Digital Enterprise : Künstliche Intelligenz macht Öl- und Gasförderung effizienter

Im Vorjahr präsentierte Siemens seine "Siwell Artificial Lift Suite" mit einer Innovation aus Österreich: Der Edge-Computer „Nanobox“ verarbeitet die Daten in Echtzeit unmittelbar an jeder Ölpumpe. Die besondere Stärke der Neuheit lag darin, dass bestehende Infrastruktur wie Sensoren, Pumpen und Steuerungssysteme genutzt und optimiert werden können. Die dadurch mögliche Effizienzsteigerung in der Förderung konnte also durch minimale Investitionen erreicht werden. Innerhalb weniger Monate hat das verantwortliche Team die Lösung deutlich weiterentwickelt, und zwar sowohl technisch als auch bei den möglichen Einsatzbereichen und dem Business Case. Im Mittelpunkt steht aber die Integration in die übergeordnete Siemens-Philosophie und die Nutzung der dadurch bestehenden Möglichkeiten. Dr. Helmut Schnabl ist der Kopf hinter der Entwicklung. Im Gespräch mit process pur gibt der „Principal Consultant Digital Oil and Gas“ und Mitglied des Siemens-Headquarters für Öl und Gas Auskunft über Weiterentwicklungen, Künstliche Intelligenz und über den Trend zu "mieten statt kaufen".

Sie haben die Siwell Artificial Lift Suite mit dem in Österreich entwickelten Edge-Computer „Nanobox“ letzten Sommer vorgestellt. Was ist seither passiert?

Schnabl: Wir waren sehr erfolgreich damit, die Lösung in anderen Regionen und für zusätzliche Technologien weiterzuentwickeln. Damals hatten wir Siwell für Pferdekopfpumpen in der Ölförderung entwickelt. Jetzt können wir weitere Pumpentypen wie etwa ESP (electric submerible pumps) und PCP (progressing cavity pump) sowie on-Top-Applikationen zu der ursprünglichen Entwicklung anbieten. Dabei hat uns sehr geholfen, dass wir von Anfang an auf Siemens-Standards gesetzt haben. Dadurch ist Siwell sehr modular und kann leicht auf andere Anwendungen angepasst werden.

Was kann man in dem Zusammenhang unter „Siemens-Standards“ verstehen?

Schnabl: Die Digitalisierung gesamter Wertschöpfungsketten, die Realisierung des „Digital Enterprise“ für seine Kunden ist bei Siemens über alle Branchen und Anwendungen hinweg das zentrale Thema. Es geht um ein gesamtheitliches Bild: Es müssen die Applikationen im Feld zusammenspielen, die Daten müssen nahtlos vom Produkt in die Cloud und auf SCADA-Level verarbeitbar sein und mit bestehenden Systemen integrieren. Diese Siemens-Philosophie ist sozusagen der „Blueprint“, den wir auch bei Siwell nutzen.

Die Applikation wurde in einem Pilotprojekt getestet. Gibt es schon reale Anwendungen bei Kunden?

Schnabl: Die Resonanz am Markt ist hervorragend, wir sind in weiter Projekte involviert und in größeren Ausschreibungen drinnen. Bitte um Ihr Verständnis dass ich da noch keine Details weitergeben kann.

Dann eine andere Frage: Ist Siwell auch für Gasfelder schon soweit praxistauglich, dass es hier eingesetzt werden kann?

Schnabl: Ja. Bei Gas-Wells arbeiten wir am Edge mit der gleichen Technologie. Im Hintergrund laufen andere Standard-Applikationen, aber das ist wie gesagt schon umgesetzt. Unsere größte Stärke ist es jedoch, Künstliche Intelligenz bis ins Feld zu bringen. Beim Thema AI wird sich am meisten tun. Um neuronale Netze effektiv trainieren zu können, braucht es große Datenmengen, also die Informationen von vielen Ölquellen. Diese zu analysieren und die Erkenntnisse an die Applikation zurückzuspielen ist derzeit unser größtes Thema, hier arbeiten wir auch mit Partnern zusammen z.b. im Bereich Reservoir Management. Hier hilft uns das Siemens Cloud Enterprise Environment MindSphere, das wir mit Siwell optimal nutzen.

Ich habe den Eindruck, dass Sie sich in dem knappen Jahr seit der Präsentation sehr rasch in eine andere Richtung entwickelt haben: Von der Edge-Lösung, vom ersten Produkt hin zur Integration in eine größere Industrie-4.0-Umgebung. Hat das die Resonanz vom Markt ergeben, oder war das von Anfang an geplant?

Schnabl: Das war von Anfang an unserer Roadmap. Die gesamte Architektur von Siwell war von Beginn weg darauf abgestellt. Sie haben insofern recht als dass wir in Österreich mit der Edge-Computing-Entwicklung begonnen haben, aber uns hat gleichzeitig die Frage umgetrieben: Was brauchen wir, im die Nano Box und Siwell in größere Umgebungen integrieren zu können? Das ist ein genereller Trend, nicht nur bei Siemens.

Die Öl- und Gasförderung ist immer auch ein sehr politisches Thema. Wie reagieren die Kunden in den verschiedenen Weltregionen auf die Idee, dass die Daten aus Ihren Feldern durch Ihre AI-Analysen Förderländern auf anderen Kontinenten zunutze kommt?

Schnabl: Selbstverständlich dürfen die Daten aus Öl- und Gasfeldern die jeweiligen Länder nicht verlassen, das ist oberste Prämisse. Hier können private Clouds genutzt werden, die Analysen laufen in Data Centers, die beim Kunden selbst stehen und exakt nach seinen regulatorischen Vorgaben aufgebaut sind. Momentan ist es so, dass die Daten jeweils innerhalb eines Ölfelds analysiert werden. Wenn der Kunde aber selbst schon ein analytisches Environment hat, dann können Siwell Daten dort angebunden und integriert werden. Die Datenanalysen können dann auch dort vorgenommen werden.

Die Preisgestaltung war noch in Entwicklung, angedacht war ein Pay-per-Use-Modell. Ist es dabei geblieben?

Schnabl: Ja, die Lösung wird derzeit unter anderem so angeboten. Es geht um Connectivity, der Kunde zahlt z.B. pro Sonde einen bestimmten Monats- oder Jahresbetrag. Das hat den Vorteil, dass es sehr einfach skalierbar ist: Von einer ersten Sonde kann nahtlos auf mehrere tausend aufgebaut werden. Aber selbst am Edge ist Siwell skalierbar. Der Kunde bezahlt nur jene Applikationen, die er auch nutzt, und muss nicht das gesamte mögliche Paket kaufen, das er in seinem Fall vielleicht gar nicht benötigt – aber wenn es später doch sinnvoll wird, beispielsweise bestimmte Analysen durchzuführen, lässt es sich einfach freischalten.

Sind die Kunden in diesem sicherheitskritischen Segment offen dafür, nicht Technologien zu kaufen, sondern Dienstleistungen zu mieten?

Schnabl: Das ist sogar extrem positiv angenommen worden! Das Thema Cloud und AI wird zunehmend ein Thema in der Öl- und Gasbranche, natürlich unter Berücksichtigung der zuvor genannten Rahmenbedingungen.

Der Ölpreis ist im Herbst ziemlich abrupt von 80 auf 50 Dollar abgestürzt und erholt sich heuer langsam wieder, aktuell stehen wir bei 70 Dollar pro Fass. Wie hat sich das auf die Investitionsbereitschaft ausgewirkt?

Schnabl: Bei uns geht es um ein Thema – um die Steigerung der Effizienz. Der Fokus liegt klar darauf, mehr aus der vorhandenen Infrastruktur herauszuholen, die Profitablität zu steigern. Das ist der Business Case, auf den Siwell abzielt. Insofern ist der Ölpreis Teil eines Gesamt-Business Case.

Haben Sie mit Siwell noch ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber ihren Mitbewerbern, oder sehen sie andere Lösungen, die in eine ähnliche Richtung abzielen und ebenfalls marktreif sind?

Schnabl: Wir agieren freilich in einem sehr umkämpften Markt. Wenn man sich aber das gesamte Umfeld anschaut, das Siemens bietet, sind wir da schon sehr gut aufgestellt. Die Kombination unserer spezifischen Produktentwicklungen für diesen Markt mit dem Industrie-Know-how von Siemens ist ein sehr starkes Argument für die Kunden.

Inwieweit haben Sie aus Österreich Einfluss auf die entsprechende Strategie des Konzerns?

Schnabl: Das Headquarter für Siemens Öl/Gas ist in Abu Dhabi, wobei wir in einem global vernetzten Team arbeiten. Ich selbst bin seit einem Jahr Teil dieses Teams, das die globale Entwicklung und Expansion gestaltet und vorantreibt.

Wie oft waren Sie im letzten Jahr in Abu Dhabi?

Schnabl: Sicher acht bis zehn Mal. Aber eines ist mir dabei wichtig zu betonen: Die Nachfrage nach Siwell verteilt sich global, die Optimierung von Ölfeldern ist nicht nur im Mittleren Osten ein Thema. Wir haben damit in allen Zielregionen Erfolg.