Human Machine Interaction : „An die hundertprozentige Automatisierung glaube ich nicht - noch nicht“

Wie kann die Digitalisierung den Arbeitsplatz künftig besser an menschliche Bedürfnisse anpassen? Ein Ansatz lautet „Deconstructing Complexity“. Komplexe Zusammenhänge werden dabei in ihre Einzelteile zerlegt, um jeden für sich zu betrachten: Was ist das Problem oder die Aufgabe? Was macht der Mensch dabei? Erst dann stellt sich die Frage nach der Technologie. „In der Praxis wird häufig versucht, das Problem sofort technisch zu lösen. Die Einbindung der User, also der Arbeiter*innen, passiert dann meist viel zu spät“, sagt Markus Murtinger. Wenn über den Arbeitsplatz der Zukunft gesprochen wird, sei dies nur zu lösen, wenn man zu Beginn den Menschen betrachtet und die Technik um die Anforderungen der Menschen baut. Murtinger nennt ein Praxisbeispiel: „In der Automobilbranche hat man teils Überkopf-Arbeit. Ewig hat man sich überlegt, wie Exoskelette dabei unterstützen können, acht Stunden lang den Kopf gedreht zu halten. Ein anderer Autobauer hat das jetzt so gelöst: er hat das Auto einfach um 90 Grad gedreht. Das ist für mich eine mensch-zentrierte Lösung und ein Paradebeispiel dessen, worum es eigentlich geht. Natürlich kann ich technologische Probleme mit Technik bekämpfen. Ich kann den Menschen augmentieren etc., aber eigentlich wäre die Lösung – wie es in diesem Fall war – das Auto per se zu drehen. Und das ist soziotechnisches Design: man nähert sich einer Problemstellung nicht aus der technologischen Sicht, sondern aus den mensch-zentrierten Anforderungen heraus.“

Factory Journey – Next Generation Human Centricity

Aus der Consumer-Branche kennt man dieses Prinzip als Customer Journey, wie aber sieht die Factory Journey künftig aus? Wie werden die Prozesse in der ganzen Fabrik aussehen und an welcher Stelle befinden sich die Menschen? Markus Murtinger ist der Ansicht, dass Menschen künftig verstärkt Aufgaben wie Überwachung, Monitoring, Maintenance und das Controlling der Systeme übernehmen. Aber wie sieht deren Arbeitsalltag künftig aus? „Stellen Sie sich vor, Sie sitzen an Ihrem Arbeitsplatz und überwachen vierzig Monitore. Sieben Stunden lang passiert nichts, manchmal passiert vielleicht einen Monat lang nichts. Aber was ist, wenn etwas passiert? Wie greife ich dann ein? Ich glaube der Arbeitsplatz der Zukunft wird stärker Kontext-sensitiv. In der Hinsicht, dass der Arbeitsplatz unterstützend eingreift, wenn sich etwas im Kontext ändert, also etwas passiert.“ Das könnte beispielsweise durch adaptive Interfaces geschehen, die Relevantes in den Mittelpunkt rücken.

Stichwort Interfaces: gerade hier könnte man die Erfahrungen aus der Konsumentenwelt in die Arbeitswelt einfließen lassen. „Es gibt immer mehr junge Arbeiter*innen, die iPhones und ähnlich einfache Interfaces gewohnt sind. Jetzt kommen sie in die Industrie und haben ein Interface aus den 90er Jahren“, sagt Murtinger. Mit diesem Spannungsverhältnis sei er immer wieder konfrontiert, denn dadurch, dass die Arbeiter*innen ihren Arbeitsplatz schlichtweg nicht mögen, steige die Fehlerquote. Hier müsse man allerdings unterscheiden: „Ist es jetzt wirklich der Arbeitsplatz, oder ist es beim Blue-Collar-Worker stark das Thema Shopfloor-Design? Ist überhaupt ein Shopfloor-Design optimiert für den Menschen? Wie wird sich das ändern, wenn die Technologie mitspielt? Ich mag diese Überlegungen dahinter. Denn heute werden oft einzelne Maschinen designt. Aber wie designt man eigentlich den Gesamtablauf? Hier kommt der spannende Human Centered Design Ansatz ins Spiel. Das passiert, behaupte ich, aber noch zu wenig strategisch.“

Warum künstliche Intelligenz im Konjunktiv sprechen sollte

Auch künstliche Intelligenz (KI) wird künftig vielerorts eine unterstützende Rolle am Arbeitsplatz einnehmen. Wir müssten allerdings noch lernen – das sei eines der Hindernisse im Zusammenspiel zwischen Menschen und KI – den Entscheidungen der künstlichen Intelligenz zu vertrauen. Eine Möglichkeit wäre, die Sprache der KI zu vermenschlichen, indem sie z.B. Vorschläge gibt und so zu uns spricht, wie wir es als Menschen gewohnt sind. „Ich denke aktuell ist noch die Gefahr, dass eine KI noch nicht vermittelt, wenn sie sich in etwas nicht sicher ist. Ein Mensch würde sagen, ich glaube, das ist so‘. Wenn auch eine KI anmerkt, dass sie sich bei gewissen Situationen mal nicht ganz sicher ist, dann haben die Aussagen einen anderen Stellenwert.“ erklärt Markus Murtinger. Man müsse sie nur stetig weitertrainieren, denn auch eine KI kann irren, vor allem wenn sie mit zu wenigen Trainingsfällen gefüttert wird.

KI im Training: Ein Schnitzel ist keine Suppe

„Die KI ist für mich kein abgeschottetes, abgeschlossenes System, sondern eine stetige Interaktion und ein anreichern um neue Trainingsfälle. Die Frage ist aber: trainiere ich das System richtig?“, sagt Murtinger und stellt ein weiteres Praxisbeispiel in den Raum. Es geht um den Einsatz von KI in einem Bezahlsystem im Gastrobereich, wie es beispielsweise im Rahmen des Projekts ZeroQ am Center for Technology Experience des AIT untersucht wurde: „Wenn die KI ein Schnitzel fälschlicherweise für eine Suppe gehalten hat, haben ihr die Leute gerne recht gegeben – weil die Suppe billiger ist. Wenn das drei machen, dann lernt die KI, ganz salopp gesagt, dass eine Suppe ein Schnitzel ist.“ Wie aber lässt sich so etwas verhindern? Für Markus Murtinger ist ganz klar: „So etwas bekommt man nur in den Griff, wenn man den Gesamtprozess soziotechnisch designt. Es reicht nicht, einen Kasten aufzustellen und zu sagen, dass der nun alles entscheiden wird.“ Man müsse erklären, dass es sich dabei um ein Werkzeug handelt. „Wie mein Hammer, so ist auch die KI ein Werkzeug. Sie ist uns nicht überlegen. Auch der Hammer funktioniert nur, wenn ich ihn in der Hand hab. Und ja, möge es ein automatisierter Hammer sein, der klopft. Aber trotzdem ist die Entscheidungskraft immer noch in einer menschlichen Hand. Und an die hundertprozentige Automatisierung glaube ich einfach nicht – noch nicht. Vor allem nicht, wenn man sich den Trend anschaut: warum sonst interessiert sich die EU für die Industrie 5.0? Man erkennt immer mehr, wie wichtig die menschliche Komponente ist, auch für die Erzeugung von Qualität.“

Fassen wir zusammen: um den Arbeitsplatz der Zukunft besser an den Menschen anzupassen, sollte man diesen früher in Planungsprozesse einbinden - Stichwort Shopfloor-Design. Anstelle vom Denken in Einzelschritten, sollten vielmehr Gesamtprozesse designt werden. Nach dem Motto „Deconstructing Complexity“ ist zu überlegen, wie die Fabrik von A bis Z funktioniert, wo Menschen welche Rolle spielen und welche Teilbereiche folglich hochautomatisiert sein können und welche nicht.