Automatisierte Mobilität : 5G wird vielleicht nicht reichen

© jk78

TTTech ist seit knapp über 20 Jahren eines der führenden Unternehmen im Bereich Netzwerktechnologie und Sicherheitssteuerungen. 1998 als Spin-off der TU Wien gegründet, beschäftigt „Time Triggered Technologies“ heute 1.600 Mitarbeiter weltweit und hat die industrielle Kommunikation durch zahlreiche Entwicklungen geprägt. Den ersten spektakulären Erfolg landete das Unternehmen mit dem Time-Triggered-Protokoll (TTP) für sicherheitskritische Anwendungen in Luft- und Raumfahrt, das sich ab dem Jahr 2000 in viele Bereiche zu verbreiten begann. Mittlerweile ist TTP fast schon auf dem Weg zum Mars: Seit 2009 ist die TTTech-Technologie Teil des NASA-Projekts „Orion Multi-Purpose Crew Vehicle“, das prinzipiell für die Besiedlung unerforschter Weiten gedacht ist. Seit 2001 ist die TTTech-Tochter TTControl einer der führenden Komplettanbieter von Steuerungen und Bediengeräten für mobile Arbeitsmaschinen, im Bereich der Standardisierung von TSN (Time Sensitive Networking) gilt das Unternehmen als treibende Kraft im Standardisierungsprozess, und im Bereich der industriellen Automatisierung bietet seine IIoT-Plattform Nerve schon jetzt Chancen, Industrie 4.0-Geschäftsmodelle wie Software-Updates oder Predictive Maintainance wahrzunehmen.

75 Mio. Euro zum Start

Doch den größten Vorwärtsdrang zeigt der Konzern derzeit in einem ganz speziellen Bereich: Bei autonomer und automatisierter Mobilität. Im Sommer 2018 gründete TTTech die TTTech Auto AG. Euro. Mit an Bord sind neben der Muttergesellschaft, die knapp die Hälfte der Anteile hält, auch Audi, Samsung, Infineon und GE. Die strategische Partnerschaft wurde mit einer Startinvestition von 75 Mio. Euro besiegelt. Dieser Schritt, bisher einzigartig in der Unternehmensgeschichte, habe mit den unterschiedlichen Marktdynamiken zu tun, erklärt Marc Lang. Zwar entwickeln sich alle Marktsegmente, in denen TTTech aktiv ist, positiv, sagt der Vizepräsident für Sales & Marketing von TTTech Auto. Aber im autonomen Fahren ist nochmal ein ganz anderer Schwung drinnen. Daher die Ausgründung einer Business Unit, die es schon seit Beginn der Nullerjahre im Konzern gibt, in eine AG – eventueller späterer Börsegang schon mitgedacht. Wie groß das Interesse des Marktes ist, zeigen die im letzten halben Jahr abgeschlossenen Entwicklungspartnerschaften mit BMW und dem chinesischen Automobilhersteller SAIC in Shanghai. Beide haben sich beim Aufbau einer Plattformsteuerung für autonomes Fahren für TTTech Auto entschieden, obwohl Konkurrent Audi hier als Gesellschafter mit an Bord ist. Das hat einen Grund: Und der heißt MotionWise.

Deterministisches Ethernet

MotionWise ist eine Sicherheits-Software-Plattform für das autonome Fahren. Sie ist das Betriebssystem, das jetzt schon die Grundlage für assistiertes Fahren bei mehreren Herstellern ist. Dabei setzt TTTech auf dem Konzept des deterministischen Ethernet, das sich seit vielen Jahren für sicherheitskritsiche Kommunikationsanwendungen bewährt hat: „Ethernet ist für die Kommunikation innerhalb des Fahrzeugs ohnehin gesetzt, und Determinismus bietet unschlagbare Vorteile in den komplexen Mobilitätsanwendungen“, erklärt Marc Lang. Bis zu 40 Funktionen müssen gleichzeitig, synchron und klar voneinander abgegrenzt laufen können und die entsprechenden Informationen ohne Zeitverzögerung austauschen. Das reicht von der Verarbeitung der Videodaten aus den Kamerasystemen über die Ultraschall- und Lasersensoren bis zu den GPS-Daten. Hier ist auch der größte Unterschied von Mobilitätsanwendungen zu den Anforderungen, die an industrielle Netzwerke gestellt werden. Während in der Industrie die Steigerung der Verfügbarkeit der Anlagen im Vordergrund steht, steht bei der Mobilität die Sicherheit im Mittelpunkt. Die entscheidende Norm ist dabei die ISO 26262, der alle elektrischen und elektronischen Systeme in Autos genügen müssen. Die geforderte Fehlerfreiheit wird mit der Softwareplattform MotionWise gewährleistet, auf die jeder Hersteller seine Funktionalitäten aufsetzen kann. Und da sind die Möglichkeiten und Wünsche der verschiedenen Anbieter sehr unterschiedlich.

Function on Demand

„Es gibt zahlreiche Business-Modelle, die hier ansetzen und ein Fahrzeug über den gesamten Lebenszyklus attraktiver machen“, sagt Lang. Eine Variante ist „Function on Demand“. Damit ist das Nachrüsten des Autos mit Funktionen gemeint, die es zum Zeitpunkt des Releases noch gar nicht gibt. Speziell beim autonomen Fahren auf Level 4 (hohe Automation, bei der das System in das Handeln des Menschen bei nicht angemessener Reaktion eingreift) und Level 5 (voll automatisertes Fahren ohne menschlichen Fahrer), die beide derzeit noch nicht für die Straße zugelassen sind, gibt es schon jetzt denkbare Optionen: Da ist etwa das selbstständige Be- und Entladen von Nutzfahrzeugen in abgegrenzten Gebieten wie eingezäunten Logistikhöfen. Auch das autonome Befahren einer Waschstraße oder eines Parkhauses, das eben nur für diese bestimmte Funktion an einem definierten Ort freigeschalten wird, ist denkbar. Das wird wesentlich rascher kommen als das vollständig automatisierte Fahren auf der Straße. Denn das hat neben der Automatisierung innerhalb des Fahrzeugs nämlich eine weitere Herausforderung, die mit den bisher verfügbaren Technologien noch nicht zu lösen ist: Die Kommunikation des autonomen Fahrzeugs mit seiner Umgebung, also „connected driving“.

Connected Driving

Connected Driving erfordert die ebenso sichere wie fehlerfreie und echtzeitfähige Kommunikation des Fahrzeugs mit seiner Umgebung. Sei es mit anderen Fahrzeugen oder mit der umgebenden Infrastruktur, also mit Verkehrszeichen, Ampeln und Bahnschranken. Der entsprechende Datenaustausch muss aus naheliegenden Sicherheitsgründen ohne Zeitverzögerung erfolgen. Auch hier lässt sich ein fundamentaler Unterschied zu den Anforderungen der produzierenden Industrie erkennen. Denn während die Industrie beim Datenaustausch in Echtzeit auf die Möglichkeiten von 5G hofft, ist Marc Lang bereits skeptisch und erahnt die Grenzen dieser drahtlosen Kommunikationstechnologie: „Wir werden sehen, ob 5G für connected driving ausreicht, oder ob es dafür noch andere Mechanismen brauchen wird.“ 5G ist zwar ein wichtiger Schritt, so Lang. Aber er warnt davor, hier in Zusammenhang mit autonomer Mobilität zu viele Hoffnungen zu haben: „Es hat sich gezeigt, dass noch jede Rechenleistung und jede Bandbreite einer neuen Technologie rasch ausgenutzt worden ist.“ Das habe man auch bei der Ethernet-Entwicklung gesehen: Jeder Leistungssprung sei innerhalb kürzester Zeit ausgereizt gewesen.

Skalierbarkeit von Level 2 auf Level 5

Doch Connected Driving ist ohnehin noch Zukunfsmusik. Gegenwart ist die Weiterentwicklung des autonomen Fahrens. Hier hat TTTech Auto Anfang 2019 gemeinsam mit Infineon eine wesentliche Weiterentwicklung vorgestellt. Der AURIX-Microctontroller von Infineon, der schon jetzt die Hardware-Basis von MotionWise ist, wurde mit mehr Rechenleistung ausgestattet. Dass ist die Basis dafür, dass MotionWise in Zukunft vollständige Skalierbarkeit für Autonomie-Lösungen von Level 2 (Fahrerassistenz-Systemen) bis zum Level 5, bis zur vollständig automatisierten, fahrerlosen Mobilität anbieten kann. Damit wird jene Updatefähigkeit ermöglicht, von der Marc Lang spricht: Jetzt ein Auto mit Fahrerassistenzsystemen kaufen, und es in ein paar Jahren nach entsprechender Software-Nachrüstung selbstständig zum Tanken schicken. Das geht, denn auch in der Mobilität gilt dasselbe wie in der industriellen Automatisierung: „80 Prozent der Innovationen passieren heute im Bereich Software, nur mehr 20 Prozent bei der Hardware“, schätzt Lang.