Fraunhofer : Künstliche Intelligenz steuert Ampelanlagen
Die Fahrt zur Arbeit und nach Hause kann zur Tortur werden. Im Stop-and-go-Modus rollen die Autos von einer überfüllten Ampelkreuzung zur nächsten, vor allem zu Stoßzeiten ist die grüne Welle eine Utopie. Dies wollen Forscherteams am Institutsteil für industrielle Automation INA des Fraunhofer-Instituts für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB im Projekt »KI4LSA« ändern. Künstliche Intelligenz soll eine intelligente, vorausschauende Ampelschaltung ermöglichen. Projektpartner sind die Stührenberg GmbH, die Cichon Automatisierungstechnik GmbH, die Stadtwerke Lemgo GmbH sowie die Alte Hansestadt Lemgo (assoziiert) und Straßen.NRW (assoziiert). Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur BMVI fördert das Vorhaben, das im Sommer 2022 endet.
Aktuelle Ampelsteuerungen sind regelbasiert, die starren Regeln passen nicht auf alle Verkehrssituationen. Zudem bilden die vorhandenen Sensoren – in den Asphalt eingelassene Induktionsschleifen – die Verkehrssituation nur grob ab. Diese Probleme adressieren die Forschenden am Fraunhofer IOSB-INA. Anstelle der herkömmlichen Sensoren implementieren sie hochauflösende Kamera- und Radarsensorik, die das Verkehrsgeschehen präziser erfasst. Die Anzahl der wartenden Fahrzeuge an der Kreuzung kann so spurgetreu in Echtzeit aufgenommen werden. Auch die durchschnittliche Geschwindigkeit der Autos und die Wartezeit werden detektiert. Die Echtzeit-Sensorik wird mit Künstlicher Intelligenz kombiniert, die die starren Steuerungsregeln ersetzt. Die KI verwendet Algorithmen des Deep Reinforcement Learning. Diese Methode des maschinellen Lernens konzentriert sich darauf, intelligente Lösungen für komplexe Steuerungsprobleme zu finden. »Wir haben von der Lemgoer Kreuzung, an der unsere Tests stattfinden, ein realitätsgetreues Simulationsmodell gebaut und die KI in diesem Modell unzählige von Iterationen trainieren lassen. Zuvor haben wir das gemessene Verkehrsaufkommen zur Rushhour in das Simulationsmodell übertragen, sodass die KI mit realen Daten arbeiten kann. Das Ergebnis ist ein per Deep Reinforcement Learning trainierter Agent, ein Neuronales Netz, das die Ampelsteuerung darstellt«, erläutert Arthur Müller, Projektleiter und Wissenschaftler am Fraunhofer IOSB-INA den Ansatz des DRL. Die so trainierten Algorithmen ermitteln das beste Ampel-Schaltverhalten und die beste Phasenfolge, um die Wartezeiten an der Kreuzung zu verkürzen, Fahrzeiten zu senken und den durch Staus entstehenden Lärm und die CO2-Belastung zu senken. Die KI-Algorithmen laufen auf einem Edge-Computer im Schaltkasten an der Kreu-zung. Ein Vorteil: Die Algorithmen lassen sich auf Verbundschaltungen testen, anwenden und skalieren, also auf benachbarten Ampeln, die sich in einem Verbund befinden.
Große Skalierungseffekte
Um 10 bis 15 Prozent könnte der Verkehrsfluss durch Künstliche Intelligenz verbessert werden. Zu diesem Ergebnis kamen die Simulationsphasen an der überlasteten Lemgoer Kreuzung, die mit intelligenten Ampeln ausgerüstet wurde. Der trainierte Agent wird in den kommenden Monaten für die weitere Evaluation auf die Straße gebracht, sprich ins Reallabor überführt. Auch der Einfluss der Verkehrsmetriken auf Parameter wie Lärmbelästigung und Abgasemissionen wird berücksichtigt. Eine Hürde stellt dabei die unvermeidbare »Simulation-to-reality-gap« dar. »Die Annahmen zum Verkehrsverhalten in der Simulation stimmen nicht 1:1 mit der Realität überein. Dementsprechend muss der Agent angepasst werden«, sagt Müller. »Gelingt dies, ist der Skalierungseffekt enorm, bedenkt man die große Anzahl an Ampeln allein in einer Stadt wie Lemgo.«
Die EU beziffert den durch Staus verursachten wirtschaftlichen Schaden auf 100 Milliarden Euro jährlich für die Mitgliedsstaaten. KI-Ampeln sind laut Müller eine Möglichkeit, die vorhandene Infrastruktur effizienter zu nutzen. »Weltweit sind wir die ersten, die die Ampelsteuerung per Deep Reinforcement Learning unter realen Bedingungen testen. Wir setzen auf den Vorbildcharakter unseres Projekts«.
Intelligente Lichtsignalanlagen (LSA) für Fußgänger
Im Projekt »KI4PED« stehen nicht die Fahrzeuge, sondern Fußgänger im Fokus: Gemeinsam mit der Stührenberg GmbH und den assoziierten Partnern Straßen.NRW, Stadt Lemgo und Stadt Bielefeld entwickelt das Fraunhofer IOSB-INA bis Ende Juli 2022 einen innovativen Ansatz zur bedarfsgerechten Steuerung von Fußgängerampeln. Besonders vulnerable Personen wie Ältere oder Menschen mit Handicap sollen davon profitieren. Ziel ist es, Wartezeiten zu verkürzen und die Sicherheit an Ampelkreuzungen durch längere Überquerungszeiten zu erhöhen. Denn aktuellen Studien zufolge sind die Grünphasen für diese Personengruppen zu kurz. Die derzeit installierten Taster, meist kleine gelbe Kästchen, liefern weder Informationen über die Anzahl noch das Alter oder gar das Gebrechen der Passantinnen und Passanten. Durch die Implementierung von KI in Kombination mit hochauflösenden LiDAR-Sensoren wollen die Projektpartner den Prozess automatisieren und die Überquerungszeiten automatisch an die Bedarfe der jeweiligen Fußgänger anpassen und abstufen. Die Personenerkennung und das Tracking wird auf Basis von LiDAR-Daten mittels KI erzielt und in einem eingebetteten System in Echtzeit umgesetzt.
»Aus Gründen des Datenschutzes verwenden wir anstelle von kamerabasierten Systemen LiDAR-Sensoren, da sie Fußgänger als 3D-Punktwolken darstellen und diese somit nicht identifiziert werden können«, erklärt Dr. Dennis Sprute, Projektleiter und Wissenschaftler am Fraunhofer IOSB-INA. LiDAR-Sensoren (Light Detection and Ranging) senden Laserstrahlen zur Abstandsmessung aus und detektieren das zurückgestreute Licht. Aus der Laufzeit des Lichts wird die Entfernung zum Objekt, also zur Person, ermittelt. Diese Sensoren sind darüber hinaus robust gegenüber Beleuchtungs-, Spiegelungs- und Witterungseinflüssen. Ihre optimale Positionierung und Ausrichtung an der Ampelkreuzung wird im Rahmen einer Machbarkeitsstudie geprüft. Zudem werden die KI-Algorithmen zunächst an zwei Ampelkreuzungen in Lemgo und Bielefeld eine Woche lang trainiert. Ebenfalls geplant sind Sensortests auf dem Gelände des Fraunhofer IOSB-INA bei verschiedenen simulierten Beleuchtungsbedingungen, um die Erkennungsleistung zu bestimmen.
Mit einem bedarfs- und situationsgerechten Steuerungskonzept erhoffen sich die Forschungspartner, die Wartezeit bei hohem Personenaufkommen um 30 Prozent und die Anzahl gefährlicher verkehrswidriger Überquerungen um etwa 25 Prozent reduzieren zu können.