Interview: Reinhard Gehrmann : Messtechnik für die Energiewende

Wie hat sich die Prozessindustrie in den 25 Jahren, in denen Sie bei Yokogawa tätig sind, verändert?

Reinhard Gehrmann: In den ersten Jahren fiel mir auf, dass die Branche sehr konservativ und verschlossen gegenüber Neuerungen war. Innovationen kamen so nur zum Einsatz, wenn die Zuverlässigkeit nachgewiesen wurde. Mittlerweile fällt aber auf, dass die Diskussion um die Industrie 4.0 diese Einstellung gegenüber Neuerungen verändert hat. Unsere Analysegeräte, aber auch die der Marktbegleiter liefern neben den Messwerten viele Zusatzinformationen, mit denen man den Zustand der Geräte überwachen kann. Diese Daten wurden jedoch in der Vergangenheit nicht genutzt – daran hat auch die Feldbustechnologie nichts geändert. Durch die Industrie-4.0-Diskussion aber hat man diesen Mehrwert erkannt und sich darüber Gedanken gemacht, wie man diese Vitaldaten nutzen kann, um die Prozesse effizienter und sicherer zu fahren.

Von der Prozessindustrie verspricht man sich derzeit sehr viel – hinsichtlich der Dekarbonisierung, aber auch im Bereich des grünen Wasserstoffs. Mit welchen technologischen Herausforderungen sind Sie derzeit konfrontiert?

Gehrmann: Wir haben viele bewährte Geräte, die gut in die neuen Anwendungen zu integrieren sind. Im Prinzip geht es um dieselben Parameter wie bisher, aber man stellt fest, dass die Geräte bei Wasserstoffanwendungen für höhere Drücke und Temperaturen ausgelegt werden müssen. Bei Yokogawa haben wir erkannt, dass dieses Thema in Zukunft eine immer größere Rolle spielen wird. Entsprechend erweitern wir unser Produkt- und Dienstleistungsportfolio kontinuierlich und stellen uns den neuen Herausforderungen.

Yokogawa
Reinhard Gehrmann ist Product Manager Analytical Instruments bei Yokogawa Deutschland. Der Diplom-Ingenieur, der seit 1997 für das Unternehmen arbeitet, verfügt über große Spezialkenntnisse und viel Erfahrung bei der Auswahl und Prozessanbindung von Analysatoren. - © Hannah van Alen info@hannahkonda.de
Generell lässt sich sagen, dass hier Kostenreduzierungen von mehreren Prozent möglich sind.

Die großen Weiterentwicklungen in der Analysetechnik sind unbestritten. Kann man die Effizienzsteigerungen beziffern – was kann man mit der heutigen Technologie erreichen?

Gehrmann: Nehmen wir als Beispiel die TDLS-Technologie im Bereich des Brennermanagements. Was ich da in den vergangenen Jahren gelernt habe, ist, dass man durch die immer ausgereiftere Technologie den Sauerstoff-Sollwert reduzieren kann, und das verringert den Energieverbrauch deutlich. Zwar nennen wir von unseren Kunden nicht die genauen Zahlen, wie viel sie damit eingespart haben, aber generell lässt sich sagen, dass hier Kostenreduzierungen von mehreren Prozent möglich sind und dass sich die Investitionen in moderne Messtechnik auch schnell wieder amortisiert haben – zumal man nicht nur weniger Energie verbraucht, sondern auch die CO2-Emissionen senkt.

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Welchen Stellenwert haben neue Entwicklungen wie APL und OPC UA in der Prozessindustrie und inwieweit sind Sie in diese Entwicklungen involviert?

Gehrmann: Wir verfolgen das natürlich und nehmen an den Entwicklungen aktiv teil. In Deutschland gibt es Arbeitsgruppen von Herstellern, die im Zentralverband der Elektroindustrie organisiert sind, und Anwendern der Chemieindustrie, die in der Normenarbeitsgemeinschaft für Mess- und Regeltechnik vereint sind. Dort werden für die Feldinstrumentierung Parameterlisten erstellt, in denen genau definiert wird, was die Anforderungen der Anwender sind, welche Zusatzinformationen sie von den Geräten erhalten wollen und welche Protokolle angewendet werden sollen. Im Analysebereich haben wir hier bereits Übereinkünfte erzielt. Diese Verhandlungsergebnisse dienen nun als Grundlage dafür, die geltenden internationalen Normen daraufhin anzupassen. Das schafft Planungssicherheit für Anwender und Hersteller.

Durch den Ukrainekrieg wird neben der Suche nach alternativen Energiequellen auch die Frage der Cybersicherheit heftig diskutiert. Wie wichtig ist dieses Thema in der Prozessindustrie?

Gehrmann: Die (Cyber-)Sicherheit der Anlage hat immer höchste Priorität. Durch die Digitalisierung stellen die Messgeräte allerdings immer mehr Informationen zur Verfügung, das vereinfacht auch die Wartung. Die Kunden wünschen sich dann auch, dass man als Anwender die Wartung über einen Remotezugriff durchführen kann. Das ist aber nicht immer im Sinne der Cybersecurity, mit welcher ja gerade der Zugriff durch externe oder nicht-autorisierte Personen kontrolliert werden soll. Oft ist die Angst groß, dass über diese Schnittstellen der Zugriff auf kritische Informationen erfolgt oder man im schlimmsten Fall sogar die Kontrolle über die Anlage verliert. Insofern ist es verständlich, dass es in der Prozessindustrie noch eine gewisse Skepsis gegenüber der Verlagerung dieser Prozesse in eine Cloud gibt. Dabei gibt es bereits Sicherheitskonzepte, z. B. im Rahmen der NAMUR Open Architecture und auf Seiten der Cloudtechnologie. Schließlich kann man auch auf eine unternehmenseigene Cloud setzen. Ich glaube, dass letztendlich die Chance, Effizienz und Sicherheit zu steigern, genutzt werden wird