User Experience : Was die Industrie von der Psychologie lernen kann
In der Industrie wird dem Thema Psychologie noch wenig Beachtung geschenkt. Welche Vorteile ergeben sich durch diesen Zugang?
Verena Seibert-Giller: UX bezeichnet generell die Erfahrung, die ein Nutzer mit einem System macht. Dabei geht es darum, wie die menschliche Seite der Interaktion aussieht, wie sich der Nutzer dabei fühlt, ob er seine Ziele mit dem System umsetzen kann. Im industriellen Bereich geht es sehr stark um den Sicherheitsaspekt. Wenn der Mitarbeiter durch eine schlechte UX Fehler macht, kann es zu schweren Betriebsunfällen kommen. Der psychologische Aspekt ist, dass wir als Mensch pro Sekunde ungefähr zehn Millionen Bits an Informationseinheiten verarbeiten. Es ist uns aber nur ein Millionstel davon auch bewusst. Die Psychologie versucht zu verstehen, was die Triebfeder für all unsere Entscheidungen und Aktivitäten ist – und all das liegt in diesen Informationseinheiten, auf die wir keinen Zugriff haben. Und je mehr ich verstehe, wie diese unterbewussten Prozesse passieren, desto besser kann ich ein Produkt so gestalten, dass es für den kleinen Spielraum an Bewusstsein gut funktioniert.
Was wäre ein Beispiel für eine schlechte UX?
Seibert-Giller: Ein typisches Beispiel ist der Bankomat. Der Benutzer geht an das System heran und will Geld abheben. Die Konzentration und Aufmerksamkeit des Benutzers haben das System so lange an sich gebunden, bis er das Geld in der Hand hält. Ab diesem Zeitpunkt ist die Aufgabe im Kopf erledigt und die Konzentration verlagert sich wieder. In Österreich ist es so, dass ich zuerst die Bankomatkarte zurückbekomme und dann erst das Geld. In viele Ländern ist das aber umgekehrt. Und diese Länder haben größere Probleme damit, dass die Personen die Karte im System vergessen, weil einfach vorher schon der psychologische Bogen beendet ist. Und solche kleinen Tricks kann man auf das Verhalten der Benutzer in vielen anderen Bereichen steuern und optimieren.
Nicht jedes Unternehmen hat einen eigenen UX-Experten. Wer soll das letztendlich umsetzen?
Seibert-Giller: Bei jedem System gibt es eine Schnittstelle, an der der Benutzer mit dem System interagiert. Und genau da ist UX angesiedelt Die Leute, die hier an den sprichwörtlichen Hebeln sitzen, sollten entsprechende Ausbildungen machen. Die meisten Systeme werden mit dem reinen Blickwinkel der technischen Funktion entwickelt, aber man kümmert sich nicht um die Aufgaben, die ein Nutzer erledigen möchte. Das UI bietet in der Regel alle möglichen Funktionen, die sind für den Nutzer jedoch schwierig zu fassen, weil er einfach andere Reihenfolgen und Prioritäten hat, wie er die Sachen gerne verwenden würde und findet sich dadurch im System nicht gut zurecht.
In der Kommunikation mit Robotern werden ganz normale menschliche Züge erwartet und das erhöht das Vertrauen.
Die vergangenen Jahre haben neben der Pandemie auch einen immensen Digitalisierungsschub mit sich gebracht. Wie beobachten Sie diese Entwicklung aus psychologischer Sicht?
Seibert-Giller: Es ergeben sich komplett neue Chancen und es passiert sehr viel Positives. Allerdings sehe ich es kritisch, dass man die Entwicklungen, wie Home Office, nur positiv sieht. Die Bedeutung der täglichen Routine wird stark unterschätzt. Ein strukturierter Arbeitstag bietet viele positive Aspekte, die man jetzt gar nicht mehr so wahrnimmt. Das Gespräch mit dem Kollegen, der Kaffee am Morgen – das sind die Kleinigkeiten, die sehr viel ausmachen. Auf der anderen Seite sehe ich aber natürlich auch, dass durch die Digitalisierung vieles effizienter wird, auch in Sachen Nachhaltigkeit und Umwelt hat das positive Auswirkungen, wenn zu Beispiel viele Reisetätigkeiten entfallen. Aber man muss auf den Faktor Mensch sehr gut aufpassen. Wir sehen im Moment nur die Vorteile, haben für viele Jobs aber den Blick dafür verloren, was durch die Digitalisierung verloren geht und welche positiven Auswirkungen ein Büroleben haben kann. Ich bin nicht der Meinung, dass man Homeoffice wieder einstellen sollte, aber ein bis zwei Tage im Büro finde ich sehr förderlich. Und generell finde ich den Impuls der Digitalisierung in allen Bereichen der Gesellschaft für sehr positiv.
Die Mensch-Roboter-Kollaboration spielt durch den breiten Einsatz von Cobots in der Industrie eine immer wichtigere Rolle. Was kann man hier von der Psychologie lernen?
Seibert-Giller: Dort wo wir in die Produktivität gehen, gibt es immer Leute, die die Schnittstelle zum Roboter bedienen müssen. Da spielt die UX eine sehr wichtige Rolle, weil hier schon die kleinsten Veränderungen extrem hohe Folgekosten auslösen können. Sehr interessant sind auch die humanoiden Serviceroboter, die langsam in die Medizin, aber auch andere Bereiche, vordringen. Bei der Kommunikation muss es ein gemeinsames Bezugssystem geben, das ein gemeinsames Situationsbewusstsein ermöglicht. In der Kommunikation mit Robotern werden ganz normale menschliche Züge erwartet und das erhöht das Vertrauen. Roboter werden zumindest in den kommenden Jahren nicht Jobs übernehmen, wo emotionales Einfühlungsvermögen gefragt ist. Sie werden aber zunehmend für einfachere Assistenzaufgaben eingesetzt werden – das sieht man ja schon sehr stark in vielen asiatischen Ländern. Und wenn ich mir den aktuellen Pflegenotstand bei uns ansehe, dann kann das eine Möglichkeit sein, das Pflegepersonal zu entlasten. Und da wird die Psychologie eine wichtige Rolle spielen.