Keba Automation : Die Automatisierungspyramide verschwimmt

Gabriel

Christian Gabriel: „Die Digitalisierung sollte in der Industrie sogar noch schneller gehen als es jetzt schon passiert.“

- © KEBA

Die Automatisierung verändert sich, von der starren Pyramide hin zu durchgängigen Kommunikationssystemen und offenen Standards. Wie bildet sich diese Veränderung am Markt bei Keba ab?

Christian Gabriel:
Dass die Pyramide immer mehr verschwimmt und die Automatisierung in Richtung IT rutscht, ist nicht verwunderlich: Denn das Ziel der Maschinenbauer muss die Effizienzsteigerung sein. Andere Bereiche haben bereits vorgemacht, wie die Digitalisierung sich hier auswirkt. Meiner Meinung nach sollte in der Industrie sogar noch schneller gehen als es jetzt schon passiert.

Welche Branchen meinen Sie, die hier als Vorbild dienen könnten?


Gabriel:
Ein bekanntes Beispiel ist die Intralogistik, wo der Trend zu E-Commerce massiven Druck für mehr Effizienz gemacht hat und immer noch macht. Insgesamt meine ich aber den Trend in der IT, Softwarearchitekturen aufzubauen, die echte Effizienzsteigerungen in den Abläufen bringen. Natürlich gibt es hier Unterschiede zum Maschinenbau, wo – anders als in der IT – viele Standards nicht interoperabel sind. Deshalb steigen die Kosten für Systemengineering massiv an, und es gibt auch ein Personalproblem: Es gibt nicht mehr viele Mitarbeiter, die die verschiedenen Systeme in der nötigen Tiefe kennen und somit betreuen können. Wir müssen auch alles einfacher machen, um Leute für die industrielle Kommunikation begeistern zu können.

Wenn sie die IT ansprechen, muss ich nach Cybersicherheit fragen: Wenn sich der Maschinenbau durch Konnektivität angreifbarer macht, wie steuern Sie gegen?

Gabriel: Die Sicherheitsfrage ist relevant, aber es gibt auch schon sehr viele Antworten. Ich denke an den Sicherheitsstandard IEC 62443 für industrielle Netze und Kommunikationssysteme. Auch die OPC UA Protokolle behandeln Security sehr gut. Aber auch wenn das Risiko insgesamt steigt, dürfen wir nicht vergessen, dass Europa im internationalen Standortwettbewerb der Industrie steht. Wir müssen da gemeinsam Lösungen schaffen und uns nicht mit Security selber ausbremsen.

Manche Bereiche werden sich ändern, aber was ich nicht sehe ist, dass wir in Zukunft nur mehr Software verkaufen, die auf beliebiger Hardware installiert wird.

Ein Trend ist der zu Plattformstrategien, auf denen Add-ons austauschbar und Updates leicht möglich gemacht werden. Bei Keba ist Kemro X die Antwort darauf und wird mit dem Slogan „Zurück in die Zukunft beworben“. Was ist damit gemeint, sie werden ja nicht mit einem Delorean in die 50er-Jahre zurückreisen wollen um die Gegenwart zu verändern?

Gabriel:
Das war ein Slogan, den wir in der Anfangsphase der Coronakrise geprägt haben. Damals waren wir davon ausgegangen, dass das in Kürze wieder vorbei ist und wollten ausdrücken, dass der Maschinenbau sich bald wieder auf seine Zukunftsthemen besinnen wird … aber zu Kemro X: Die Plattform ist erst drei Jahre alt, doch der Kern ist wesentlich älter. Seit 2008 arbeiten wir bei Keba mit Linux, weil wir schon sehr früh gesehen haben, dass in offenen Ansätzen riesengroße Mehrwerte liegen. Das betrifft auch die Einbindung von 3rd-Party-Software, für die Kemro X die Antwort ist.

Wodurch unterscheidet sich Kemro X von anderen Plattformen?


Gabriel:
Dazu ist es wichtig zu verstehen, wie die die Keba tickt: Wir forcieren den Branchenansatz und sind fokussiert darauf, den von uns belieferten Branchen Komplettlösungen in großer Tiefe anzubieten. Mit Kemro X haben wir alles zusammen auf eine Plattform gebracht. Wir differenzieren uns also über die technologische Tiefe, von der unsere Kunden profitieren. Das betrifft sowohl Hard- als auch Software.

Also ein Stück weg von der Hardware hin zur Software, richtig?


Gabriel:
Unser Ziel ist es, zukunftsfähige Standards zu leben. Wir könnten es auch ohne Hardware, aber unsere Kunden brauchen nach wie vor Hardware: Das ist die Basis. Manche Bereiche werden sich ändern, aber was ich nicht sehe ist, dass wir in Zukunft nur mehr Software verkaufen, die auf beliebiger Hardware installiert wird. Das optimale Zusammenspiel ist eben ein Mehrwert für unsere Kunden. So können zum Beispiel Software-Updates einfach und abgestimmt installiert werden.

Ich hoffe, dass ein gemeinsamer globaler Standard kommt. OPC UA liefert dafür ein sehr gutes Framework, FX ist eine sinnvolle Erweiterung.

Der Trend zu Software-getriebenen Geschäftsmodellen ist da. Was bedeutet das für einen Produzenten von Hardware wie Keba?

Gabriel:
Keba ist weit mehr als ein Produzent von Hardware – wir positionieren uns als Full-Liner für industrielle Automatisierung, das beinhaltet Hard- und Software auf einer Plattform. Zu Ihrer Frage: Bis jetzt sehen wir diesen Trend eben noch nicht. Der Maschinenbau braucht die Rechenleistung, wir sind noch nicht dort, dass man Steuerung komplett ersetzen kann. Auf Feldebene braucht es Deterministik auf Mikrosekunden. Das wird mit übergeordneten Systemen nicht so schnell gehen. Wir verkaufen heute eher mehr Hardware als vor zehn Jahren, und die Stückzahlen werden weiter steigen. Die Maschinenbauer brauchen einen Rechnerkern für die Automatisierung, schon alleine wegen dem Risiko, dass mit der Auslagerung von Rechenleistung Prozesswissen weggegeben wird. Wie es da weitergeht, das werden die Maschinenbauer beantworten.

Wie sehen Sie OPC UA FX, wie es seit kurzem heißt: Wird das Ihrer Meinung nach tatsächlich die „Weltsprache der Automatisierung“ und die Feldbusse ablösen?

Gabriel: Ich hoffe, dass ein gemeinsamer globaler Standard kommt. OPC UA liefert dafür ein sehr gutes Framework, FX ist eine sinnvolle Erweiterung. Nach allem was wir bisher bei dem Thema gesehen haben, könnten wir es wirklich schaffen, dass wir zu einer einheitlichen Sprache kommen. Eines was wir Automatisierer aus der Software-Welt lernen können ist die objektorientierte Programmierung. OPC UA bildet die Eigenschaften von Geräten in diesem Sinne sehr gut ab. Daher ist es ein sehr vielversprechender Standard, auf den Keba setzt.

Bis wann wird es sich Ihrer Einschätzung nach durchsetzen? Welche Produkte und Lösungen wird es von ihnen dafür geben?

Gabriel: Das ist sehr von der Branche abhängig. Ich erlebe, dass sich heute schon 90 Prozent der Maschinenbauer damit beschäftigen und versuchen, OPC UA als Standard zu definieren. Sehr weit vorne ist beispielsweise die Kunststofftechnik, das ist auch einer unserer Kernbereiche. In der Robotik wird es noch dauern. Wie lange es aber noch dauert, bis OPC UA FX in neuen Maschinengenerationen die einzige Lösung sein wird? Dazu kann ich nur eine falsche Antwort geben. Wovon ich überzeugt bin ist, dass es bald in vielen Maschinen enthalten sein wird.

Eine ähnliche Frage stellt sich bei SPE: Ist „Single Pair Ethernet“ ein Thema für Keba?


Gabriel:
Wir arbeiten in der SPE System Alliance mit und forcieren das Thema auch. Aber wir als Hersteller von Geräten werden wir den Standard umsetzen, den der Maschinenbauer am Ende nutzen wird. Darum sind wir noch nicht so weit, dass wir Produkte anbieten. Falls es SPE am Ende nicht werden wird, müssen wir eine andere Lösung haben.

Aus Ihrer Antwort ergeben sich drei Fragen: Erstens, warum Sie sich für die SPE System Alliance und gegen das SPE Industrial Partner Network entschieden haben. Zweitens, ob zwei SPE-Standards parallel am Markt existieren könnten. Und zum Abschluss die Frage, wie die „andere Lösung“ aussehen könnte, die Sie angesprochen haben.


Gabriel:
Beim Single Pair Ethernet muss die gesamte Prozesskette abgebildet werden, vom Sensor bis in die Cloud. Bei der SPE Alliance ist ein gesamtheitlicher Ansatz zu sehen, der über das Steckgesicht hinausgeht. Wir reden auch mit den anderen, und ich hoffe sehr, dass es zu einem Standard kommt. Den brauchen wir auch, um zu wissen, was wir auf unseren Platinen designen müssen. Was die Alternativlösung anbelangt, da greife ich wieder auf die IT zurück: Das kann auch ein RJ45 mit neuem Stecker sein. Was wir in der Industrie brauchen ist eine Lösung, die Bandbreite und Sicherheit abdeckt. Welche es dann sein wird? Ich hoffe die, die die Bedürfnisse der Industrie am meisten berücksichtigt.