Interview: Prof. Rainer Blatt : Pionier der Quantentechnologie über die Potenziale in der Industrie

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Prof. Rainer Blatt: „Wir sehen gerade erst die Spitze des Eisberges und ich garantiere auch, dass es in einigen Jahrzehnten tatsächlich zu einer breiten Nutzung kommen wird. Aber wir sollten die Quantentechnologie jetzt nicht zu sehr in den Himmel heben.“

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Eines ist sicher: Die Quantentechnologie wird zu großen Umbrüchen in allen Teilen der Gesellschaft führen. So auch in der Industrie, wo die Erwartungen schon heute sehr hoch sind. Prof. Rainer Blatt, einer der renommiertesten Forscher in diesem Bereich, der an einem universellen Quantencomputer für die Industrie arbeitet, mahnt jedoch zur Besonnenheit. Ja, die Technologie hat enormes Potential, doch der Weg dahin ist noch ein sehr langer.

Während die großen globalen Technologieunternehmen wie Alibaba, Amazon, IBM oder Google massiv in ihre Quantenkapazitäten investieren und bereits unterschiedliche Cloud-Dienste anbieten, läuft die Weiterentwicklung der Technologie in Europa vor allem im Bereich der Forschung ab. Federführend dabei ist in Österreich der deutsche Experimentalphysiker Prof. Rainer Blatt, Leiter des Instituts für Experimentalphysik an der Universität Innsbruck, der 2018 das Unternehmen Alpine Quantum Technologies mitgegründet hat. Das Ziel: Der erste Allzweck-Quantencomputer für den industriellen Gebrauch.

An der Universität Innsbruck und beim Spin-off Alpine Quantum Technologies (AQT) arbeiten Sie am ersten Allzweck-Quantencomputer. Vor kurzem wurde ein 19-Zoll-Rack für den Industrieeinsatz vorgestellt. Wie ist der derzeitige Stand der Entwicklung?

Prof. Rainer Blatt: Wir haben bereits im Dezember des vergangenen Jahres, wie es auch in unserem Fahrplan vorgesehen war, einen Industriestandard vorgelegt. Das heißt, wir können jetzt fertige Quantencomputer für die Industrie verfügbar machen, mit bis zu 20 und in naher Zukunft bis zu 30 Quantenbits, die voll funktionsfähig sind. Das ist der erste transportierbare Quantencomputer, der modular aufgebaut ist und über die Cloud angebunden ist.

Wovon die Industrie natürlich träumt – und da ist es noch zu früh – ist, dass man diese Technologie z.B. für die Entwicklung von chemischen Prozessen einsetzt und für die Simulation von sehr komplexen Systemen.

Was sind ihrer Meinung nach, die Use-Cases für Quantencomputer in der Industrie? Es geht ja nicht um klassische Problemlösungen, sondern um eine heuristische Herangehensweise – also um die Lösung von komplexen Problemstellungen.

Blatt: Die Spezialprobleme, die wir behandeln, sind meistens im physikalischen Bereich angesiedelt – wie zum Beispiel in der Simulation. Die Firmen, die heute ein Interesse an dieser Technologie haben, versuchen mit speziellen Use-Cases jetzt zu sehen, was möglich ist – das können Optimierungen sein oder Signalverarbeitung. Diese Use-Cases bedienen wir mit der Hardware, die Software dazu müssen andere zur Verfügung stellen. Ich sehe das auch aus der Perspektive meiner Funktion als Koordinator der Munich Quantum Valley, wo sich eine ganze Gruppe von Experten damit beschäftigt, welche Anwendungsmöglichkeiten für die Industrie von Interesse sind. Da kann man noch nicht einen einzelnen Fall herausgreifen. Denn die Hardware, die wir momentan haben, ist eine NISQ-Architektur – also Noisy Intermediate-Scale Quantum Devices. Die ist noch nicht geeignet für richtig große Rechenprobleme, die für die Industrie relevant wären, um kompetitiv zu rechnen.

Und was sind die vielversprechendsten Anwendungsfälle für die Industrie?

Blatt: Generell sehe ich die Entwicklung im Moment so, dass die Quantencomputer in Rechenzentren eingesetzt werden, als Co-Prozessoren für Supercomputer, und dabei helfen, die wirklich schwierigen Probleme, die man auslagern kann, zu lösen. Das ist eine Idee, die in den kommenden fünf Jahren realisiert werden soll. Das verfolgen wir auch im Zuge der Quantum Austria, wo die Eingliederung von Quantenprozessoren in sogenannte High-Performance-Computer getestet werden soll. Das passiert derzeit überall auf der Welt, es gibt verschiedene Initiativen. Nach meiner Einschätzung wird es so sein, dass wir zunächst einmal versuchen müssen, die Quantenmaschine an klassische Rechner so anzubinden, dass sie auch homogen genutzt werden können. Das Zweite – und das ist die Zukunft – wird sein, dass wir Fehlerkorrekturen entwickeln müssen, um dann die Maschinen tatsächlich als universelle Maschinen für lange Rechenprozesse einsetzen können. Erst dann wird es interessant für die Industrie. Im Moment ist das nur für Teilprobleme interessant. Wovon die Industrie natürlich träumt – und da ist es noch zu früh – ist, dass man diese Technologie z.B. für die Entwicklung von chemischen Prozessen einsetzt und für die Simulation von sehr komplexen Systemen. Das geht in der Physik derzeit schon zum Teil, wir nähern uns diesen Dingen. Aber die Hardware ist noch nicht soweit, dass wir wirklich industriell relevante Probleme sinnvoll rechnen können. Das wird noch Jahre dauern.

Ich persönlich finde ja, dass es für die Industrie die Quantentechnologien ganz allgemein sind, mit deren Hilfe man viel mehr machen kann. Mit der Quantentechnologie entstehen neue Möglichkeiten zum Beispiel in der Kommunikation oder der Messtechnik.

Die Industrie verspricht sich ja sehr viel von dem Potenzial der Künstlichen Intelligenz. Bringt uns die Quantentechnik da weiter?

Blatt: Schauen Sie, ich bin kein Freund von Übertreibungen. Quantencomputer sind für spezielle Aufgaben wirklich sehr gut geeignet, wir wissen aber noch nicht genau, für welche Zwecke sie am besten einsatzbar sein werden. Wir sind daran interessiert, die Hardware unter Kontrolle zu bringen. Die Quantenphysik ist deswegen so mächtig, weil sie mit Superpositionen und Verschränkungen arbeitet, die man aber in der Realität kontrollieren muss. Diese Quantenkontrolle beschränkt sich dann eben nicht auf mikroskopische Systeme, sondern auf meso- wenn nicht sogar makroskopische Systeme. Und genau damit beschäftigt sich die Wissenschaft derzeit. Die Vision ist, dass es die Rechner definitiv auch geben wird, die eine Rechenleistung haben werden, die die Möglichkeiten von klassischen Computern in speziellen Problemen übersteigen. Aber ich möchte nicht spekulieren, was in Zukunft noch alles gemacht werden kann und wann das passieren wird. Der Quantencomputer wird ja derzeit sehr gehyped. Ich persönlich finde ja, dass es für die Industrie die Quantentechnologien ganz allgemein sind, mit deren Hilfe man viel mehr machen kann. Mit der Quantentechnologie entstehen neue Möglichkeiten zum Beispiel in der Kommunikation oder der Messtechnik. All diese Dinge werden dazu führen, dass wir die Quantentechnologien bis hin zu Quantencomputern in den kommenden Jahrzehnten vermehrt und verstärkt einsetzten werden. Wir sehen gerade erst die Spitze des Eisberges und ich garantiere auch, dass es in einigen Jahrzehnten tatsächlich zu einer breiten Nutzung kommen wird. Aber wir sollten die Quantentechnologie jetzt nicht zu sehr in den Himmel heben.