Single Pair Ethernet : 20 Monate SPE Industrial Network – eine Zwischenbilanz

Frank Welzel Harting
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Seit das SPE Industrial Partner Network auf der SPS 2019 mit sieben Partnerfirmen aus der Taufe gehoben wurde, ist die Netzwerkfamilie stark gewachsen. Das Versprechen, das seit dem Beginn von Single Pair Ethernet damit verbunden wird, ist auch sehr verlockend: SPE soll nichts weniger als der „Enabler von Industrie 4.0“ werden. Material-, Platz- und Gewichtsersparnis durch die Reduktion auf ein verdrilltes Adernpaar statt der bei Ethernet-Verbindungen sonst üblichen zwei bis vier, Übertragungsraten ab 10 Mbit/s, die in Zukunft auf mehrere Gbit/s ausgebaut werden können, sowie die gleichzeitige Übertragung von Daten und Energie mit nur einer Verkabelung – mit SPE-Technologien könnte der durchgängige Datentransfer vom Sensor in die Cloud Realität werden.

Die Lücken von Industrial Ethernet schließen

„SPE hat das Potenzial, die Lücken von Industrial Ethernet zu schließen und das üblicherweise zwei- und vierpaarige Ethernet zum Teil sogar zu ersetzen“, sagt Frank Welzel, Vorstandsvorsitzender des SPE Industrial Partner Network e.V. Welzel ist im Brotberuf Director Global Product Management bei Harting und damit einer der treibenden Kräfte hinter der Technologie: Die Vorstellung des SPE Industrial Partner Networks vor 18 Monaten erfolgte nicht zufällig auf dem SPS-Messestand von Harting. Der Spezialist für industrielle Verbindungstechnik setzt sich seit 2016 wie kein anderes Unternehmen mit der Entwicklung der Technologie sowie der Standardisierung derselben auseinander. Die Aktivitäten führten dann zur Gründung des SPE Industrial Partner Network gemeinsam mit TE Connectivity, Hirose, Würth Elektronik, Leonie, Murrelektronik und Softing. Die ersten Beitrittsanträge seien am selben Tag erfolgt, erinnert sich Welzel: „Manche Unternehmen haben die Unterlagen über Nacht von ihren Rechtsabteilungen prüfen lassen und schon am nächsten Tag unterschrieben.“

Globale Verbreitung

Mit Stand Ende Mai 2021 sind 47 Unternehmen Mitglied des SPE-Netzwerks. Mit der Entwicklung ist der Vorstandsvorsitzende sehr zufrieden. „Es geht uns dabei ja nicht darum, Marken zu sammeln – wir fordern von den Mitgliedern auch Verbindlichkeit ein!“ Derzeit seien noch einmal so viele konkrete Beitrittsanfragen offen, die noch in den interessierten Unternehmen geprüft werden. Ein wesentlicher Faktor dabei ist die globale Verbreitung: Während zu Beginn vor allem europäische Unternehmen den Kern des SPE Industrial Partner Networks bildeten, beginnt nun die Phase der Globalisierung. Vor allem in den USA und Asien steigt das Interesse, berichtet Matthias Fritsche, bei Harting als Senior Specialist Ethernet tätig und im SPE-Netzwerk als Leiter des Arbeitskreis Technik unter anderem für die Schulungen zuständig: „Wir hatten erst kürzlich eine Online-Schulung, da sind die Mitarbeiter der indischen und der amerikanischen Unternehmen gemeinsam vor dem Bildschirm gesessen – trotz der Zeitdifferenz!“

Standardisierung als Stolperstein

Die von Welzel angesprochene Verbindlichkeit betrifft vor allem einen Punkt: Das Bekenntnis zur internationalen Standardisierung und insbesondere zu dem Steckgesicht, das in der IEC63171-6 für die industrielle Verbindungstechnik festgelegt wurde. Doch genau an diesem Steckgesicht spießt es sich: Zwar hat sich die Mehrheit der in dem Normungskomitee vertretenen Stimmberechtigten 2018 für genau jenes Konzept ausgesprochen, das von Harting eingereicht wurde. Doch rund um das von Phoenix Contact eingereichte Steckgesicht hat sich ein zweites Konsortium gebildet, das dieses andere Konzept vorantreibt: Die SPE System Alliance zählt derzeit 27 Mitglieder, darunter ebenfalls so namhafte Unternehmen wie Weidmüller, Sick oder Keba. Das Problem: Die beiden konkurrierenden Konzepte sind nicht steckkompatibel. Funktional wäre zwar ein gemischtes Kabel mit beiden Schnittstellen denkbar, aber diese Lösung müsste eben außerhalb der etablierten Normungslandschaft angesiedelt sein, auf die sich gerade das SPE Industrial Network geeinigt hat.

Zwei parallele Systeme?

Mit der Situation ist Frank Welzel ganz und gar nicht glücklich: „Das ist natürlich ein unnötiges Ausbremsen der SPE-Technologie“, so der Vorsitzende des Industrial Partner Networks. Denn für die zukünftigen Kunden geht es ja um Investitionssicherheit. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass das von ihnen gewählte System zukunftsfähig und ausbaubar ist. Daher müsse es eine gemeinsame Infrastruktur geben. Vor allem der Gerätemarkt sei interessiert an einer einheitlichen Standardisierung. Ob es im Industriesektor zwei parallel existierende SPE-Systeme geben könne, so wie es seit Jahrzehnten dutzende Feldbusse gibt? „Das ist schwer zu beantworten“, sagt Welzel: „Der Markt entwickelt sich in allen Bereichen nun mal in Richtung starke Standards und Zukunftsfähigkeit.“

Am eingeschlagenen Weg festhalten

Genau darauf habe man bei Harting und im SPE Industrial Partner Network gesetzt: Eine symmetrische Konstruktion und eine Weiterentwicklung in Richtung von Übertragungsraten bis 10 Gbit/s. Das werde von den Interessenten auch wahrgenommen und gewürdigt. „Hirschmann beispielsweise hat uns ein Jahr lang mit technischen Detailfragen gelöchert“, erzählt Welzel. Erst als alle Fragen zur vollständigen Zufriedenheit beantwortet waren, entschied sich der Ethernet-Spezialist für das Steckgesicht „-6“ und das damit einhergehende Ökosystem. Nicht zuletzt wegen solcher Rückmeldungen vom Markt und der schon weit vorangeschrittenen Entwicklungen wolle man an dem eingeschlagenen Weg festhalten.

Engpass Halbleiter

Neben der „internen“ SPE-Konkurrenz gibt es noch einen zweiten Faktor, der die Marktdurchdringung langsamer voranschreiten lässt, als es wünschenswert wäre. Die aktuellen Engpässe insbesondere bei Halbleitern und Kunststoffen trifft eine junge Technologie wie SPE besonders hart. „Bei der Standardisierung sind wir so gut wie fertig, da kann jeder die Normen kaufen und nachbauen“, sagt Matthias Fritsche. Bei den Komponenten sieht es auch ganz gut aus, erste Switches seinen beispielsweise schon verfügbar, mit Seriengeräten rechnet die Branche ab der SPS 2021 im November. Aktive Geräte sollten dann ab planmäßig auf der Hannover Messe 2022 vorgestellt werden. Doch diese Planung hängt stark an der Verfügbarkeit von Halbleitern. Oft sei es schon schwierig, benötigte Prototypen für die Entwicklung zu bekommen, da sich die Hersteller angesichts der aktuellen Rohstoffknappheit auf die Produktion bestehender, etablierter Serien konzentrieren müssen.

Keine Digitalisierung um jeden Preis

„Das ist eine Situation, der wir uns alle stellen müssen“, sagt Frank Welzel: „Der Engpass war noch selten so groß.“ Nichtsdestotrotz stimmt ihn optimistisch, dass bereits viele NDAs mit Halbleiterherstellern unterschrieben seien. Mittelfristig wird SPE nicht aufzuhalten sein, zu viele Chancen bietet die Technologie. Wobei: „Wir werden nicht jeden Sensor auf Teufel komm raus digitalisieren“, schränkt Welzel ein. Einfache Anwendungen wie etwa Temperatursensorik werde auch weiterhin analog unterwegs sein. Auch bewährte Installationsarten wie etwa das Klemmen in der Prozesstechnik werde nicht durch Steckverbinder ersetzt werden. Aber überall dort, wo intelligente Sensorik Sinn macht, wo die Sensoren Switch-Funktionen wie das Datensammeln übernehmen können, werde sich SPE durchsetzen. Diese letzte Meile der Digitalisierung im Feld zu den Sensoren zu schließen, das ist die Stärke von SPE.

Laufend neue Anwendungsfelder

„Bei jeder Diskussion kommen wir auf neue Anwendungsfelder“, erzählt Welzel aus den Sitzungen des SPE Industrial Partner Networks. Das hat auch Gunther Kegel, der Präsident des ZVEI, des deutschen Zentralverbands der Elektro-Industrie, bei der letzten SPE Pioneer Summit bestätigt: „In zehn Jahren werden 80 Prozent aller Anlagen SPE integriert haben“, glaubt der ranghöchste Elektroindustrielle Deutschlands. Ein Ball, den Frank Welzel gerne aufgreift: „Wir laden alle, die an diesem Zukunftsmarkt teilhaben wollen, herzlich zur Beteiligung an der offenen technischen Diskussion ein!“