Bühnenbildtechnik : Wo kommt plötzlich all das Blut her?

© Reinhard Maximilian Werner

Ein 2.500 Jahre altes Drama sorgt seit Frühjahr 2017 für Aufsehen in der europäischen Theaterszene. Schon alleine der Stoff hat es in sich: „Die Perser“ des griechischen Dichters Aischylos aus dem Jahr 472 vor Christus ist das älteste erhaltene Theaterstück der Menschheitsgeschichte. Es erzählt vom überwältigenden Sieg der Griechen gegen die Perser im Jahr 480, vom Sieg der jungen europäischen Demokratie gegen die alte Monarchie des machthungrigen Königs Xerxes und von der völligen Vernichtung des persischen Heeres durch die wehrhaften Athener. Aischylos erzählte seinen griechischen Zuschauern die Geschichte aber aus der Perspektive der unterlegenen Feinde. Die Perser warten daheim auf Nachricht von den ins Feld gezogenen Vätern, Brüdern, Söhnen und Männern. Sie werden von der Wucht der Nachricht, von der Endgültigkeit der Niederlage zu Boden gedrückt. Es geht um Leben und Tod, um die Geburtsstunde einer Idee und das Sterben einer Ära, es geht um Krieg und Frieden und um das Leid des Einzelnen. Wenn man nach dem Ursprung des Ausdrucks „großes Theater“ fragt – hier findet sich die Antwort.

Die Decke fällt vom Himmel

Das Wiener Akademietheater nahm „Die Perser“ für die Spielzeit 2016/2017 ins Programm. Regisseur Michael Thalheimer inszeniert das Stück in einem großen, kahlen Raum, dem Eingang eines Mausoleums. Am Ende sollte die Decke vom Himmel stürzen und Blut und Verderben auf die Erde werfen. Bühnenbildner Olaf Altmann, der seit einem Vierteljahrhundert die optische Umsetzung der Ideen von Regisseur Thalheimer besorgt, realisierte diesen Raum mit der Metallbaufirma Rollo aus Brunn am Gebirge, einem versierten Bühnenbild-Spezialisten. Die entscheidende Frage für die künstlerische Idee war: Wie lässt man in einem Theater die Decke vom Himmel fallen und wieder zurückschweben, ohne Schauspieler und Zuseher zu gefährden? Die Seitenwände sind gut acht Meter hoch, bestehen aus mit Beton gefüllten Blechgerüsten und müssen eine 800 Kilogramm schwere, über den Köpfen der Mimen schwingende Decke halten. Eine nahezu überdimensionale Aufgabe. Doch immer wenn die statischen Bühnenbilder mit einer Aktion kombiniert werden müssen, ruft Rollo-Prokurist Thomas Praster bei Spörk Antriebssysteme an. Neben Antriebs-, Steuerungs- und Automatisierungstechnik hat sich das Unternehmen in Kottingbrunn als erste Adresse für Bühnenbildtechnik etabliert. Das liegt vor allem an Spörk-Prokurist Wolfgang Pfeffer.

Mehr als 100 Projekte

Der Absolvent einer HTL für Elektrotechnik ist seit über 30 Jahren im Unternehmen. Er war damals der erste Mitarbeiter, der in der neu gegründeten Firma angestellt wurde, und ist heute technischer Leiter von Spörk. Dass der Spezialist für industrielle Automatisierung ein angesehener Fachmann in der Theaterszene ist, begann mit einem Zufall. Vor 27 Jahren wurde er von einem Nachbarn gefragt, ob er ihm mit seiner Ausbildung nicht bei der Lösung eines technischen Problems bei einer Theateraufführung helfen könnte. Seither hat Pfeffer mit Spörk mehr als 100 Projekte begleitet: „Wir werden immer dann gerufen, wenn sich in einem Bühnenbild etwas bewegen soll“, erklärt er. Wenn sich in der Staatsoper Wände rund um die Sänger verschieben, wenn sich ein Fahrzeug geräuschlos über die Bühne des Burgtheaters bewegt, wenn eine Spieluhr aus einer Schachtel springt, Berge zu wandern beginnen oder ein Balkon samt Darstellern einen Absturz simuliert: Dann steckt dahinter die Ingenieurleistung von Wolfgang Pfeffer. Aber eine ganze Decke auf die Bühne stürzen lassen? Das war selbst für den erfahrenen Techniker eine neue Herausforderung – zumal die Zeit für die Realisierung genau so knapp war wie bei einfacheren Projekten.

Die größte je gebaute Königswelle

Nur zwei bis drei Monate sind Zeit, um ein Bühnenbild von der ersten Idee bis zum fertigen Aufbau zu bringen. Zuallererst wird aus der Skizze ein Modell aus Holz gebaut. Dafür ist am Akademietheater der technische Leiter Andreas Grundhoff zuständig, dessen Modell die Basis für die Arbeit der Bühnenbildbauer ist. Bei Wolfang Pfeffer steht die Rechenarbeit am Anfang: Welche Kräfte entstehen beim Schwingen einer Decke, welche Leistung ist nötig um diese Kräfte im Zaum zu halten? Die Lösung, die Pfeffer gefunden hat, ist die größte je gebaute Königswelle: Zwei Kegelstirnradgetriebe mit einem Drehmoment von je 8.000 Nm halten die Decke in der Waagrechten. Bei beiden wirken extern aufgebaute Doppelbremsen direkt auf die Getriebe. Angetrieben werden diese von zwei Synchronservomotoren mit je 15 kW und 300 Kilogramm Gewicht. Die Anfangs- und Endpunkte der Schwungbewegung werden mit Hilfe von Bewegungsgebern eingestellt: Denn natürlich schwingt die Decke nicht frei durch, sondern wird von der Welle geführt. Die gesamte Steuerung aus Sicherheitsgründen doppelt ausgeführt. Am Theater sind die Sicherheitsvorschriften ähnlich hoch wie im Flugzeugbau. Von der Konzeption über erste Modelle, Tests, Schaltschrankbau und sicherheitstechnischer Abnahme des gesamten Bühnenbilds vergingen weniger als 12 Wochen. Denn selbstverständlich muss das Bühnenbild mit Beginn der Proben fertig sein. Und das alles in technischem Neuland: „So eine Königswelle gibt’s kein zweites Mal“, ist Wolfgang Pfeffer überzeugt.

Modularer Aufbau

Die Premiere von „Die Perser“ im Mai 2017 war ein fulminanter Erfolg für das Akademietheater. Seither ist das Stück im Repertoire und wird regelmäßig gespielt. Das bedeutet, dass das gesamte Bühnenbild innerhalb eines vormittags abgebaut und ebenso an einem Nachmittag vor der Abendvorstellung aufgebaut werden muss. Der tonnenschwere Kubus, der einen Raum von rund 1.000 Kubikmetern umschließt, wurde daher von Rollo modular konzipiert. Die einzelnen Teile passen auf den LKW, der sie vom Lager ins Akademietheaters und wieder zurück transportiert. Die Module müssen durch das Bühnentor ins Theater eingebracht werden können, wo sie nach dem Baukastenprinzip Stück für Stück zusammengesetzt werden. Das ist das Spezialgebiet von Thomas Ritter, dem Bühnenmeister des Akademietheaters, und seiner Mannschaft. 20 Bühnenarbeiter benötigen vier Stunden für den Auf- und Abbau des Bühnenbildes. Der gelernte Tischler lebt seit 1989 für das Theater. In der spielfreien Zeit im Sommer macht er nicht etwa Urlaub, sondern macht Bühnenbilder für Festivals von den Salzburger Festspielen bis zu den Sommerfestspielen Perchtoldsdorf. Er verantwortet den täglichen Umbau der Bühne für die abendlichen Vorstellungen, wobei „Die Perser“ sich in einem wesentlichen Punkt von allen anderen Stücken unterscheiden: Der Schaltschrank ist so groß, dass er nicht abgebaut wird, sondern das ganze Jahr über in der Unterbühne stehen bleibt. Nur eine Ausnahme gab es. Die Inszenierung, die europaweit Aufsehen erregt hatte, wurde zum Theatertreffen Duisburg eingeladen. Also musste das tonnenschwere Equipment samt Schaltschrank Anfang März nach Deutschland transportiert und im dortigen Theater aufgebaut werden: Ein Experiment mit unsicherem Ausgang, das in einem fulminanten Erfolg für das Akademietheater endete.

Automatisierung als bessere Lösung

Wolfgang Pfeffer hat sich noch nie eine Aufführung angeschaut, für die er die Bühnenbildtechnik gebaut hat. Er fährt ja auch nicht in eine Produktionshalle und schaut nach, ob die von ihm entworfene Automatisierungslösung funktioniert. Als Dienstleister sieht er jedoch deutliche Parallelen zwischen den Welten der darstellenden Kunst und der produzierenden Industrie: „Automatisiert wird hier und dort nicht, um Personal einzusparen, sondern wenn es die bessere Lösung ist.“ Oft genug ist es auch die einzige Lösung: Eine Decke nur mit Muskelkraft und Mechanik durchschwingen lassen ist nicht einmal denkbar. Er baute auch dieses Bühnenbild so, wie er alle seine Projekte angeht: Die Technik muss vor Ort von dem dortigen Personal bedient werden können. „Wir haben in 27 Jahren noch nie eine Aufführung geschmissen“, blickt er auf seine Arbeit zurück.

Rote-Rüben-Saft und Erde

Was die Zuschauer sehen, ist allerdings etwas völlig anderes. Dreimal fällt den Persern der Himmel auf den Kopf, begleitet von Rauch, Nebel und Staub – und beim dritten Mal ist die Bühne plötzlich in das Blut der gefallenen Soldaten getaucht, durch das der geschlagene Perserkönig Xerxes nach Hause kriecht. „Wo kam plötzlich all das Blut her?“, soll sich schon so mancher Zuseher im Nachhinein gefragt haben. Die Lösung: An der Rückseite der fallenden Decke sind Schläuche mit Theaterblut angebracht, die während des dritten Schwingens geöffnet werden und sich unsichtbar über die in CO2-Nebel gehüllte Bühne entleeren. Auch dieser Effekt ist ein wirkungsvolles Zusammenspiel aus moderner Automatisierungstechnik und uralten Theaterrezepten: Das künstliche Blut besteht aus Rote-Rüben-Saft, gemischt mit Erde.