Nachhaltigkeit : Festo-CEO Jung: "Für mich als Ingenieur ist das nichts anderes als eine Revolution"
Inovationen für Klima- und Ressourcenschutz
Eine schwarze Wolke hänge über uns, beurteilt Festo-CEO Oliver Jung die aktuelle politische Weltlage – die Klimakrise und der Krieg in der Ukraine seien eine Gefahr für die Demokratie. Umso wichtiger sei es, die Nachhaltigkeit in der Industrie voranzutreiben und auf Innovation zu setzen. "Die Automatisierung ist die Lösung vieler unserer Probleme", so Jung.
Festo setzt schon seit vielen Jahren auf die Bionik – für viele der innovativen Produkte hat man sich von der Natur inspirieren lassen. Dieser Gedanke wird nun unter dem Begriff "Biologisierung" weitergeführt, den Jung als Unternehmensideologie bezeichnet. Der Nachhaltigkeitsgedanke wird bei Festo nun im globalen Maßstab gedacht. Einerseits will man die eigene Produktion klimaneutral gestalten – dieses Ziel will man schon 2023 erreichen. Und andererseits will man die eigenen Innovationen für den globalen Klima- und Ressourcenschutz einsetzen.
Die Schlüsseltechnologien der ökologischen Produktion
Die Schlüsseltechnologien bei Festo sind hierbei nachhaltige und energieeffiziente Pneumatik mit Piezotechnologie: Controlled Pneumatics. Der elektrische Energieverbrauch beträgt um 80 Prozent weniger als bei herkömmlichen Lösungen. Energieeinsparungen durch den Einsatz von KI-geleiteter Software: Predictive Maintenance, Predictive Quality und Predictive Energy.
Und einen Beitrag soll auch das Konzept eines Bioreaktors leisten, bei dem Algen als Rohstoff zum Einsatz kommen. Die Idee ist vielversprechend: Bis zu 2.000-mal so viel CO2 wie ein "herkömmlicher" Baum sollen die Reaktoren absorbieren können. Doch die Revolution wird noch auf sich warten lassen müssen – die Reaktoren sind noch in der frühen Entwicklungsphase. Wie lange es noch bis zur Marktreife dauert, konnte man noch nicht sagen. "Es handelt sich eher um Jahre als um Jahrzehnte", so Jung.
Bioökonomie als Wirtschaftssystem der Zukunft
Das Potenzial für den Bioreaktor ist laut Festo enorm, die Bioökonomie sei das Wirtschaftssystem der Zukunft. „Unser Anspruch ist, einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität heutiger und kommender Generationen zu leisten – durch die Kultivierung von Biomasse im großen Stil durch unsere Automatisierungstechnik“, so Elias Knubben, Vice President Corporate Research and Innovation.
Mit dem Photobioreaktor lassen sich Algen automatisiert kultivieren und ihr Wachstum kontrollieren. Algenzellen wandeln mittels Photosynthese in ihren Chloroplasten Sonnenlicht, Kohlendioxid und Wasser in Sauerstoff und chemische Energieträger bzw. organische Wertstoffe um. So wird die Biomasse im geschlossenen Kreislauf hocheffizient und ressourcenschonend gezüchtet. Algen können mit Automatisierungstechnik von Festo unter anderem durch optimale Begasung und Durchmischung einhundert Mal mehr Kohlendioxid binden als Landpflanzen wie Bäume oder Mais. Langfristig soll dieser Wert noch einmal um das 20-fache steigen.
Festo will die Bioreaktoren jedoch nicht selber produzieren, man wolle die Forschungsergebnisse anderen Unternehmen, die auf diesen Bereich spezialisiert sind, anbieten.
Der Blue World-Ansatz
Mit der Blue World wird veranschaulicht, wie Festo eine Transformation der industriellen Produktion in eine effiziente und klimaschonendere Art der Herstellung anstrebt. Der Technologieäquator steht für die heutigen und zukünftigen Technologiefelder. „Damit wollen wir zum Ausdruck bringen, wie Automatisierungstechnik die Versorgung der Weltbevölkerung einerseits und den Schutz unserer natürlichen Ressourcen sowie eine klimaneutrale Produktion andererseits in ein Gleichgewicht bringen kann“, erläutert Oliver Jung.
Den nächsten Entwicklungsschub für die industrielle Produktion sieht Festo in dem Wandel in Richtung einer konsequenten Kreislaufwirtschaft. „In der Natur gibt es keinen Abfall und keine Verschwendung, wir müssen nur lernen, diese Prinzipien auf unser Wirtschaften zu übertragen. Deshalb arbeiten wir im Rahmen unseres Bionic Learning Network mit dem Projekt „PhotoBionicCell“ daran, diese Prinzipien auf die Automatisierung zu übertragen“, sagt Oliver Jung.
Erster pneumatischer Cobot
Ein großer Wurf scheint auch mit dem ersten pneumatischen Cobot gelungen, den Festo bereits auf der Hannover Messe vorgestellt hat und der 2023 in Produktion gehen soll. Auch hier wird die Energieeffizienz, die durch die leichte Bauweise und den niedrigen Energieverbrauch durch Controlled Pneumatics erzielt wird, betont.
Der pneumatische Festo Cobot soll günstiger sein als elektrische Cobots dieser Klasse. Er soll ein attraktives Verhältnis aus Preis und Leistung in seinem vornehmlichen Einsatzgebiet des Kleinteilehandlings bei Nutzlasten bis zu 3 kg aufweisen. „Zum Verkaufsstart 2023 wird der Festo Cobot mit seiner einfachen Bedienbarkeit neue Maßstäbe in der Mensch-Roboter-Kollaboration setzen“, erklärt Frank Melzer, Vorstand Product and Technology Management bei Festo.
CEO-Jung ist von der Technologie überzeugt. "Die gesamte wissenschaftliche Community hat uns gesagt, dass ein pneumatischer Roboter nicht realistisch sei. Doch wir haben es geschafft!" Wie ein menschlicher Arm hat der Festo Cobot mit 670 mm genau die richtige Reichweite, um im Teamwork mit dem Mitarbeiter als helfende dritte Hand wahrgenommen zu werden. Er bewegt sich – wie ein echter Kollege – in einem überschaubaren Radius. Dank der Nachgiebigkeit der pneumatischen Antriebe agiert der Cobot feinfühlig – mit situativ angemessener Geschwindigkeit, in flüssigen, harmonischen Bewegungen. Bei Berührung ist er so soft wie ein menschlicher Kontakt. "Ich bin kein Anhänger von großen Marketingsprüchen, aber für mich als Ingenieur ist das nichts anderes als eine Revolution", so Jung.