Strahlenschutz
Pilz sorgt für sichere Strahlungsexperimente Text unter Mitarbeit von Wilfried Mach und Reaktorleiter Mario Villa
Das Atominstitut in Wien wurde 1958 als interuniversitäres Institut gegründet und ist seit 1962 am Standort im Prater in Betrieb. Mit dem TRIGA Mark II Forschungsreaktor wird Studierenden eine fundierte Ausbildung mit radioaktiven Stoffen und ionisierender Strahlung ermöglicht, aber auch Forschung für Wissenschaft und Wirtschaft betrieben. Für seine Doktorarbeit zum »weißen Strahl« am Forschungsreaktor benötigte Dipl.-Ing. Wilfried Mach eine Sicherheitslösung, für die das in der Nähe ansässige Unternehmen Pilz praktisch wie prädestiniert war. Bei der Präsentation seines Projektes bekamen wir einen kleinen Einblick in die Teilchenphysik und die Funktionsweise eines Kernreaktors.
Das Ziel der Doktorarbeit von Dipl.-Ing. Wilfried Mach sollte ein Experimentplatz mit einem sogenannten thermischen weißen Strahl sein, was umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen mit sich zog.
Der inhärent sichere Reaktor
Mit Rücksicht darauf, dass der Reaktor nahe dem Zentrum von Wien für Unterrichtszwecke betrieben wird, muss dieser absolut betriebssicher sein. Dies war in den 50er Jahren bei der Auswahl des Reaktortyps von besonderer Bedeutung. Es war daher ein Reaktor zu finden, der eine möglichst große Neutronenflussdichte bei einer angemessenen Leistung hat. Die Wahl fiel schließlich auf einen Reaktor der US-amerikanischen Firma General Atomics, die seit 1958 TRIGA (Training, Research and Isotope Production, General Atomics) Reaktoren produzierte. Der Ursprung dieses Reaktorkonzepts ist imamerikanischen "Atoms for Peace" - Programm begründet, das vom amerikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower bei den Vereinten Nationen in New York 1953 präsentiert wurde.
Der Grundgedanke des TRIGA Reaktorkonzepts sah ein Brennstoffdesign vor, das durch die Gesetze der Natur und nicht durch technische Maßnahmen in der Leistung begrenzt ist. Dieses inhärent sichere Brennstoffesign besitzt die Eigenschaft, die Reaktorleistung, unabhängig von den technischen Regelkonzepten, selbständig in Millisekunden begrenzen zu können. Durch dieses spezielle Konzept wurden weltweit 65 TRIGA Reaktoren gebaut, 38 davon befinden sich noch in Betrieb.
Durch diese inhärente Sicherheit des Brennstoffes ist es möglich den Reaktor neben dem stationären Betrieb auch im Impulsbetrieb zu betreiben. Dazu wird einer der drei Regelstäbe mit Pressluft aus dem Reaktorkern geschossen:
„Damit erzeugen wir im Bruchteil einer Sekunde 1.000 mal mehr Neutronen – dies bedeutet, dass wir dann nicht mehr nur 250 kW erzeugen, sondern für ca. 30 ms 250 MW! Dann ist der Brennstoff des Reaktors so warm (200 °C), dass die Moderation nicht mehr ausreichend funktioniert, die Neutronen können den Kern verlassen und die Leistung geht schlagartig gegen null. Das wurde am Atominstitut seit 1962 schon über tausend Mal durchgeführt und zeigt dabei immer wie inhärent sicher der Brennstoff ist. Deshalb kann man so einen Forschungsreaktor mitten in der Stadt betreiben“, erklärt Mach.
Ausflug in die Kernphysik
Hinter 2,5 Metern Schwerbeton befindet sich der eigentliche Reaktorkern in dem die Kettenreaktion stattfindet. Von diesem Reaktorkern sind vier Strahlrohre herausgeführt an deren äußeren Enden Experimente durchgeführt werden können. „Wenn die Neutronen aus dem Uran 235 freigesetzt werden, werden diese durch Stöße moderiert – also langsamer – und finden irgendwann den Weg durch die Strahlrohre nach außen. Nach den Strahlrohren erfolgt allerdings noch eine Reflexion der Neutronen an Kristallen wodurch nur ein relativ kleiner Teil an Neutronen für die Experimente zur Verfügung steht. Das sind dann ungefähr 102 bis 104 Neutronen pro Sekunde mit denen dann die Experimente durchgeführt werden“, erklärt Mach.
Die Neutronen haben alle annähernd die gleiche Geschwindigkeit und ungefähr die gleiche Richtung. Dadurch, dass die Intensität so gering ist, kann man ohne Abschirmung arbeiten. „Theoretisch könnte man sogar in den Strahl greifen, da die Dosis so gering ist, dass dies nicht gefährlich ist", so Mach weiter.
Im Gegenzug dazu gibt es den sogenannten thermischen weißen Strahl. Hier fällt die Reflexion nach dem Strahlrohr weg und der gesamte Neutronenstrahl steht für mögliche Experimente zur Verfügung. „Dadurch treten dann mehr als 107 Neutronen pro Sekunde aus, was für den Menschen dann schon gefährlich werden kann. Deshalb wurde eine spezielle Abschirmkammer entwickelt, die mit Pilz-Komponenten und dem sogenannten Interlock-System gesichert wurde“, sagt Mach.
Das Interlock-System
Die Idee hinter dem Interlock-System ist, dass man den Strahl nur dann einschalten kann, wenn sich keine Personen mehr in dieser Kammer befinden und die Kammer versperrt wurde. „Dieses System ist nichts Neues, sondern in größeren Neutronenquellen wie beispielsweise am Institut Laue-Langevin in Frankreich, gang und gäbe“, so Mach. Selbst der Beton für diese Kammer wurde neu entwickelt und speziell für dieses Experiment gefertigt.
Um diesen thermischen weißen Strahl nun in der Kammer für Experimente zur Verfügung zu stellen, wurde vor dem Strahlrohr das aus dem Reaktor führt, ein Hubtisch mit einem Betonblock installiert, der den Strahl absorbiert. Wird dieser Betonblock gehoben, kann der Strahl durch ein Loch in diesem Block in die Kammer gelangen, wo somit die Experimente durchgeführt werden können. Dieser Hubtisch kann allerdings nur gehoben werden, wenn sich im Innenraum der Strahlenkammer keine Menschen befinden und die Tür zur Kammer verschlossen wurde.
„Mit dem Interlock-System soll sicher gegangen werden, dass man sich nicht absichtlich oder unabsichtlich in die Betonkammer einschließen kann“, sagt Mach.
Zuerst muss sichergestellt werden, dass sich niemand in der Kammer aufhält. Dann drückt man den Search-Button, ein Alarm ertönt und man hat 30 Sekunden Zeit um die Tür zu schließen. Erst dann kann der Hubtisch per Knopfdruck gehoben, also der Strahl in die Kammer gelassen werden. Jede Not-Halt-Betätigung oder das Beenden des Experiments führt zum sofortigen Absenken des Hubtisches und somit zum „Ausschalten“ des Neutronenstrahles.
Umsetzung
Nach der Auftragserteilung haben Thomas Nieling und Manfred Petri das Engineering seitens Pilz – von der Software und dem Stromverteilungsplan bis hin zur Schaltschrankbaubeaufsichtigung – umgesetzt. „Zu Beginn wollten wir zur Positionsabfrage des Hubtisches PSENcode als Endschalter einsetzen, aber nach Rücksprache mit Herrn Mach wurde rasch klar, dass die Halbleiterbauteile unter der Strahlenbelastung nicht lange funktionsfähig bleiben würden. Aufgrund dessen kamen magnetische Sicherheitsschalter PSENmag zum Einsatz, die auf Reed-Kontakt-Technologie basieren. Bei der Türverriegelung fiel die Wahl auf das sichere Schutztürsystem PSENsgate und gesteuert wird die Sicherheitseinrichtung von dem konfigurierbaren Sicherheitssystem PNOZmulti 2.“, erklärt Nieling.
„Die Zusammenarbeit mit Pilz hat sehr gut funktioniert – da hat alles Hand und Fuß gehabt. Von einer raschen und kompetenten Beratung bis hin zu einer optimalen Umsetzung“, ergänzt Mach.
Vorerst läuft die Strahlenkammer in einem Testbetrieb, bis zur endgültigen Betriebsbewilligung fehlt allerdings nur noch eine Abnahme eines Gutachters und dann können die Experimente losgehen.
„Als erstes werden wir Diamantdetektoren vermessen und untersuchen. In einem weiteren Experiment werden wir dann SD-Karten bestrahlen um die Lebensdauer unter Strahlung zu ermitteln“, freut sich Mach abschließend auf die endgültige Inbetriebnahme des weißen Strahls. www.pilz.at