customizing fordert hohe Flexibilität in der Belieferung

Der Kunde erwartet zunehmend, das gekaufte Produkt individuell an seine Anforderungen anpassen zu können – in Verpackung, Design, Kennzeichnung, etc.). Manche Kunden werden einen hohen Bedarf an Individualisierung haben, andere werden einen hohen Bedarf an Schnelligkeit haben. Dies erfordert unter anderem eine segmentierte und differenzierte Supply Chain.

7) Radikale Verkürzung der Zeit zwischen Bestellung und Lieferung

Produktionszyklen und Logistik werden immer flexibler und schneller. Beides ermöglicht eine enorme Verkürzung der Lieferzeiten.

8) Bis zu 80 Prozent der Geschäftsprozesse sind digitalisiert

Da Individualisierung die Komplexität erhöht, sind Effizienzgewinne notwendig, um die Kostensteigerungen aufzufangen. Diese werden durch Digitalisierung realisiert, sei es durch Online-Konfiguratoren oder automatische Bestell-zu-Produktion Schnittstellen.

9) Modularisierung der Produkte

Ein weiterer Hebel, Individualisierung wirtschaftlich darstellen zu können, ist Modularisierung. Durch modularen Aufbau von Produkten können auch bei kleinen Losgrößen Skaleneffekte genutzt werden.

10) Kein Verkauf ohne klaren Recyclingprozess

Nachhaltigkeit und Recycling werden zu zentralen Anforderungen. Kaufentscheidungen werden zunehmend davon abhängen, dass Recycling sichergestellt ist. Darüber hinaus schafft die absehbare Verknappung wichtiger Ressourcen einen weiteren Anreiz für Recycling, um sich von solchen Entwicklungen bestmöglich zu entkoppeln.

11) Aktivitäten konzentrieren sich zunehmend auf Asien

Die stark wachsende Bevölkerung im asiatisch-pazifischen Raum sowie der stark wachsende Wohlstand der Mittelschicht („The next Billion“) werden die Wirtschaftskraft von Indien und China überproportional erhöhen. Darüber hinaus wird erwartet, dass der ASEAN Wirtschaftsraum in der Wirtschaftskraft stark aufholen wird. Indonesien dürfte bis zum Jahr 2050 eine der zehn größten Volkswirtschaften der Welt sein. Wir müssen daher unsere Präsenz in Asien weiter entwickeln und aufbauen, um diese Märkte entsprechend bedienen zu können.

12) Kompetenzverschiebung in Richtung IT

Die Digitalisierung definiert neu, welche Kompetenzen und Fähigkeiten in unserer Organisation vorhanden sein müssen. Die Trennung von Business und IT, wie sie bisher üblich war, ist nicht zukunftsträchtig. Jeder einzelne im Unternehmen wird sich verstärkt mit IT-Themen beschäftigen müssen. Digitalisierungsmöglichkeiten und Prozesse zu kennen und diese gestalten können wird daher zu einer zentralen Kompetenz.

Die 12 Thesen sind eine Kombination aus Rückblick aus dem Jahre 2050 und Vorhersagen aus der Gegenwart, um Handlungsbedarfe für die nächsten Jahre aufzuzeigen. Diese Zukunftsbilder dienen in der Erarbeitung des kommenden Strategiezyklus bei Lapp als gedankliche Leitplanken. So stellen wir sicher, in der Strategieentwicklung die relevanten Zukunftsthemen zu berücksichtigen.