All Electric Society : Vernetzung für die Energiewende

AUTlook: Seit wann gibt es einen Fokus auf „All Electric Society“ bei Phoenix Contact?

Thomas Lutzky: Die All Electric Society beschreibt eine Zukunft, in der regenerativ erzeugte elektrische Energie als primäre Energieform weltweit in ausreichender Menge und völlig wirtschaftlich zur Verfügung steht. Wir beschäftigen uns mit der Vision der All Electric Society seit 2019. Wir stellen uns damit den konkreten technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen und fragen uns: Wie wird unser Unternehmen in den kommenden Jahrzehnten aussehen? Wofür stehen wir? Welche Impulse von außen nehmen wir auf und wie beeinflussen sie unser Handeln?

Wurde dafür eine eigene „Einheit“ gebildet, oder ist es ein Schlagwort, unter dem Sie bestehende Leistungen versammeln?

Lutzky: Dieses Leitbild gilt für die gesamte Phoenix Contact Gruppe, und bestimmt damit bestimmt unsere strategische Ausrichtung. Das bedeutet auch, dass sich unser Leistungsportfolio noch fokussierter daran ausrichten wird. Digitalisierung bekommt dabei einen noch größeren Stellenwert als bisher. In der Kombination werden effiziente Lösungen geschaffen, wie das intelligente Koppeln von energieerzeugenden und verbrauchenden Sektoren sowie möglicher Speicher, um unseren Energieverbrauch ausbalancieren und reduzieren zu können.

Kosten für regenerative Energie müssen fallen

Strom macht keine 25 Prozent des gesamten Energieaufkommens aus: Ist das Schlagwort von der „All Electric Society“ da nicht ein wenig irreführend?

Lutzky: In 2020 wurde in Deutschland erstmalig mehr regenerative als fossile Energie erzeugt. Das zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Natürlich müssen die Kosten für regernative Energieerzeugung noch weiter fallen. Bis wir dort sind, brauchen wir einen hocheffizienten Umgang mit Energie und eine größtmögliche Steigerung der regernativen Energieproduktion. Skaleneffekte werden dazu beitragen, dass die All Electric Society wirtschaftlich wird – je größer also das Angebot an regenerativ erzeugter Energie, desto mehr fallen die Preise für die Endverbraucher.

Power2X-Technologie als Treiber für Erneuerbare

Power2X steht in Ihrer Agenda an erster Stelle. Das ist ein seit längerem forcierter Ansatz, wobei vor allem Power2Gas als aussichtsreich angesehen wird. Was bietet Phoenix Contact hier an?

Lutzky: Zukünftig wird immer mehr erneuerbare Energie aus Solar- und Windkraft gewonnen. Die große Hürde, die im Moment nicht gelöst ist, liegt in der Speicherung und Verteilung dieser volatilen Energie. Hier kann die Power2X-Technologie wesentlich beitragen. Mit dem daraus gewonnenen Wasserstoff lassen sich große Verbraucher – LKWs, Schiffe oder Industrien – mit ausreichend Energie versorgen. Gerade in den Bereichen rund um die Erzeugung, Verteilung, Speicherung und den Verbrauch sind unsere innovativen Produkte sowie Automatisierungs- und Digitalisierungslösungen – etwa der digitale Zwilling oder Cyber Security –, aber auch Produkte für den Explosionsschutz oder Safety perfekt einsetzbar. Gleiches gilt für die Supply Chain als weiterem Bestandteil der Wertschöpfungskette.

Gibt es konkrete Beispiele für speziell entwickelte Produkte oder umgesetzte Innovationsprojekte?

Lutzky: Damit erneuerbarer Strom auf breiter Front zum Einsatz kommt, braucht es fortschrittliche Automatisierungs- und Kommunikationstechnik. Vor allem dann, wenn man verschiedene Domänen – zum Beispiel Gebäude, Industrieanlagen, Energie und Elektromobilität – vernetzen will. Entsprechende Kommunikationstechnologien gibt es bereits. Mit Single-Pair Ethernet lassen sich künftig Sensoren und Aktoren Ethernet-basiert verbinden. Die TSN-Standards lösen die Vielfalt an Bussystemen ab. 5G ermöglicht Durchgängigkeit bei den drahtlosen Technologien. Diese drei Bausteine bieten also eine gute Perspektive, Aufwände zu reduzieren und komplexere Vernetzungen, z.B. bei der Sektorenkopplung, umzusetzen.

Neue Technologien wirtschaftlich machen

Ein Thema sind Skaleneffekte, um Power2X wirtschaftlich zu machen. Was fehlt auf der technischen Seite noch?

Lutzky: Technisch gesehen bewegt sich Phoenix Contact im Bereich Automatisierungs- und Kommunikationstechnik, die als Enabler ebenfalls von entscheidender Bedeutung sind. In puncto Elektrolyse, Kohlenstoff-Extraktion und Umwandlung in Methan oder eFuels sind wir also nicht der geeignete Ansprechpartner. Damit Power2X aber wirtschaftlich wird, muss neben der technischen ebenso die gesellschaftliche und politische Perspektive betrachtet werden. Es ist notwendig, sowohl national als auch europäisch gestützt durch die Politik Strukturen und Voraussetzungen zu schaffen, um für die Wasserstofftechnologie klare Zeichen zu setzen.

Wann ist Sektorkopplung "smart"?

Was verstehen sie unter „smarter Sektorenkopplung“, einem weiteren Schlagwort in Ihrem Leitbild?

Lutzky: Solange die oben beschriebenen Bedingungen noch nicht erfüllt sind, benötigen wir für den Übergang eine technisch denk- und realisierbare Strategie, um von der gegenwärtigen Situation diesen gedachten, zukünftigen Zielzustand zu erreichen. Dies bezeichnet man als Sektorenkopplung. Ihre Basis ist die umfassende Elektrifizierung, Vernetzung und Automatisierung aller Bereiche unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Sektorenkopplung ist der technologische Ansatz, durch möglichst optimale Kopplung und Ausbalancierung aller Energieverbraucher, Erzeuger und möglicher Speicher massive Effizienzoptimierungen und Energieeinsparungen zu erzielen. Erzeugte Energie kann dadurch dynamisch überall dort eingesetzt werden, wo sie gerade benötigt wird. Wird sie nicht benötigt, kann sie auf vielfältige Weise zwischengespeichert und dann wieder bedarfsorientiert eingesetzt werden. Steuerbare Verbraucher – wie zum Beispiel Ladestationen für Elektrofahrzeuge – tragen zur Ausbalancierung der Netze und zur effizienten Nutzung volatiler regenerativer Energie bei. Erzeugungs- und Lastspitzen lassen sich glätten, Stabilität und Verfügbarkeit der Energieversorgung wird ohne immense Überkapazitäten möglich. Diese intelligente und übergreifende Vernetzung aller Energie erzeugenden und verbrauchenden Sektoren machen diese smart. Dadurch wird die Energiewende hin zur All Electric Society technisch und auch wirtschaftlich machbar.