AUTlook:Branchenmonitor : Die Erwartungen der Industrie an Automatisierung und KI
Über die Gesprächspartner
VDMA Österreich: Mit mehr als 3.500 Mitgliedern ist der Verband Deutscher Maschinen und Anlagenbau VDMA die größte Netzwerkorganisation und wichtiges Sprachrohr des Maschinenbaus in Europa. Der Verband vertritt die gemeinsamen wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Interessen dieser einzigartigen und vielfältigen Industrie.
FEEI: Der Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie FEEI vertritt die Interessen von rund 300 Unternehmen in Österreich und leistet damit einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Österreich.
ZAB: Die Zukunftsagentur Bau ZAB ist von der österreichischen Bundesinnung Bau mit der Wahrnehmung von Forschungsagenden beauftragt und setzt sich engagiert für die Interessen von rund 14.000 österreichischen baugewerblichen Unternehmen im Bereich der Forschung und Innovation ein.
FMTI: Der Fachverband Metalltechnische Industrie FMTI, der Zusammenschluss der ehemaligen Fachverbände Maschinen- und Metallwarenindustrie sowie Gießereiindustrie, zählt zu den größten Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden Österreichs und ist eine eigenständige Organisation im Rahmen der Wirtschaftskammer Österreich. Die Metalltechnische Industrie ist Österreichs stärkste Branche. Über 1.200 Unternehmen aus den Industriezweigen Maschinenbau, Anlagenbau, Stahlbau, Metallwaren und Gießerei bilden das Rückgrat der heimischen Industrie.
Wie schätzen Sie die derzeitige Wirtschaftslage in Ihrer Branche ein und welche Entwicklung erwarten Sie sich für die nächsten Jahre?
FEEI: Die EU hat es in den vergangenen Jahren verabsäumt, eine strategisch abgestimmte Industriepolitik zu entwickeln. Es braucht dringend eine europäische Industriestrategie mit dem Ziel, Europa am Weltmarkt weiterhin als starken Player zu positionieren. In der EU standen viele Jahre lang der innereuropäische Wettbewerb und der Konsumentenschutz im Vordergrund. Es wurde vergessen, dass wir in einem globalen Wettbewerb stehen. Die europäische Elektro- und Elektronikindustrie bietet durch moderne Innovationen viele Lösungen, um dem weltweiten Klimawandel wirksam entgegenzutreten. Gerade in der Energietechnik ist Europa absoluter Vorreiter. Durch die Digitalisierung können wir die Effizienz enorm steigern und damit Energie sparen. Wir sind auch im internationalen Vergleich gut aufgestellt und dabei, diesen Bereich laufend weiterzuentwickeln.
ZAB: Nach Jahren guter Auftragslage ist die Baubranche aktuell mit einer Vielzahl von Krisen und deren Folgen konfrontiert. Vor allem die dynamische Entwicklung der Baukosten bringt die Bauwirtschaft unter Druck. Sie begann bereits im Jahr 2021 aufgrund von Lieferengpässen und Materialmangel und verschärfte sich mit Beginn der Energiekrise im vergangenen Jahr. Die steigenden Zinsen wirken dämpfend auf die Baunachfrage und belasten insbesondere den privaten Wohnbau. Der anhaltende Arbeitskräftemangel sowie bestehende Unsicherheiten am Immobilienmarkt hemmen die Bauwirtschaft zusätzlich. Die unternehmerischen Erwartungen sind deutlich rückläufig und signalisieren für die nächsten Monate eine ungünstige Baukonjunktur.
VDMA: Die oft familiengeführten und mittelständisch geprägten österreichischen Maschinen- und Anlagenbauer sind regional stark verwurzelt. Sie können bzw. wollen nicht wegen steigender Energiepreise, Fachkräftemangel oder anderer Standortnachteile die Produktion kurzfristig aus Österreich in billigere Länder verlagern. Eigentümer und Geschäftsführung denken nicht in Quartalszahlen, sondern - zum Wohle des Unternehmens, der Mitarbeiter und der Regionen – langfristig und über Generation hinweg. Die Gefahr einer Deindustrialisierung ist daher kurzfristig nicht real, langfristig aber dann eine Gefahr, wenn die EU und Österreich, anstatt Technologieoffenheit zuzulassen, die Standortbedingungen weiter erschweren, statt sie zu erleichtern. 2023 rechnet der VDMA daher für den österreichischen Maschinen- und Anlagenbau mit einem realen Umsatzplus von drei Prozent. Langfristig hängt die Entwicklung von vielen Faktoren ab, nicht zuletzt der Standortbedingungen wie (Energie) Infrastruktur, fairen Wettbewerbsbedingungen, stabilem Euro und hohem Bildungsniveau der Fachkräfte.
FMTI: Das Wachstum in der Metalltechnischen Industrie war 2022 noch solide mit einem realen Plus von 3,7 %. Momentan sehen wir einen massiven Rückgang der Nachfrage bei gleichzeitig stabilem Auftragsbestand noch vom letzten Jahr. Wir erwarten für dieses Jahr eine äußerst schwache Konjunkturentwicklung in der Metalltechnischen Industrie und für die nächsten Jahre eine deutlich verschlechterte Wettbewerbsposition unsere Sektors. Der Grund dafür sind hohe Kostensteigerungen im Energiesektor und im Lohnsektor, mit denen unsere internationalen Mitbewerber nicht in gleicher Form konfrontiert sind.
Lösung für den Fachräftemangel?
KI und Automatisierung werden als Lösung für den anhaltenden Fachkräftemangel gesehen. Welche Auswirkungen sehen Sie auf Ihre Branche durch KI und Automatisierung?
VDMA: Einer der zentralen Treiber für die Digitalisierung und die Teil- und Vollautomatisierung der Industrie in Europa ist unbestritten der Arbeitskräftemangel. Der Maschinenbau ist dabei der Lösungsanbieter für die Industrie, um Produktivitätssteigerungen mit weniger Arbeitskräften zu erzielen – trotzdem werden in anderen Bereichen deutlich mehr Arbeitskräfte gesucht. Derzeit beschäftigt der Maschinen- und Anlagenbau in der EU etwa 3 Millionen Arbeitskräfte, in Deutschland 1,2 Millionen und in Österreich über 100.000. Das wird auch durch die steigende Roboterdichte und Digitalisierung in Fertigung und sämtlichen anderen Unternehmensbereichen sichtbar. Ein hoher Automati sierungsgrad und attraktive Bedingungen für die Beschäftigung von Fachkräften gehen zwischenzeitlich Hand in Hand. Natürlich ist dabei auch der Maschinen- und Anlagenbau vom Fachkräftemangel betroffen – zur Zeit beklagt in Deutschland jedes zweite Unternehmen Arbeitskräftemangel, in Österreich jedes dritte. Der Arbeitskräftemangel ist das größte Produktionshindernis noch vor Mangel an Vormaterialien (weiterhin insb. Elektronik-Teile) oder fehlenden Aufträgen. Nur mit einer sinnvollen Kombination aus Automatisierung und Digitalisierung sowie attraktiven Bedingungen für die Ausbildung und Beschäftigung von Fachkräften können wir in Österreich und Europa ein attraktiver Industriestandort sein.
FEEI: Die Elektro- und Elektronikindustrie setzt schon seit vielen Jahren auf Automatisierung und Vorgänger von KI. Schwerpunkte liegen dabei auf der Optimierung von Planungsprozessen und eingebetteter Systeme in der Produktion. Auch die Überprüfung der Performance mithilfe von Echtzeitdaten spielt eine große Rolle. Die smarten Technologien dafür liefert zu einem großen Teil die Elektro- und Elektronikindustrie selbst, die somit eine Doppelrolle – sowohl als Anwender, als auch als Hersteller von sogenannter „Industrie 4.0“ – innehat. Die Anzahl der hochdigitalisierten Unternehmen, also der Unternehmen mit einem hohen Anteil an digitalisierten Produkten, Prozessen und Services, wird sich in den nächsten Jahren mehr als verdreifachen. Insbesondere in der Elektro- und Elektronikindustrie werden über 90 Prozent der Unternehmen ihre Wertschöpfungsketten stark digitalisieren. Dank zu erwartender Effizienzsteigerungen und sinkender Herstellungskosten können dadurch andere Wettbewerbsnachteile kompensiert werden.
ZAB: Das Potenzial für den Einsatz von KI und Automatisierung ist in der Baubranche enorm hoch, die Akzeptanz der Bauarbeiter für technische Neuerungen ist aber oft verhalten und aufgrund der guten Auftragslage der letzten Jahre haben viele Unternehmen auch die Notwendigkeit der Veränderung nicht gesehen. Hier muss auf vielen Ebenen ein Wandel passieren, um diese Technologien gut einsetzen zu können.
FMTI: Das Thema Automatisierung der Produktion ist für unseren Sektor nicht neu. Schon seit Jahrzehnten werden Produktionsprozesse automatisiert, gleichzeitig steigt die Beschäftigung in unserem Sektor. Das heißt, wir erwarten durch den Einsatz von KI und eine beschleunigte Automatisierung einen Bedarf an neuen Fachkenntnissen, aber generell keine Entspannung des Arbeitskräfte- und Fachkräftemangels. Dieser hat sich in den letzten Jahren noch verschärft. Steigende Automatisierung ist eine Notwendigkeit, um unsere Produktivität zu erhöhen und Wachstum zu ermöglichen, sie wird aber den Arbeitskräftemangel nicht lösen. Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, wird es sicher notwendig sein, bestehende Mitarbeiter zu schulen. Neue Visualisierungssoftware ist hier ein Ausbildungstool, das in Zukunft genützt werden wird.
Die wichtigsten Anwendungsfälle
Welche sind die gängigsten Anwendungsfälle für KI und Automatisierung in Ihrer Branche, und welche neuen Anwendungsfälle erwarten Sie sich für die Zukunft?
ZAB: Derzeit wird KI noch sehr wenig in der Baubranche eingesetzt. Um diese sinnvoll einsetzen zu können, müssen Daten digital zur Verfügung gestellt werden, und da haben wir in der Baubranche noch Aufholbedarf. In Zukunft wird zum Beispiel die Baufortschrittsaufzeichnung mittels kamerabasierter Auswertung der errichteten Bauteile und dem Abgleich zum 3D-Gebäudemodell automatisiert möglich sein.
FEEI: Ein Stärkefeld der österreichischen Industrie ist die industrielle Produktion, also das Wissen um Produktionsverfahren. Hier finden sich auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette zunehmend KI-Systeme. Viele neue Anwendungen entstehen auch über Partnerschaften entlang der Wertschöpfungskette.
VDMA: Bisher stand meistens der Shopfloor im Fokus der Digitalisierung und Automatisierung. Das war in der Vergangenheit richtig, und auch in Zukunft müssen wir auf stetig steigende Produktivität in der Fertigung achten. Allerdings macht die Produktion zwischenzeitlich nur einen geringen Anteil der Gesamtzeit und -kosten zwischen Auftragseingang und Auslieferung aus. Größere Gewinne, die sich aus einer effizienten Digitalisierung und Automatisierung ergeben, liegen daher gleichermaßen in der Produktion wie auch sämtlichen anderen Unternehmensbereichen, von Engineering & Innovationsmanagement, Einkauf bis Vertrieb.
FMTI: Selbstlernende Systeme und die Anwendung von internetbasierten Prozessen im Maschinenpark ist in unserer Branche schon seit einigen Jahren etabliert oder wird vorangetrieben. Wir sprechen hier von Anwendungsfällen wie Fernwartung, Predictive Maintenance bzw. Servicedienstleistungen, die über digitale Prozesse durchgeführt werden. Verbreitet sind auch sich selbst steuernde Produktionsprozesse, die Maschinenkapazitäten optimal nutzen und Produktionsprozesse zeitlich optimieren. Klassische Automatisierung wie automatisierte Handling Systeme, die Maschinen be- und entladen bzw. Werkstücke durch den Produktionsprozess führen, sind im Einsatz. Diese Prozesse erlauben den Unternehmen, auch individueller auf Kundenwünsche einzugehen und Aufträge sowohl zeitlich als auch in ihrer Konfiguration für den Abnehmer maßzuschneidern. Zu den wichtigen Anwendungsbereichen zählt auch die Qualitätskontrolle in der Fertigung.
Österreich als Innovationsstandort
Sehen Sie in Ihrer Branche den Trend zu Re- oder Nearshoring und wie schätzen Sie Österreich als Innovations- und Produktionsstandort ein?
VDMA: Nearshoring ist für die meisten Maschinen und Anlagenbauer kein Trend, sondern gehört oft schon zur Unternehmensstrategie. Allerdings ist es richtig, dass Nearshoring vor dem Hintergrund von „Decoupling“ und bisher fehlender politischer Strategie der EU und Österreichs gegenüber USA und China immer mehr an Bedeutung zunimmt und der Maschinen- und Anlagenbau daher Zulieferer nicht nur aufgrund von Materialkosten sondern auch der Verfügbarkeit und geographischen Nähe diversifiziert. Leitmotiv für jeglichen industriepolitischen staatlichen Eingriff muss fairer Wettbewerb und Technologieoffenheit sein. Unter Einhaltung dieser Prämissen ist Forschungsförderung der EU und Österreichs für den Industriestandort von Vorteil. Falsch sind aber die einseitigen Förderungen bestimmter Technologien oder Behinderung wettbewerbsstarker, erfolgreicher Technologien, die wir leider im Moment auch erleben.
FEEI: Europa befindet sich in einem harten Wettkampf um die wichtigen Zukunfts- und Schlüsseltechnologien, der von Akteuren wie den USA und China mit klaren strategischen Zielsetzungen geführt wird. Um die technologische und digitale Souveränität Europas nicht weiter zu gefährden, braucht es deshalb einen gesamteuropäischen Zugang zu Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionskapazitäten bei Technologien wie der Mikroelektronik. IPCEIs ermöglichen es, diese wichtigen Kapazitäten innereuropäisch aufzubauen. Die USA und asiatische Länder treiben Schlüsseltechnologien seit vielen Jahren und mit hohen finanziellen Mitteln strategisch voran. Hier muss Europa unbedingt und rasch nachziehen, zum Beispiel auch mit dem European Chips Act.
ZAB: Die Baubranche ist in der Produktion ihrer Baumaterialien sehr regional und auch sehr viele Innovationen und neue Technologien werden im europäischen Raum geschaffen, daher gibt es hier wenig Handlungsbedarf. In Österreich gibt es viele Institutionen und Produkthersteller, die sich mit Innovationen für die Baubranche befassen und auch Förderprogramme sind ausreichend vorhanden. Wir haben aber auch sehr viele Baufirmen, die neue Technologien selbst entwickeln und einsetzen.
FMTI: Wir sehen in unserer Branche auf alle Fälle ein Bestreben, die Lieferketten zu diversifizieren. Das heißt, nicht notwendigerweise die gesamte Lieferkette zu regionalisieren, sondern die Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten zu reduzieren. Das ist kein Gegentrend zur Globalisierung, sondern das Bestreben, globale Lieferketten durch Backup Systeme abzusichern. Das Abwandern großer Industrien ist geschehen, diese mit den erwähnten IPCEIS zurückzuholen, ist wohl nicht mehr möglich. Strategisch wichtige Fertigung damit in Europa zu halten, ist sicher sinnvoll. Nur so können wir unsere Lieferketten auch entsprechend regional diversifizieren.