Boom der Automatisierung : "Das beste Pferd, auf das man setzen kann"
Seit kurzem ist Armin Pehlivan Kommerzialrat, wie hier zu lesen ist. Im Gespräch mit AUTlook beschreibt er, was mittelalterliche Märkte mit unserem heutigen Leben zu tun haben, warum ein isländischer Vulkan für die Lieferfähigkeit von Beckhoff eine Rolle spielt und wieso der Chipmangel in wenigen Monaten behoben sein wird.
Beginnen wir mit der Smart Automation: Wie sehr stand die Durchführung der Messe im Oktober auf der Kippe?
Armin Pehlivan: Überhaupt nicht. Es gab darüber keine Diskussion und schon gar keine Abstimmung unter den im Fachbeirat vertretenen Ausstellern. Der Kollege, der mich bei der letzten Fachbeiratssitzung Anfang September vertreten hat, hat mir ebenfalls bestätigt, dass das nicht einmal zur Debatte stand. Die einzige Möglichkeit wäre gewesen, dass Messeveranstaltungen von staatlicher Seite her untersagt werden. Aber auch dafür hätten wir einen Plan B gehabt.
Wie hätte dieser Plan B ausgesehen?
Pehlivan: Keine Messe. So einfach ist das. Wir brauchen als Aussteller dafür lediglich einen gewissen Vorlauf, damit uns keine Kosten entstehen – denn keine Besucher empfangen zu können und trotzdem Kosten zu haben, wäre natürlich nicht tragbar.
Digitale Formate sind die Zeit nicht wert
Eine digitale Variante stand also nicht im Raum?
Pehlivan: Nein, eine digitale Variante hätte nicht zur Debatte gestanden. Ich habe mir viele digitale Events seit Beginn der Pandemie angesehen. Keines der Formate ist auch nur die Zeit wert, die darin investiert wurde. Der Tiefpunkt war die SPS Connect 2020, das war einfach ein Chat. Die digitale Hannover Messe, auf die ich heuer gehofft hatte, war dann ein animierter Chat mit Youtube-Videos. Das ist so ungefähr die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Warum funktionieren digitale Messen Ihrer Meinung nach nicht?
Pehlivan: Messen und Marktplätze gehören zu unserem Leben dazu. Das war schon im Mittelalter so: Wenn eine Stadt das Marktrecht bekommen hat, sind die Leute hingeströmt und die Stadt ist aufgeblüht. Da treffen sich die Leute, tauschen sich aus, trinken ein Glas Wein miteinander – so sind wir Menschen einfach.
Anreise im PKW statt im Bus
Der Zuspruch der Aussteller ist sehr gut, es sind nur zwei oder drei Handvoll Aussteller weniger als im letzten Vor-Pandemiejahr. Damit ist die Ausstellerdichte auf der Smart deutlich höher als bei vergleichbaren Messen. Worauf führen Sie das zurück?
Pehlivan: Meines Wissens fallen sogar nur eine Handvoll Aussteller weg, und das aus verschiedensten Gründen, die nichts mit Corona zu tun haben müssen. Es ist praktisch dieselbe Messe wie immer, bis auf den Außenbereich, der ohnehin nicht so gut funktioniert hat.
Was erwarten Sie auf Besucherseite?
Pehlivan: Das ist schwieriger zu sagen. Ich habe persönlich mit vielen namhaften Kunden gesprochen, und die einzige Änderung ist, dass etliche jetzt nicht gemeinsam im Bus anreisen, sondern mit PKWs. Keine einzige Firma hat gesagt, dass sie ihren Mitarbeitern verbietet, auf die Messe zu kommen. Daher kann ich nicht einmal sagen, dass ich einen Rückgang erwarte, obwohl ich mich freilich irren kann. Aber ich glaube die Leute sind sehr interessiert zu kommen.
Drei Wellen machen einen Boom
Ein Argument ist, dass die Auftragsbücher der Maschinenbauer so voll sind wie noch nie und diese – auch wegen der Lieferprobleme auf Chipseite – nicht wissen, wie diese abzuarbeiten wären. Daher bleibe möglicherweise keine Zeit, nach Linz zu fahren.
Pehlivan: Da haben Sie recht, das könnte ein Faktor werden. Wir stecken in einer Boom-Phase wie noch nie. Was sich am Automatisierungs-Markt abspielt, das ist unglaublich. So eine Nachfrage haben wir noch nie gesehen. Die Automatisierungsbranche ist das beste Pferd, auf das man setzen kann.
Woher kommt dieser plötzliche Boom, der vor zwei Jahren noch nicht absehbar war?
Pehlivan: Hier treffen drei Wellen zusammen. Da ist erstens das Vakuum, das durch den Lockdown entstanden ist. Das Zweite sind die Investitionsförderungen, die wegen Corona von vielen Regierungen in die Wirtschaft gepumpt werden. Diese kommen zwangsläufig in der Automatisierung an, denn was immer auch in Zukunft produziert wird, dafür braucht es unsere Branche. Der dritte Faktor: Während der Pandemie hatten viele Chefs genügend Zeit, sich mit strategischen Was-wäre-wenn-Fragen zu beschäftigen. Wie kann ich sicherstellen, dass ich auch in Zukunft schneller und sicherer produziere? Wie kann ich verhindern, dass die Produktion in einem Lockdown zum Erliegen kommt? Was könnte ich außer dem Bisherigen noch produzieren – und wie? Das ist die nachhaltigste Welle, die unsere Branche für die nächsten 10 bis 20 Jahre beschäftigen wird.
Der Chipmangel wird bald aufgeholt sein
Wie sehr ist die Automatisierungsbranche von den aktuellen Materialengpässen insbesondere bei Halbleitern und Chips betroffen?
Pehlivan: Beckhoff ist lieferfähig. Das liegt an der Strategieänderung, die wir nach dem Ausbruch des isländischen Vulkans 2010 durchgeführt haben. Wir legen seither so viel Komponenten auf Lager, dass wir in der Lage sind mindestens 6 Monate autark zu produzieren. Das bindet viel Kapital, hilft uns aber gerade in der jetzigen Situation enorm. Ein Schiff, das im Suezkanal querliegt, spüren wir gar nicht. Wir kämpfen lediglich mit den hohen Auftragseingängen, haben heuer schon 500 Leute eingestellt, neue Linien und neue Hallen in Betrieb genommen. Das braucht noch eine Zeit bis das alles greift.
Die Probleme am Halbleitermarkt sehen Sie nicht als Bremse für die Branche?
Pehlivan: Ich weiß natürlich auch, was auf der anderen Seite los ist. Wir beliefern den Halbleitermarkt und viele der Maschinen dort werden mit unseren Produkten realisiert. Gerade in diesem Segment kennen die Investitionen derzeit keine Grenzen. Der aktuelle Mangel wird in einigen Monaten aufgeholt sein.
Wir geben Wels eine Chance
Ein Ausblick auf 2022: Es wird keine Smart in Wien geben, sondern nur mehr die Intertool in Wels. Wie sehen Sie diese Entscheidung? Werden Sie als Beckhoff auf der Intertool ausstellen?
Pehlivan: Wir werden ausstellen. Meines Wissens nach war Beckhoff der erste Automatisierer, der sich angemeldet hat. Aber zugegebenermaßen war ich nicht glücklich, dass die Wiener Ausgabe gecancelt wurde. Das war eine demokratische Mehrheitsentscheidung des Fachbeirats, die ich selbstverständlich respektiere. Und ohne parallel stattfindende Intertool fehlte auch mir die Euphorie für eine Smart in Wien. Wir machen mit und geben Wels eine Chance.
Dann sehen wir Sie also in sehr positiver Grundstimmung auf der Smart?
Pehlivan: Für uns gibt es dort nur eine Änderung – als ich erfahren habe, dass B&R ihre Teilnahme absagt, habe ich dem Veranstalter sofort gesagt, dass wir dessen Stand übernehmen. Dieser ist größer und liegt mehr in der Mitte. Und von dort gehen wir auch in den kommenden Jahren nicht mehr weg!