Industriesoftware aus Wien : Herbert Hufnagl über seine Pläne als neuer General Manager von TTTech Industrial
Aktive Mitgliedschaft erforderlich
Das WEKA PRIME Digital-Jahresabo gewährt Ihnen exklusive Vorteile. Jetzt WEKA PRIME Mitglied werden!
Sie haben bereits eine PRIME Mitgliedschaft?
Bitte melden Sie sich hier an.
Nach einem Knick im Jahr 2020 scheint die europäische Automatisierungsbranche wieder voll Fahrt aufgenommen zu haben. Unisono hört man: Die Auftragslage ist sehr gut, durch die Lieferkettenkrise kann man aber nicht schnell genug liefern. Wie ist die Situation bei TTTech Industrial und wie schätzen Sie die Marktentwicklung für die kommenden Jahre ein?
Herbert Hufnagl: Dem VDMA Konjunkturbulletin International zufolge lag das globale Umsatzwachstum im Jahr 2021 gegenüber dem Pandemie-Jahr 2020 bei Maschinen und Anlagen bei ca. 15 Prozent. Das Jahr 2022 ist generell gut gestartet, es sind derzeit jedoch Prognoserevisionen nach unten sichtbar. Das liegt am Materialmangel und an den fehlenden Fachkräften. Deshalb bin ich hier für das zweite Halbjahr 2022 eher verhalten optimistisch – der Krieg in der Ukraine, die Corona-Pandemie und höhere Inflationsraten sind einfach Risiken, die real existieren.
Uns von TTTech Industrial treffen die Lieferengpässe nur am Rande, da unser Kerngeschäft die Lizensierung von Software und IP (Intellectual Property) sind. Selbstverständlich stellt auch uns der Chipmangel vor große Herausforderungen. Wenn deshalb beispielsweise Geräte und Baugruppen, auf denen unsere Software läuft, knapp werden, betrifft uns das natürlich direkt. Des Weiteren bin ich davon überzeugt, dass die Chipkrise in der Automatisierungsindustrie einen Wandel der Automatisierungsarchitekturen hervorbringen wird. Offene Softwareplattformen wie unser Produkt Nerve sind für unterschiedliche Industrie-PCs mehrerer Hersteller qualifiziert. Das verringert die Abhängigkeit enorm und unsere Kunden können sich für eine Hardware entscheiden, die ihren Geschäftsanforderungen bzw. ihrem Anwendungsfall am besten entspricht und lieferbar ist.
Für die kommenden Jahre sehe ich einen stabilen Aufwärtstrend für die Automatisierungsbranche, denn der Einsatz von IIoT-Lösungen kann den Weg für Innovation ebnen. Die Digitalisierung ist eine große Chance für den Maschinenbau und ich sehe hier ein hohes Wachstumspotenzial. Mit Produkten wie der modularen, offenen und sicheren Edge-Computing-Plattform Nerve ist TTTech Industrial gut positioniert, um sowohl den Bedarf an erhöhter Effizienz und Nachhaltigkeit in der Produktion als auch Datenhoheit zu unterstützen.
Das Thema Cybersecurity ist entscheidend für IIoT, denn die geschaffene Konnektivität erhöht das Risikopotenzial für die Betreiber
Mit Nerve betreiben Sie eine Plattform für IIot, die als Edge-Lösung konzipiert ist. Mittlerweile sind auch die großen IT-Riesen in diesen Bereich eingestiegen und bieten Cloud-Plattformen an. Welches Konzept wird sich schlussendlich durchsetzen?
Hufnagl: Edge und Cloud konkurrieren meiner Meinung nach nicht, sie koexistieren bzw. ergänzen sich. Die großen Hyperscaler realisieren mit einer enormen Entwicklungs-Power die Cloud-Lösungen, die sowohl unsere Kunden als auch TTTech Industrial für die IIoT-Welt benötigen. Edge-Computing ist vor allem dann von Vorteil, wenn es um kritische Daten geht. Diese sollen meist vor Ort prozessiert werden und nur wenn notwendig in die zentrale Cloud gesendet werden. Anwendungen und Verarbeitungsschritte mit hohen Latenzanforderungen können nur „on Edge“ platziert werden. In den allermeisten Anwendungen müssen Daten bereits im datenerzeugenden Device oder Prozess „on Edge“ aggregiert werden und dann noch weiter in der Cloud.
Die Erfahrung von vielen Kunden im Maschinenbau zeigt uns, dass IIoT-Ansätze, die sich ohne Edge-Computing direkt in die Cloud verbinden, unter anderem aufgrund der Kostenintensität als nicht praxistauglich erweisen, oder nicht mit den steigenden Anforderungen mitwachsen können.
Ein Beispiel zur Praxistauglichkeit: Nerve kann auch ohne Cloud-Verbindung genutzt werden. Das bedeutet, dass alle Funktionen des Cloud-basierten Managements ebenfalls lokal ausgeführt werden können. Nerve ist außerdem Cloud-Neutral, was bedeutet, dass unsere Kunden selbst entscheiden können, welchen Hyperscaler sie nutzen wollen.
Entdecken Sie jetzt
- Lesen
- Videos
Digitale Zwillinge stellen große Anforderungen an die Cybersecurity und den Datenschutz. Die europäische Gesetzgebung bringt mit NIS2 erhöhte Auflagen für die Unternehmen – bei Nichteinhaltung drohen hier hohe Strafzahlungen. Wie bereiten Sie sich bei TTTech Industrial auf die neue Cybersecurity-Richtlinie vor und welche Auswirkungen sehen Sie durch die EU-Gesetzgebung für die Branche?
Hufnagl: Das Thema Cybersecurity ist entscheidend für IIoT, denn die geschaffene Konnektivität erhöht das Risikopotenzial für die Betreiber. Zuerst einmal zur Cloud: Sie haben in der vorigen Frage die IT-Riesen mit Ihren Cloud-Plattformen angesprochen: hier müssen wir uns schlicht und einfach auf die reife Cybersecurity der Plattformen verlassen – was wir übrigens in praktisch jeder Firma und auch privat tun, wenn wir beispielsweise kollaborative Programme oder Applikationen nutzen.
Für unsere Nerve-Plattform unternehmen wir massive Anstrengungen bezüglich der Cybersicherheit. Noch in diesem Jahr werden unsere Prozesse nach IEC 62443 zertifiziert und wir implementieren bereits von Beginn an die Security-Features nach IEC62443 Level 2 und teilweise auch Level 3. Für Mitte 2023 streben wir die Security-Zertifizierung für das Produkt an. In unserem neuesten Update, Nerve 2.5.0, ist beispielsweise eine Brute-Force-Login-Sicherung integriert, die das Risiko unautorisierter Zugriffe im Rahmen einer Cyberattacke minimiert.
5G wird massive Wachstumsraten vor allem in den breiten und vielfältigen IoT-Anwendungen außerhalb der Fabrik wie Smart Home, Connected Car, Fleet Management, Smart City usw. mit sich bringen
TTTech Industrial setzt mit seinen Lösungen auf offene Kommunikationsstandards. Die OPC Foundation hat ihre FX-Spezifikation erst vor wenigen Monaten vorgestellt. Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit dem offenen Standard, der jetzt auf die Feldebene gebracht wurde, gemacht.
Hufnagl: Die Standardisierung der Datenübertragung ist ein sehr wichtiger Enabler von IoT, mit OPC UA haben wir hier endlich einen etablierten Standard. Deshalb waren wir von TTTech Industrial auch bei OPC UA FX (damals noch OPC UA TSN) von Anfang an dabei. Wir haben gesehen, wie wichtig es ist, die großen Automatisierungshersteller an Bord zu holen, müssen aber bei den KMUs noch einiges an Aufklärungsarbeit leisten. Allerdings haben wir auch hier schon konkrete Resultate erzielt. Das Unternehmen B&R hat bereits eine Produktlinie gelauncht, die OPC UA FX implementiert und weiter in die Industrie hinausträgt.
Ein weiteres Beispiel ist die Controller-to-Controller (C2C) Demo der OPC Foundation FLC (Field Level Communication Initiative), die zeigt, wie OPC UA FX die nahtlose Konfiguration und dynamische Kollaboration von vier verschiedenen Controller-Typen von gut einem Dutzend Herstellern im Rahmen einer Smart Manufacturing-Applikation ermöglicht. Die dahinterliegenden Spezifikationen sind an sich schon fertig und wir gehen davon aus, dass Lösungen, die OPC UA FX für solche C2C-Anwendungsfälle einsetzen, noch dieses Jahr auf den Markt kommen werden.
OPC UA FX soll bald auch mit 5-G die Konnektivität weiter erhöhen. Was versprechen Sie sich davon?
Hufnagl: Neben den Cloud-Plattformen ist die Verfügbarkeit von verlässlichen, latenzarmen Kommunikationskanälen für IoT und IIoT eine Basis-Voraussetzung, egal ob leitungsgebunden oder drahtlos. Die richtige Kommunikationstechnologie hängt von den Anforderungen des Anwendungsfalles ab.5G wird massive Wachstumsraten vor allem in den breiten und vielfältigen IoT-Anwendungen außerhalb der Fabrik wie Smart Home, Connected Car, Fleet Management, Smart City usw. mit sich bringen. Aber auch in Smart Factories wird 5G eine wichtige Rolle spielen. Es eröffnet die Möglichkeit, eigene, private Campus-Netze aufzubauen. Der Zugriff auf Maschinendaten wird durch 5G weiter vereinfacht und das gibt IIoT/Edge noch mehr Rückenwind.
Was ich besonders an Österreich schätze, ist die Vielzahl an Initiativen, bei denen innovative Unternehmen zusammenarbeiten, um gemeinsam etwas Großes zu bewirken
Sie blicken auf einen großen Erfahrungsschatz im Bereich der industriellen Automatisierung. Nach rund 25 Jahren bei Festo sind Sie als Vorstandsmitglied und General Manager von TTTech Industrial nach Wien gewechselt. Wie schätzen Sie Österreich als Innovations- und Forschungsstandort ein?
Hufnagl: Statistisch gesehen wird in Wien alle 55 Minuten ein neues Unternehmen gegründet und die Hälfte aller internationalen Betriebe, die nach Österreich expandieren, siedeln sich in Wien an. Allein im Jahr 2020 waren es trotz Pandemie 200. Zahlreiche internationale Konzerne nutzen Wien als Standort für regionale Headquarters. Zum Titel der weltweit lebenswertesten und grünsten Stadt gesellen sich laufend weitere, die die hohe Innnovationskraft und Digitalisierungsstrategie der Donaumetropole widerspiegeln. Wir als TTTech Industrial verstehen uns als Pionierunternehmen, das die hohe Innovationskraft Wiens in die ganze Welt hinausträgt. Mit Produkten wie unserer IIoT/Edge Plattform Nerve ermöglichen wir es Unternehmen, das volle Potenzial ihrer Daten auszuschöpfen, die Qualität ihrer Services zu verbessern und neue Produkte und Services zu entwickeln.
Was ich besonders an Österreich schätze, ist die Vielzahl an Initiativen, bei denen innovative Unternehmen zusammenarbeiten, um gemeinsam etwas Großes zu bewirken. Beispielsweise die “Mach heute Morgen möglich” Initiative von Microsoft, bei der wir mitwirken, um gemeinsam die digitale Zukunft Österreichs zu gestalten.
Welche Ziele haben Sie sich für Ihre neue Aufgabe bei TTTech Industrial gesetzt?
Hufnagl: Ich freue mich darauf, mit unseren Kunden und Partnern eng an der Erweiterung und Verbesserung unseres Lösungsportfolios zusammenzuarbeiten und Nerve in viele weitere Märkte zu bringen, um Unternehmen jeder Größe dabei zu unterstützen, mithilfe unserer Produkte und Technologien noch wettbewerbsfähiger zu werden. Hier werden wir weiter massiv in R&D investieren, vor allem in Security, Usability und bessere Unterstützung von Kunden, die hunderte bis tausende Edge-Devices im Feld haben. Auf dieser Basis möchten wir mit unseren Kunden und Partnern den Wachstumskurs für die digitale Transformation für den Maschinenbau und die Fabrikbetreiber fortsetzen.