AI5production : Digitalisierung ohne Bürokratie
Eine Stelle, die einem produzierenden Betrieb bei der Lösung einer konkreten technischen Herausforderung hilft – ohne aufwendige Bürokratie, aber trotzdem so gut vernetzt, dass sich für jedes Problem die richtigen Ansprechpartner mit Domainwissen finden; ohne Eigenmittel auf den Tisch legen zu müssen, aber trotzdem voll ausfinanziert; und dann auch noch so, dass man die Lösung vor der Umsetzung ausprobieren kann; und wenns passt, bleibt Know-how für die Lösung im eigenen Unternehmen und hilft einem langfristig weiter: Das wäre doch was …
Was ein bisschen wie die Kreuzung aus eierlegender Wollmilchsau und süßem Unternehmerwunschtraum klingt, gibt es seit diesem Jahr tatsächlich. „Test before Invest“ heißt das Service, das produzierenden Unternehmen offensteht, sofern sie nicht mehr als 2.999 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen. Dahinter stehen eine EU-Initiative und ein österreichisches Konsortium, das viel Erfahrung mit den realen Bedürfnissen der heimischen Unternehmen versammelt. Aber der Reihe nach, zur Orientierung:
Top-down: Die Struktur des Programms
Das „Digital Europe Programm“ der Europäischen Kommission hat das Ziel, die digitale Kompetenz europäischer Unternehmen zu steigern. Eine Initiative daraus sind die sogenannten „European Digital Innovation Hubs“ (EDIH), die sich in den Mitgliedsländern jeweils einer Branche oder eines Themas annehmen und je zur Hälfte von der Kommission und dem jeweiligen Land finanziert werden. In Österreich, wo das BMWA die co-finanzierende Stelle ist, gibt es vier davon; das EDIH für die produzierende Industrie heißt „AI5production“, wird von der Pilotfabrik der TU Wien koordiniert und umfasst insgesamt 16 Partnerinstitutionen. Das Ziel ist es, den Unternehmen kostenlose Unterstützung bei Digitalisierungs- Projekten in der Produktion zu bieten und somit den Digitalisierungsgrad der Unternehmen zu steigern. Das Tool dafür heißt „Test before Invest“: Damit sind explizit kleine, überschaubare Projekte mit Kosten von bis zu 40.000 Euro gemeint, die vollständig vom EDIH getragen werden.
Bottom-up: Die Bedürfnisse der Unternehmen
Hinter der Struktur stehen Menschen, die sich eine möglichst umsetzungsfreundliche und unbürokratische Abwicklung überlegt haben. Claudia Schickling, Leiterin der Pilotfabrik der TU Wien und Koordinatorin von AI5production, hat selbst mehr als 20 Jahre lang in verschiedenen KMU gearbeitet und kennt die Herausforderungen, die Digitalisierungsprojekte mit sich bringen, aus erster Hand: „Wir wollen nichts verkaufen! Wir sind neutral, unsere Aufgabe ist es, den Unternehmen bei der Lösung eines Problems zu helfen!“ Diese Niederschwelligkeit ist es auch, die für Schickling den messbaren Erfolg des im November 2022 gegründeten Hubs ausmacht. Bisher wurden 65 Projekte eingereicht, von denen die ersten bereits abgeschlossen sind. Geplant ist es, in den ersten drei Jahren insgesamt mindestens 130 Projekte abzuwickeln – eine Zielerfüllung von 50 Prozent bereits nach dem ersten Jahr zeigt, dass hier ein bestehender Bedarf sehr genau adressiert wird.
Vernetzt und flexibel
Claudia Schickling wird von den beiden Projektmanagern Christian Wögerer vom außeruniversitären Forschungsinstitut Profactor und Franz Sümecz unterstützt, der wie sie selbst bei der Pilotfabrik der TU Wien beschäftigt ist. Die drei bilden ein eingespieltes Team, was ein weiteres Erfolgsrezept von AI5production und „Test before Invest“ ist: „Bei uns arbeiten erfahrene Leute, die wissen, wie man mit der Industrie redet, und die auch untereinander sehr gut vernetzt sind“, sagt Wögerer. Sümecz ergänzt: „Wir sind eben kein Forschungsprojekt, bei uns geht es ausschließlich darum, den digitalen Reifegrad des Unternehmens zu heben.“ Das bedeutet, dass selbst einfachste Projekte möglich sind: „Wenn es die Lösung ist, dass ein Roboter von der Stange in eine Produktionsstraße integriert und dafür adaptiert werden muss, dann machen wir auch das.“
Bei fast der Hälfte der bisher entwickelten Projekte geht es allerdings nicht um Robotik, sondern ums Sammeln und Nutzen der Daten, die in Produktionsunternehmen mittlerweile zuhauf anfallen. Hier bewährt sich ein weiteres Alleinstellungsmerkmal von AI5production: Die Projekte werden 1:1 zwischen dem Hub und dem Unternehmen abgewickelt. Das stellt sicher, dass die Daten zu 100 Prozent im Unternehmen verbleiben können, die individuellen Problemstellungen der Unternehmen direkt adressiert werden und die Geheimhaltung ist gewährleistet.
Erfolgsfaktor Midcaps
Dass die österreichische Lösung ein Erfolgsmodell ist, hat sich auch bis Brüssel herumgesprochen, wo AI5production ihre Vorgehensweise als Erfolgsmodell für andere Länder zu präsentieren beginnt. Das betrifft zum Beispiel auch die Unternehmensgröße: EDIHs sollen, so die Vorgabe der Kommission, nicht nur die klassischen KMU bis 249 Mitarbeitende ansprechen, sondern auch „Midcaps“ bis 2.999 Mitarbeitende die Leistungen in Anspruch nehmen können. Diese Unternehmen sind in der Regel einerseits zu groß, um an KMU-orientierten Förderprogrammen teilzunehmen, aber auch wieder zu klein, um eigene Forschungsprojekte mit wissenschaftlichen Partnern aufzustellen – und werden mit dem Konzept erstmals explizit angesprochen. In Österreich sind bereits 30 Prozent der „Test before Invest“-Projekte von Midcaps eingereicht, was wiederum für das gute Gespür der Projektverantwortlichen für die Bedürfnisse der produzierenden Wirtschaft spricht. Claudia Schicklings Zwischenbilanz überrascht dann nicht mehr: „Wir sind wirklich gut unterwegs!“