Megaprojekt : 450-Tonnen-AGVs im Einsatz bei Siemens Gamesa
Die Herstellung von Windturbinen für Offshore-Anlagen erfolgt in einem völlig anderen Maßstab als die normale Massenproduktion. Die Rotorblätter der 8-MW-Anlage SG 8.0-167 DD, die Siemens Gamesa für Offshore-Windparks baut, sind 81,4 Meter lang. Die Gesamthöhe der Turbine beträgt 167 Meter (10 Meter höher als der Kölner Dom) und die Gondeln wiegen rund 350 Tonnen. Diese Maschinen zur nachhaltigen Energiegewinnung sind weltweit gefragt. Gebaut werden die Gondeln im Werk Cuxhaven, das 2018 eigens für diese Aufgabe neu errichtet wurde. Die Rotorblätter stammen aus anderen Schwesterwerken des Siemens-Gamesa-Konzerns.
Ebenso beeindruckend wie die Dimensionen der Turbinen sind der Arbeitsablauf und die Kapazität des Werks in Cuxhaven. Jährlich werden mehr als 250 Gondeln produziert und direkt auf speziell gebaute Transportschiffe verladen. Das heißt, die 600 Mitarbeiter bauen jeden Tag eine komplette Gondel für eine Windkraftanlage. Das ist Fließfertigung im Megamaßstab.
Klar strukturierte, hochflexible Fließfertigung
Die drei Hauptkomponenten - die Nabe, das zweigeschossige Backend"-Maschinenhaus und der Generator selbst - werden auf drei parallelen Fertigungslinien montiert. Auch die Magnete für den Generator werden im Werk Cuxhaven mit einer ähnlich hohen Fertigungstiefe hergestellt. Diese drei massiven Bauteile werden zur kompletten Gondel zusammengeführt, die anschließend in einer Prüfstation umfassend getestet wird.
Die Montage erfolgt taktweise an den einzelnen Stationen, wobei die tonnenschweren Bauteile auf Gestellen platziert werden, die den Transport von Station zu Station ermöglichen. Dies geschieht hauptsächlich per Kran, aber um maximale Flexibilität zu gewährleisten, werden auch fahrerlose Schwerlasttransportsysteme (FTS) von Stäubli WFT für den Transport im Werk eingesetzt. Die AGVs manövrieren sich unter die Rahmen, heben sie an und bringen sie zur nächsten Montagestation.
Drei hochpräzise AGVs mit 200 Tonnen Ladekapazität
Drei Schwerlastplattform-AGVs aus der Stäubli WFT-Baureihe mit einer Tragfähigkeit von 200 Tonnen sind im Einsatz. Sie bewegen sich mit Hilfe von acht omnidirektionalen Antriebseinheiten - eine patentierte Eigenentwicklung von Stäubli WFT. Acht feste Rollen sorgen für den Halt beim Transport der Last.
Ein menschlicher Bediener bewegt die 8,00 x 2,62 Meter große Plattform per Fernsteuerung unter den Rahmen und hebt die Plattform auf Knopfdruck um 200 mm an. Mit einer maximalen Geschwindigkeit von 1,2 km/h (2,1 km/h im unbeladenen Zustand) übergibt der Bediener das Bauteil an die nächste Montagestation. Das sorgt für ein sanftes Fahren und schont Reifen sowie Böden - dank der patentierten Stäubli WFT-Antriebstechnik verursachen die Drehbewegungen nur minimalen Abrieb.
Im Boden installierte RFID-Tags schaffen die Voraussetzungen für einen halbautomatischen Betrieb. Die AGVs bewegen sich dann zwischen vorprogrammierten Positionen. Und das ist nur die erste Stufe der Integration von Schwerlast-FTS in automatisierte Materialflusskonzepte. Das Steuerungssystem ermöglicht auch die Integration in Industrie 4.0-Umgebungen und Lagerverwaltungssysteme. Darüber hinaus kann Stäubli WFT FTS-Daten für die Prozessoptimierung bereitstellen.
Ein hocheffizientes Materialflusskonzept
Die Kombination von Kran- und/oder FTS-Transport ist seit Beginn der Produktion in Cuxhaven wertschöpfend. Die einzigartigen Vorteile wurden bei der ersten Modellumstellung eindrucksvoll unter Beweis gestellt. "Die Produktion begann mit unseren 7-MW-Offshore-Turbinen", sagt Nils Schattenmann, der im Werk für das Rolling Equipment zuständig ist. "Später haben wir ohne Produktionsunterbrechung auf die aktuellen, viel größeren 8-MW-Turbinen umgestellt. Der Aufwand dafür war minimal, die FTS mussten nur umprogrammiert werden."
Auch im konventionellen Betrieb ist die Geschäftsleitung mit den von Stäubli WFT gelieferten Fahrzeugen rundum zufrieden. "Die AGVs arbeiten zuverlässig und mit hoher Präzision. Da diese Fahrzeuge ein integraler Bestandteil des internen Materialflusses sind, können wir uns hier keine Ausfallzeiten leisten", so Schattenmann weiter.
Transport zum Prüfstand mit 450-Tonnen-AGVs
Der Faktor Zuverlässigkeit gilt umso mehr für das vierte Schwerlast-AGV von Stäubli WFT. Seine Tragfähigkeit ist mit 450 Tonnen mehr als doppelt so hoch wie die seines Vorgängers, und mit einer Plattformgröße von 10,5 x 3,02 Metern ist er auch deutlich größer. Dabei sorgen 16 Antriebseinheiten, die von 19 Bockrollen getragen werden, für Mobilität.
Dieses AGV ist im Wesentlichen für den letzten Prozessschritt - den Transport der fertigen Gondeln zum Prüfstand - reserviert. Es hat also auch in der Mega-Flow-Produktion eine feste Rolle.
Das Fahrzeug kann mehr als das Elffache seines Eigengewichts von rund 40 Tonnen heben und transportieren und bringt damit ein Gesamtgewicht von mehr als 400 Tonnen auf die Waage. Es gibt weltweit nur sehr wenige FTS-Hersteller, die in dieser Traglastklasse mithalten können, aber Stäubli WFT setzt noch einen drauf: Bei Lasten von 500 Tonnen und mehr können mehrere Fahrzeuge aneinandergekoppelt werden. Die AGV-Steuerungen sind grundsätzlich dafür ausgelegt.
Zukunftsaussichten: Zwei 450-Tonnen-AGVs im Synchronbetrieb
Siemens Gamesa plant, in naher Zukunft ein fünftes Schwerlast-AGV von Stäubli WFT für das Werk in Cuxhaven zu erwerben. "Wir bauen derzeit die Produktion für die nächste Generation von Offshore-Windturbinen auf, die deutlich größer sein und ebenfalls eine höhere Leistung von 11 MW liefern wird", sagt Schattenmann. Konkret bedeutet dies, dass die SG 11.0-200 DD einen Rotordurchmesser von unglaublichen 200 Metern haben wird und die Gondeln ein Drittel mehr wiegen werden. Außerdem werden sie mit einem Hubschrauberlandeplatz ausgestattet sein.
Flexibilität spielte auch bei der Planung des innerbetrieblichen Schwerlast-Materialflusses eine zentrale Rolle. Deshalb entschieden sich die Systementwickler von Siemens Gamesa für ein zweites Modell der bestehenden 450-Tonnen-Plattform und nicht für ein einziges, noch größeres AGV. Schattenmann: "Auf den beiden 450-Tonnen-Fahrzeugen, die im Tandembetrieb arbeiten, werden wir dann die fertigen Gondeln der neuen Turbinen von der Endmontage zum Prüfstand transportieren. Dass Stäubli WFT über das technische Know-how verfügt, um Fahrzeuge dieser Größe synchron zu betreiben, ist für uns ein großer Vorteil. So können wir die Fahrzeuge einzeln oder paarweise einsetzen und so ein Maximum an Flexibilität erreichen."